laut.de-Kritik
Wenn Prog auf Trap und Trip Hop trifft.
Review von Manuel BergerAls das eigenständigste, persönlichste und auch zugänglichste Album seiner Karriere beschreibt Mariusz Duda "Fractured". Der Tod seines Riverside-Kollegen Piotr Grudzinski 2016 spielte seiner Aussage zufolge eine große Rolle im Entstehungsprozess des fünften Lunatic Soul-Albums. Platz für Lichtstrahlen bleibt deshalb keiner, dafür lässt Duda eine weitaus offenere Stilmelange als bisher zu und bewahrheitet obige Ankündigung.
Statt Prog-Referenzen kommen zuallererst Massive Attack in den Sinn, wenn "Fractured" loslegt. Durch "Blood On The Tightrope" pulsiert ein Synthesizer-Pattern, das nur dann pausiert, wenn Duda es mit EDM-Blitzen zerschießt und später die Coda zur Art Rock-Rhythmusbombe aufbaut. Das düstere, unbarmherzig vorwalzende Synthiewabern kombiniert er mit warmen Counterparts an Klavier und Akustikgitarre.
In der Herangehensweise erinnern Teile von "Fractured" deswegen an Anathema, die auf jüngeren Alben eine ähnliche Symbiose aus Elektronik und progressiver Ästhetik präsentieren. Dudas Ansatz entpuppt sich dabei aber als wesentlich rhythmusorientierter als der der Briten. Vor allem zwingt er die anderen Instrumente, ebenfalls in Beat-Manier zu agieren. In "Anymore" gibt das Gitarrenriff nur vermeintlich den Ton an, findet es sich doch eingeschlossen zwischen programmiertem Bass und hektischem, hohen Fiepen. Am Schlagzeug wird es an einigen Stellen gar Trap-ähnlich.
Erstaunlich ist, dass Duda trotz der Elektronik-Dominanz in einigen Stücken in anderen kaum darauf zurückgreift, die Atmosphäre aber trotzdem aufrecht erhält. Sowohl in "Crumbling Teeth And The Owls Eyes" als auch "A Thousand Sharks Of Heaven" spielt das Sinfonietta Consonus Orchestra. Harte Beats weichen hier breiten Streicherarrangements und Singer/Songwriter-Gitarre.
Gerade letztgenanntes Stück dürfte Steven Wilson-Fans zusagen, sowohl was die Harmonie als auch was den Songaufbau angeht. Nach einer melodieneichen ersten Hälfte widmet sich Duda seiner Rhythmusfähigkeit und webt einen detailreichen Klangteppich, auf dem ein Solo-Saxophonist seine Runden dreht. Schließlich kulminiert alles in einer chaotischen Klimax, die Erinnerungen an Wilsons "Luminol" wachruft.
Die große Stärke Dudas auf "Fractured" besteht darin, ausgehend von einem zentralen Pattern dichte Klangkulissen zu weben. Die genialsten Momente finden sich, wenn er in ein Ankerriff stetig neue Instrumente, Rhythmen und Melodien einhakt. Der Titeltrack liefert ein Beispiel dafür. Die Spuren überlappen sich, nie erfolgt ein gemeinsamer, abrupter Patternwechsel. Als kurz vor Schluss eine Schlagzeug-Eruption das Gebilde zu durchbrechen droht, spiegelt er kurzerhand in einer Variation zuvor Vorgestelltes und stellt so erneut eine Verbindung zum Bestehenden her. Einerseits gestalten sich die Kompositionen auf diese Weise sehr einprägsam, andererseits kann sich Duda in diesem gesetzten Rahmen nach Herzenslust austoben.
So stark Lunatic Soul dank dieser überragenden Motivtechnik die meiste Zeit über wirken, so offenbaren sich doch gerade deshalb auch die Schwächen des Albums. Wenn sich Duda von den verzahnten Strukturen lösen möchte, geht das bisweilen schief. In der zweiten Hälfte von "Anymore" zum Beispiel rutscht er mit einer Melodie zu sehr in Richtung glattpolierten Synthie-Pops. Das will nicht so recht ins ansonsten recht erdige Klangbild passen, das eher kantige Percussions denn Legatos auszeichnen.
"Fractured" ist musikalisch das vielleicht interessanteste Album, das Duda als Lunatic Soul eingespielt hat. Derart viele unterschiedliche und vor allem jeweils recht stark ausgeprägte Stilelemente findet man auf keinem der Vorgänger. Auch wenn sich der Pole ab und an noch mit dem Synthesizer verschätzt, geht das Experiment Trip Hop meets (Soft) Progressive Rock insgesamt auf.
4 Kommentare mit 2 Antworten
Wäre schön, wenn er mal als LS tourt!
So klingt also Prog der Neuzeit... nicht schlecht
Klingt ja doch ganz interessant, die ersten Singles haben mich nicht vom Hocker gehauen. Insbesondere "Anymore" fand ich eher etwas nervig.. Aber anscheinend sollte ich unbedingt ein Ohr riskieren.
Nach zweimaligem Hören für mich die bislang enttäuschendste LS-Platte. Atmosphärisch meilenweit vom Vorgänger entfernt. Dazu noch Phrasierungen im Gesang, die an Xavier Naidoo erinnern. Muss ich mir schön hören.
Nobody cares about your opinion.
Nein, Scherz
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