laut.de-Kritik
Die zweitfetteste Schlagzeug-Wucht, die Reggae zu bieten hat.
Review von Philipp KauseAuch wer nie ein Fan oder auch nur ein Sympathisant der Morgan-Brüder gewesen ist, kann ihnen ja trotzdem eine neue Chance geben. Auf "Loyalty" wandeln sie ihren Sound zum wiederholten Male, diesmal zum Positiven.
Die textlichen Botschaften klauben sie dennoch aus dem viel benutzten und abgenutzten Versatzstückbaukasten des Roots Reggae zusammen: Die Welt ist irgendwie schlecht, Rauchen gefällt ihnen, Afrika braucht Hilfe, Strände sind etwas Schönes, Möwen leben an Küsten, der afrikanische Kontinent ist theoretisch auch ganz schön, der Kapitalismus versklavt die Menschen und bedient sich dazu der Tricks der Propaganda, Wochenenden gefallen den Jungs besser als Werktage.
Zwischen Afrika und Jamaika spannen sich nach Morgan Heritages tiefschürfender Analyse einige Zusammenhänge, kurz: Afrikas Spirit glüht sogar weltweit. Mit mehr 'Awakening', 'Consciousness' und 'Loyalty' verbessert sich die irgendwie schlechte Welt, insbesondere Afrika hilft das alles und die Strände werden dann sonntags noch schöner, besonders wenn "the sun and the moon shine brighter". Keinesfalls vergessen dürfen wir, dass die Sonne scheint. Auch wenn manchmal Wolken sie verdecken. Die Wolken verziehen sich dann schon, wenn man nur daran glaubt.
Punkte gewinnt die Platte eindeutig nur dank der Musik. Dazu trägt die nach Dub Inc zweitfetteste Schlagzeug-Wucht bei, die dem Reggae in diesem Jahrzehnt vergönnt ist. Ein offenes Herangehen an benachbarte Stile wie Funk und Afropop bewahren diese Roots-Platte vor Monotonie, wobei Morgan Heritage einen sehr klaren roten Faden durch ihre mit Gästen bevölkerten Tracks ziehen.
Diese Gäste setzen sich geschickt durch. In Nigeria hat Mojo Morgan auf seinen jüngsten Reisen Patoranking getroffen. Seine Stimme kontrastiert stark mit den Stimmen der drei Morgans, seine Toastings lässt er sich mit feinsten Azonto-Beats unterlegen. Die aktuellen afrikanischen Styles inkorporieren die amerikanischen Roots-Musiker auf überzeugende Weise.
Akustikgitarre, Tribal Drums, Soul-Gesang und Electropop-Feeling passen hervorragend zusammen, wie "All For You feat. Midian" beweist. Dr. Alban tourte im Juli 2019 wieder durch Europa, wie wäre es da, doch gleich den Eurodance wiederzubeleben? "Give It To Me feat. Popcaan" zeitgleich mit "All That She Wants" von Ace Of Base abzuspielen, bereitet diebische Freude. Popcaan war erst vier, als es herauskam, aber das muss am Nachahmen nicht hindern. Der kurze Track bereitet vor allem die Steilvorlage für das harte, schnelle und technoide "Africa X Jamaica".
Morgan Heritage, die sich 20 Jahre und elf Alben lang um Dancehall drückten, entdecken eine besonders raue Sorte dieser Musik durch die afrikanische Hintertür dank des aus der Mode gekommenen Shooting-Stars Diamond Platnumz aus Tansania. Mojo Morgan lernte ihn in Kenia kennen, nachdem Platnumz zahllose Preise afrikanischer Medien und Jurys eingeheimst und MTV Europe ihn 2015 als besten afrikanischen Act des Jahres ausgezeichnet hat. Der Hype scheint berechtigt, auch dieser Track mit ihm reißt sofort mit.
Mit psychedelischer Gitarre, funky Orgel, rockig gespieltem Schlagzeug und afrikanischem Zeitgefühl treibt der Titel "Slave And Slave Master" als weiterer Höhepunkt durch die Kollektion. Ebenfalls ohne Gäste glückt das tieftönend dröhnende "Hold On" und verurteilt "sexism, racism, all -isms".
"Weekend Greens" wagt eine in den USA recht beliebte Klangfarbe, eine Kreuzung aus Blubber-Bubblegum-Beats und Rock-Reggae. Die Common Kings etablieren sich derzeit als Vertreter dieses Stils, aber auch Iration, ein Dauergast der US-Billboard-Reggae-Charts. Die kalifornische Indie-Ska-Band Pepper wird inmitten der beiden Erfolgsgruppen untergepflügt, aber Schmiss hat der gemeinsame Tune.
Sich dann mit einer feinsinnigen akustischen Ballade zu verabschieden, rundet die Platte ab: "Home" klingt wärmer und gefühlvoller als das flache und grauenvolle Ende des letzten Morgan-Albums "Avrakedabra" 2017. überhaupt transportiert "Loyalty" viel mehr. Etwa, dass die afrikanischen Beats der Generation 1987 bis '92, zum Beispiel von Stonebwoy repräsentiert, als Teil und Auswuchs des weltweiten Reggae ernst genommen gehört, und zwar unter Reggae- und Dancehall-Fans. Dieser Musik hilft es wenig, wenn sie als 'Weltmusik' oder 'Hip Hop' vermarktet wird, damit hat sie jeweils nur am Rande zu tun.
Den auf ein Trio geschrumpften steten Dauer-Grammy-Anwärtern oder -Gewinnern Morgan Heritage gelingt hier ein gut gelauntes Album in hochklassiger Produktion mit Abwechslung in Tempo und Gefühlslagen, immer aber voller Schwung und mit treibendem Schlagzeug, den beiden Konstanten dieser Platte. Über die Texte darf man meist geflissentlich hinweghören, aber ausbaufähige Ideen stecken auch darin.
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