laut.de-Kritik
Haus-Maus-Reime übers kleinbürgerliche Kummersaufen.
Review von Maximilian SchäfferKennst du das? Es ist Sommer in Berlin, du mäanderst durch den Mauerpark und irgendwas nervt. Du fragst dich, ob es die überdrehten Touristen sind, die mit ihrem billigen südafrikanischen Rotwein vom Spätverkauf überall rumlungern und denken, sie befänden sich am Nabel der Welt. Du fragst dich, ob es die Simulation eines Flohmarkts ist, die man hier aufgebaut hat: geschäftige Menschen, die geschmacklose Souvenirs im Stil international-indigener Handarbeit zu Wucherpreisen verkaufen. Du fragst dich, ob es die Tante mit der Akustikgitarre ist, die mit ihrer Loopstation tiefgründige Schmusesongs von ihrer tragischen neuseeländischen Obere-Mittelschicht-Existenz singt. Darüber, dass sie sich im unklaren ist, wo die Heimat sei und was überhaupt das Gender und, ganz am Ende, wann es endlich keine Kriege mehr auf der Welt gibt. Dann klatschen alle und holen die Megapixel raus.
Hörst du das neue Album von LEA (offizielle Schreibweise) alias Lea-Marie Becker aus Kassel, jetzt Berlin, muss du dich nicht lange fragen, was nervt. Auf ihrem dritten Album vermittelt die 27-Jährige, dass sie mit ihrem Studium der Musik und Sonderpädagogik auch außerhalb der offiziell als solche deklarierten Schwerbehinderteneinrichtungen Geld verdienen möchte. "Treppenhaus" klingt insgesamt so als hätte man jeden Song der deutschen Top-20 der letzten fünf Jahre zusammengemischt, um ein möglichst steriles Nichterlebnis zu gestalten.
Kein Wunder: Allein für den ersten Song namens "Wenn Nur Liebe Hilft" zeichnen sechs Personen als Komponisten und Texter verantwortlich. Alles renommierte Arbeitstiere der Industrie, assoziiert mit anderen lukrativen Acts wie Mark Forster, Sido und Capital Bra. Dabei rausgekommen ist etwas, das man beim Autofahren bis zum nächsten Seitenaufprall gut im Hintergrund laufen lassen kann. "Wir trinken zwanzig Bier [...] Ich spiel' für dich Klavier", singt LEA hier, und schon im nächsten Lied: "Aber nach dem dritten Bier / Redest du nur noch von ihr", weil der Haus-Maus-Reim übers kleinbürgerliche Kummersaufen beim ersten Mal nicht genügt hat.
Jugendliche bis junge Erwachsene sind die Zielgruppe, und was die so kümmert, kümmert auch die blonde Sängerin mit dem Hauchstimmchen. "Ich war ein halbes Jahr in Argentinien", und währenddessen hat sich der Freund in eine Andere verliebt (das "Aaaah" klingt irgendwo verdächtig nach Billie Eilish). Auch im Titeltrack geht es um Beziehungsstress, einen regulären Click-Beat im Hintergrund und ein paar US-amerikanische R'n'B-Phrasierungen im Gesang. Judith Holofernes von Wir Sind Helden führte einst den äußerst niedlichen Sprachgestus des Komprimierens von Endsilben ein: Aus "deinem" wird "deim", aus "keinem" wird "Keim", usw. LEA gebärdet sich konsequent in dieser, mittlerweile zum Goldstandard gesamtdeutscher Frauenstimmen gewordenen Tradition artikulierter Harmlosigkeit.
Nostalgie muss sein, "Sylt 98" – da war Frau Becker sechs Jahre alt – dudelt hirnbefreit dahin. So geht es weiter, sich mit dieser Geräuschansammlung zu beschäftigen ist sinnlos, es handelt sich um Handelsware ohne jegliche künstlerische Position. Selbst für eine Analyse der herrschenden Verhältnisse ist das alles zu uninteressant, außer das Feature mit Capital Bra persönlich, der auf "7 Stunden" seinen äußerst geldträchtigen Schwachsinn lallt. Den erfolgreichsten Interpreten Deutschlands auf sein Album zu bekommen, ist wahrlich eine betriebsinterne Adelung.
"Treppenhaus" ist so belanglos, so kalkuliert und dröge, dass es in seiner bemerkenswerten Unauffälligkeit schon wieder zum popkulturellen Statement wird. Andy Warhol wusste einst einen Fast-Food-Burger zu verspeisen, und alle schauten zu. Fünfzehn Minuten Berühmtheit seien auch LEA vergönnt, sie kann schließlich nichts für die freie Marktwirtschaft. Als selbstbewusste Komplizin der Kunstlosigkeit muss sie sich aber darüber im Klaren sein, dass ihre sogenannte "Musik" denkende Menschen ähnlich nervt wie ein Spaziergang im Mauerpark.
16 Kommentare mit 41 Antworten
Seit ich die Dame und ihr Schaffen zum ersten Mal bemerkt habe, frage ich mich, aus welchen Gründen sich jemand diese Musik anhören könnte. Bislang bin ich einer Antwort keinen Schritt näher gekommen...
Merkwürdiger Albumtitel. "Fahrstuhl" wäre da sicherlich eine angemessenere Wahl gewesen, schließlich passt ihre belanglose Musik dort bestens hinein.
Der Stuhl wäre auch interesant als Titel. *hust*
Kacka.
"Wir trinken zwanzig Bier [...] Ich spiel' für dich Klavier", singt LEA hier, und schon im nächsten Lied: "Aber nach dem dritten Bier / Redest du nur noch von ihr".
