laut.de-Kritik
Schon jetzt eines der Alben des Jahres.
Review von Ulf KubankeMan hört den Tonarm eines analogen Plattenspielers herabsinken. Sekunden später entspinnt sich eine elektronische Miniatur voll hypnotischer Sogkraft. Angedeutete Steckdosen-Percussions, ein wellenartig türmender Akkord, dazu eine fast schon naiv kontrastierende Melodie. So berückend gelingt dem nur scheinbar unterschiedlichen Gespann Cole und Roedelius der Einstieg in eine LP, die man im besten Sinne als Avantgarde bezeichnen muss. Unkonventionell und außergewöhnlich von Anfang bis Ende.
Ähnlich unerwartet mutet dem Unbedarften sicherlich auch die Zusammenarbeit dieser beiden Musiker an: Die Cluster-Ikone und der seit Jahrzehnten zuverlässige Lieferant tollen Songwriter-Pops mit eingebautem 80er Hitmoment. Doch wie so oft trügt der Schein nicht unbeträchtlich. Der Brite ist seit jeher ein glühender Krautrockverehrer im allgemeinen und Roedelius/Cluster-Jünger im Besonderen. 2001 wandte er sich zwischendurch den Vorbildern zu ("Plasrtic Wood"). Das blieb dem in Österreich lebenden Altmeister nicht verborgen. Nach langjährigem Beschnuppern gibt es nun endlich die erste echte Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Und was für eine!
Dabei kann selbst der versierte Lauscher kaum sagen, wo Roedelius aufhört und Cole anfängt. Ohne den Namenszug des Engländers auf der CD, könnte man das Album problemlos auch für ein Tonzeugnis des Elektropaten halten. Die Zurückgenommenheit Coles ist indes kein Makel. Im Gegenteil: Der komplette Verzicht auf eitle Manierismen in der künstlerischen Handschrift lässt den vergleichsweise noch unerfahrenen Elektro-Frischling komplett im einzigartigen Universum des Genrepaten aufgehen. Alles für die Musik; alles so ebenbürtig in Form und Sprache, dass beide nahtlos miteinander verschmelzen.
"Coedelius" verzichten bewusst auf jegliches gattungskonforme Space-Getüdel. Es gibt weder schlacksige Sequenzer Marke Schulze/Tangerine Dream, noch den sci-fi Pop-Maschinensound Kraftwerks. Ausufernd epische Klanglandschaften sucht man ebenfalls vergebens. Alles verharrt im Minimalen, dabei hochkomplex und nur scheinbar skizzenhaft. Durch dieses recht irdische Merkmal, ist vor allem Roedelius der Außerirdischste von allen Pionierelektronikern geworden. Chapeau!
Mal führt der gänzlich eigene Pfad ins unerschlossene Niemandsland zwischen Flächenkomposition und klavierbetonter Kammermusik ("Still Life With Kannyu"), deren harsche Grenze von kreisenden Störgeräuschen markiert wird. Wenige Minuten später ("Tango Largo") kämpft sich ein zutiefst rudimentär per Synthie angeschlagener Tango-Akkord durch ein Dickicht hintergründiger Naturgeräusche und einem geloopten, ächzenden Ventilatorensound. Klingt krude, funktioniert als Cocktail dennoch überraschend hervorragend.
Wer sich diesem Album unbefangen nähert, hat viel Genuss zu gewinnen. Wichtig: Nicht nach einmaligem Hören verschließend die Arme verschränken, sondern der Irritation ihren Raum geben. Die weitere Beschäftigung führt nämlich mitnichten zum Schönhören der Tracks. Nein, es ist die Kunst des Zwischen-den-Zeilen-Lesens, welche schlussendlich in abenteuerlicher Entdeckungsreise für das Ohr mündet.
Und die Geduld wird letztendlich auch belohnt. So erschöpft sich das Stück "Wandelbar" nicht etwa in einer oberflächlich betrachtet schlichten Rausch-Collage, sondern offenbart einen vereinnahmenden Ambient-Mikrozirkus. Doch keine Angst. Das klingt alles wesentlich astrengender, als es im Ergebnis ist. Der autodidaktische Pianoman Roedelius ist ohnehin ein großer Romantiker. Mit den letzten beiden Perlen "Virginie L" und vor allem dem ebenso schlaftrunkenen wie morgenroten "Lullerby" entschädigt er den Hörer für alle vorherigen Mühen.
Mein Lieblingsmoment ist dennoch der große Humor des heraus stechend rockigen "Fehmarn F.O". Auf der rauen Insel fand das letzte Konzert des tragisch verstorbenen Jimi Hendrix statt. Entsprechend bringen die Herren ein im Duktus sehr Hendrix-lastiges Solo im quietschig synthetischenen Moog-Sound. Toller Moment. Nicht nur damit vollbringt die schicke Schallplatte mühelos eine große Leistung: Die seltene Verbindung von Avantgarde mit Spaß am Hören. Schon jetzt eines der definitiven Alben des Jahres.
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