laut.de-Kritik
Alles anders, alles wie gewohnt.
Review von Manuel BergerBeim LP-Debüt "Boys Toys" schuf Mavi Phoenix noch ein fiktives Alter Ego für seine Songs, die Titelfigur. Nun singt er erkennbarer als je zuvor für und von sich selbst: Marlon Nader, ganz und gar.
Es hat sich viel geändert in Musik und Leben des Linzers, jedenfalls an der Oberfläche. Andererseits: Hat es das wirklich? Seit er 2014 mit der "My Fault"-EP auf der Bildfläche erschien, klang Mavi Phoenix mit jeder neuen Veröffentlichung anders. Seine eigene Handschrift behielt er dabei trotzdem immer bei, gerade wegen teils sprunghafter Stilwechsel und der oft unkonventionellen Art, wie er Melodien und Hooks auf seine Beats legte.
So ist es nun auch auf "Marlon". Mavis Stimme liegt nach einem Jahr Hormontherapie deutlich tiefer. Statt elektronischer Beats bestimmt häufig die Gitarre das Bild. Viele Songs stehen Indie-Rock deutlich näher als Hip Hop, wo bisher trotz aller Experimente immer der Kern von Mavis Musik lag. Und doch: die Herangehensweise wirkt vertraut. Es schwingt ein ähnlicher Vibe mit, was vor allem dann auffällt, wenn man in der heimischen Musikmediathek aus Versehen eine frühere EP durch Autoplay startet. Nach dem für Mavi eigentlich so ungewohnt klingenden, mit Akustikgitarre und Handpercussion ausgestatteten "Grass And The Sun" wechselt man direkt zum Autotune-schwanger durchproduzierten "Ibiza" ("Young Prophet II"). Die Sequenzierung funktioniert hervorragend.
Dass Mavi trotz tiefgreifender instrumentaler Veränderungen (bei Live-Auftritten spielt Mavi mittlerweile in voller Bandbesetzung, statt wie zuvor meist nur mit DJ), an der Zusammenarbeit mit Stammproduzent Alex The Flipper festhielt, half sicherlich dabei, die Signature-Elemente intakt zu halten. "Er ging auf mich ein und ein bisschen anders an seine eigenen Sachen ran.", verriet Mavi im Interview. "Aber selbst wenn ich oder jemand anderes was auf der Gitarre spielt und das dann mir oder Alex schickt, behandeln wir es immer noch Sample-artig. Dadurch behält es immer noch einen gewissen Hip Hop-Charakter. Für uns ist Musik ein Vibe, was Tolles, aber wir gehen nicht so streng an die Sache ran."
Sowohl Stärke als auch Schwäche von "Marlon" ist, dass man wie schon bei "Boys Toys" vergeblich einen roten Faden sucht. Wenn es einen gibt, dann, dass kein Song wie der andere klingt. Teilweise wechselt Mavi sogar mitten im Song komplett die Richtung. "Nothing New" startet als Gitarrenpop à la Oasis, wie er vorher schon bei "Leaving" anklang, und dreht in der zweiten Hälfte ab gen 90s-Hip Hop. Psychedelische Reverb-Effekte halten die Parts zusammen. "Just An Artist" beginnt als verzweifelte Klage, verwaschen im Sound und kehrt nach kurzem A-Capella Break wie ausgewechselt zurück; plötzlich strotzt Mavi vor Selbstbewusstsein, ausnahmsweise doch vor der Kulisse prominenter Trap-Hi-Hat. Die im Song symbolisch vollzogene Entwicklung wird umso greifbarer mit dem Wissen, dass zwischen der Entstehung der beiden Teile mehrere Monate vergingen.
Wie eng "Marlon" mit einer bestimmten Zeitspanne im Leben Mavi Phoenix’ verknüpft ist, wird außerdem deutlich, wenn in manchen Songs verschiedene Stimmlagen miteinander verschmelzen. Bei "You Think You're So Cool" singt er mit sich selbst im Duett – hinten die frühere, hohe, autotunige Stimme, vorn die neue, tiefe, rauere. Auf kreative Weise verewigt Mavi so seinen Stimmbruch im Album.
Textlich geht es viel um Gefühle, auch die Ambivalenz derselben – und geht damit Hand in Hand mit dem Facettenreichtum der Musik. Im Song über Antidepressiva zwitschern Vögel und grooven funky Licks. Der Lovesong "Only God" wabert in Gefilden von Cigarettes After Sex. Manchmal bricht der Playboy raus. Fast alles geht. "Marlon" ist quirlig, entrückt, aufmüpfig, stur, romantisch, sehnsüchtig, nachdenklich und manchmal einfach nur begeistert, Musik zu basteln.
Nicht alles zündet gleich gut, unter anderem "Pretty Life" wurde bis jetzt im Text aus gutem Grund noch nicht erwähnt. Enttäuscht wird wohl auch, wer "Marlon" vor allem wegen seiner Singer/Songwriter und Indie-Anklänge hören möchte. Vereinfacht gesagt: Das können andere auf Albumlänge besser. Bei Mavi Phoenix gilt, so platt es klingt: Die Mischung machts. Niemand sonst könnte ein Album wie "Marlon" schreiben. Schon deshalb lohnt sich das Hören.
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