Das ist einfach nur deutsche Liebeslyrik, was habt ihr denn? Jedes Volk hat halt seine eigenen romantischen Codes
Wahrscheinlich redet er ohne Bier gar nicht mehr mit ihr. Man muss halt auch mal zufrieden sein. Frauen sind immer so perfektionistisch
Immer dieses BIER... BIER BIIIIIIEEER BIIIIIIIIIIIÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ
https://www.youtube.com/watch?v=abbjPEO62MY
Ja, danke. Als ich noch jung, naiv und motiviert war, hätte ich mich immer für die Erzählungen der Frau entschieden. Heute ganz klar nach deiner Empfehlung: BIER.
Noch romantischer: https://www.youtube.com/watch?v=ptrmW51ed58
https://www.youtube.com/watch?v=RKhof3zZ4is
@camperov: ich wünschte ich wäre mit 17 geistig schon so reif gewesen und hätte mich schon damals für den ausschließlichen Bierkonsum entschieden. Das hätte einerseits noch mehr Gehirnzellen vernichtet und somit meine soziale Anpassung erheblich vorangetrieben, und andererseits wären meine Ohren jetzt nicht verfault, weil ich meine Aufmerksamkeit dem anderen Geschlecht widmen musste. Nun kann ich aber sagen, dass Fehler zum Leben dazu gehören. Danke, campi für deine Impressionen, wie es auch hätte laufen können. Im nächsten Leben werde ich wacher sein.
abschließend noch ein kleines gute nacht zückerle:
https://www.youtube.com/watch?v=79Tvfixv-30
Super vonwelt, danke. Damit sollte mir definitiv die Eingliederung in diese Gesellschaft bzw. in dieses faschistoide, liberale und pseudo-linke System gelingen!
das hoffe ich auch. denn mutti merkel braucht brave steuerzahler.
künftig mehr denn je
Als hätte die irgendetwas zu entscheiden. Das ist doch nur das Kasperle, das vor den Vorhang darf, um die neo-liberalen Angriffe auf die nicht-Reichen sprachlich zu rechtfertigen, damit die Straßen leer und die Löhne bzw. Renten gemäß Agenda 2010 im Keller bleiben.
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
du meinst also, sie ist ein hure des internationalen finanz-wasauchimmer-tums?
Nein, nicht bewusst. Hinzu kommt, dass sie das wirklich glaubt was sie da tut. Die hat doch selber keinen Plan wie das Geldsystem funktioniert bzw. weiß nicht, wie es ist für einen Hungerlohn zu schuften. Die brauch man gar nicht groß für sich zu gewinnen, die muss man nur da hinstellen.
Wobei das für deine Analyse ja schon ausreichen würde, womöglich.
hast du wohl recht. und dummerweise ist sie da nicht die einzige.
Das Grundproblem ist, wie ich so oft sage, dass die Leute niemals nach Inhalten schauen, sondern immer danach ob jemand Anzug und Krawatte an hat - selbst oder gerade in akademischen Kreisen.
Man müsste ja sein Weltbild überdenken und zugeben, dass man nur verarscht wird/wurde.
Die wenigsten können das ertragen - gerade akademische Kreise nicht, daher ziehen sie die Brille auf und hoffen einfach darauf, dass diese ganzen Clowns es schon gut meinen. Das wird nicht gut ausgehen. Ironischerweise werden Kritiker dann als Verschwörungstheoretiker abgetan, die auf die Fakten achten sollten. Achtet man auf Fakten, wie Altersarmut, Hartz4 und Bankenrettung sieht man schnell das ganze Ausmaß. Von daher ist banale Liebeslyrik ein schönes Instrument, um die Bevölkerung einzulullen. "Wir müssen zusammenhalten".
@SirPsycho777: Das Grundproblem ist eher, dass du seit einiger Zeit die Leute hier mit Deiner Gehirngrütze belästigst, welchen Du mittels Deiner Onanierzangen in eine verklebte Tastatur klöppelst. Es wäre fein, wenn Du diesbezüglich mal 1-2 Gänge runterschalten könntest.
Das ist das was ich meine. Der Bote ist nicht der Inhalt.
Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.
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Ich will euch nur helfen. Erkennet und richtet euer Haupt auf die, die euch versklaven.
Du kannst uns am meisten helfen, in dem dich löschst.
Nein. Du erkennst doch schon gar nicht mehr, wer oder was dir hilft. Du bist doch in Gänze unzurechnungsfähig. Wenn dir dein Zins im Alter genommen wird und er an die Reichen verteilt wird, dann wirst du alt und gebrechlich an mich denken.
@Psycho777: Du solltest wirklich regelmäßig Deine Medikamente nehmen. Das ist verdammt wichtig, Bub.
Hast ja Recht. Besser ist es.
Ungehört 5/5
Ich muss zugeben, dass mir Lea so als Typ einfach recht sympathisch ist. Der ist locker, in Interviews auch mal selbstironisch und (im Gegensatz zu vielen Anderen in der Szene) auch kritikfähig. Dazu kommt, dass ich seine Stimme mag und das Soundgerüst wirklich passt. Dass das natürlich technisch nicht A-Liga ist sollte klar sein.
"Haus-Maus-Reime über das kleinbürgerliche Kummersaufen" ist eines meiner Lieblingszitate, da ich es häufig als Argumentationsgrundlage heranziehe, wenn ich mich im Freundeskreis lokalpatriotisch für LEA und Treppenhaus einsetze. Hatte bis jetzt leider wenig Erfolg meinen Wunsch durchzusetzen.
PS: Am besten gefällt mir LEAs Haarschnitt. Stand ihr schon in der Grundschule hervorragend.