laut.de-Kritik
Schweizer Spott- und Schlaflieder, gefangen im eigenen Grenzgebiet.
Review von Adrian MeyerAls Schweizer Band hat man es nicht leicht. Singt man noch in starkem Berner Dialekt alte Schweizer Volkslieder, ist eh alles verloren. Der Hörer wird dies als niedliches Kauderwelsch abtun ("jesses, all die lustigen Is am Ende eines jeden Wortes!"), oder einfach ignorieren.
Im Fall der Kummerbuben und ihrer neuesten Scheibe "Schattehang" möchte ich also als Kulturvermittler fungieren. Sowieso wegen meiner Staatszugehörigkeit für Schweizer Veröffentlichungen als Rezensent bestimmt, sehe ich hier auch meine persönliche Pflicht. Schließlich steht zur Zeit in der deutsch-schweizerischen Beziehung auch nicht gerade alles zum Besten, zumindest auf dem politischen Parkett.
Mit Saxophon, Akkordeon und Kontrabass bewaffnet haben sich die Kummerbuben in der Eidgenossenschaft den Ruf einer mitreißenden Live-Band erspielt, die in den vergangenen Jahren mit ihrer ersten Platte "Liebi und anderi Verbräche" und nicht wenigen Auftritten an CH-Festivals wie St. Gallen oder Gurten die Besucher begeisterten.
Für ihren Zweitling "Schattehang" bliesen sie nun den dicken Staub von zum Teil jahrhundertealten Schweizer Volksweisen weg und verpackten sie in ein zeitgenössisches Gewand. Mit Folk-Rock, Ska- und Ragga-Rhythmen, Gypsie-Punk, ja sogar düsterem Post-Rock motzten die sechs Berner vergessene Volksballaden, eidgenössische Spott- und alte Schlaflieder auf.
Das düstere "Wo Chunt Dr Chrieg Här?" beispielsweise wartet mit Gitarrenspuren auf, die überraschend an Interpol erinnern, während die Gassenhauer "Has" und "Stomperli" bestens ins Irish-Pub um die Ecke passen. Das tief von Herzen kommende "Guet Nacht, Mys Liebeli" ist ein zeitloses, betörendes Schlaflied von 1802 über verbotene Liebe, zu welchem man sich auch heute noch am liebsten ins kuschelige Bett werfen möchte.
Simon Jäggis ein wenig ungewöhnliche, rauchige Bass-Stimme gibt die Grundstimmung der teilweise himmeltraurigen Volklieder ("La Marie", "I Dr Aare", "Alperose") bestens wieder, da werden die Kummerbuben ihrem Namen mehr als gerecht. Sie passt aber auch zu den "frotzelnden Spottliedern", (so das Booklet im O-Ton), die durch ihre holprig-rumpelnde Instrumentierung richtig schräg-skurril daherkommen ("Le Coq Est Mort", "Stäcklichrieg", "Andermatt").
Zwar hat Jäggis Stimme einige Schwächen (der Mann war früher Rapper und genoss keine Gesangsausbildung), doch ist dies bei diesen "zigeunerischen Lumpenliedli" eigentlich ganz sympathisch. "Authentisch" will man da fast sagen, "unverkrampft" passt aber besser.
Wer kein "Schwiizerdüütsch", geschweige denn "Bäärndüütsch" versteht, hat nun aber kaum Chancen, auch nur irgendetwas zu verstehen. Für Schweizer Hörer ist die lockere Art mit altem Liedgut umzugehen, jedoch höchst faszinierend. Weit entfernt von folkloristischer Verklärung, Kitsch und ähnlich dem Credo von LaBrassBanda produzieren die Berner eine alternative Version von Volksmusik: ungezwungen, locker, und ziemlich unterhaltsam.
Sind die Kummerbuben dennoch auch für deutsche Hörer ein Thema? Aus rein musikalischer Sicht ist an ihnen nichts auszusetzen. Die Herren beherrschen ihre Instrumente virtuos und liefern ein solides, genre-übergreifendes Werk ab, dass auch aus dem Kopfhörer ziemlichen Spaß macht.
Aus Sicht interkultureller Verständigung jedoch können sie eigentlich wieder nur scheitern. Da hilft es auch nicht, wenn einige Lieder in stark vom Berner Dialekt geprägten Französisch gesungen werden.
Den Kummerbuben dürfte dies wohl recht egal sein. Ihre Mission ist es sowieso, zuerst dem eigenen Volk deren vergessene Lieder wieder näher zu bringen. Wenn trotzdem auch noch Nicht-Eidgenossen auf diese Mission aufmerksam werden: um so besser.
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