laut.de-Kritik
Der Sound einer rast- und ruhelosen Generation.
Review von Dani Fromm"Immer weiter ins Nichts", gibt Mortis in "Abgrund" die Marschrichtung vor. "Kein Zurück, Sturzflug ins Leben." Das Leben, das er dabei beschreibt, könnte als Paradebeispiel für eine ganze rast- und ruhelose Generation durchgehen.
Aufgewachsen in der infrastrukturell nicht gerade vom Glück geküssten Provinz, hat es zahlreiche junge Menschen auf der Suche nach sich selbst, einem Sinn oder wenigstens ein bisschen Spaß nach Berlin verschlagen. Dort jagen sie weiterhin ihren Idealen oder ihrem Glück hinterher, meist mit übersichtlichem Erfolg. Diesen Typus verkörpert Mortis, diesen Typus spricht er an.
Wer nicht gerade in einer ähnlichen Lebensphase steckt, mag das verzweifelte, getriebene Kreisen um den eigenen Bauchnabel ein wenig eintönig finden. Ein ganzes Album dürfte die Thematik jedenfalls nur schwer füllen. Sieben EP-Tracks lang lässt sich das wiederkehrende Motiv allerdings schon aushalten, zumal Mortis die Situation, die er wieder und wieder skizziert, in überaus treffende Worte kleidet.
"Meine Generation hat keinen Martin Luther King, keinen Traum, keinen Raum für Zuversicht", versucht er, die Wurzel des Übels zu lokalisieren, den Grund für das diffuse Unbehagen, das alle seine Texte durchzieht. Aus seinen anschaulichen, teils packenden Formulierungen klingen Reizüberflutung, Müdigkeit und Abstumpfung. Das Heil suchen die Strauchelnden in der Flucht, in Alkohol, Drogen oder Partyexzessen. Ziel- und Zügellosigkeit gehen Hand in Hand.
Den Ausweg aus dieser Spirale liefert Mortis gleich mit: "Nur Talent holt die Menschen aus der Not." Gut für ihn, dass er welches mitbekommen hat. Wenn er behauptet: "Es ging nur um Musik", glaubt man ihm das angesichts seiner Produktionen sofort. Wie seine Inhalte und sein Rap zeigen zwar auch seine Instrumentale wenig Abwechslung. Die eine Stimmung, die er herauf beschwört, beherrscht Mortis allerdings virtuos.
Sein "Gutmensch Intro" gestattet einen treffenden Vorgeschmack darauf, was im "Goldenen Käfig" steckt: Über edel angejazzte, melancholische Klaviernoten lässt Mortis Elektrosounds und verwaschene Störgeräusche wehen, ehe der Bass das zarte Piano über den Haufen pumpt. Schon das illustriert, worum es Mortis geht: Suff, Party, der Kater danach, "zu viel Wahnsinn, alles zu komplex". "Engelsstaub" mäandert ebenso konfus durch die Straßen der Großstadt. Das Klavier wirkt hier bereits wie ein alter Bekannter.
"Zuhause" dagegen wagt einen Blick über die Schulter zurück in die alte Heimat. In ähnlich verwobener Soundästhetik quert unvermittelt eine Gitarre wie ein stacheliges Stück Tumbleweed die Szenerie. "Zuhause ists am schönsten", ätzt Mortis dazu den Frust heraus, der sich in einem etwas zarter besaiteten Jugendlichen in einem eher stumpfen Umfeld aufstaut. Er wirkt hier wie der nicht ganz so garstige, aber mindestens so gallige Geistesbruder von Grim104 - nur dass des einen "Zuhause" in Brandenburg, das des anderen im Südharz liegt.
Beats und Texte verraten bei all ihrer Gleichförmigkeit doch die vielfältigen Einflüsse, die Mortis legiert. Er zitiert die Dilated Peoples, Jay-Z und Nas, bedient sich aber auch bei Hip Hop-fernen Genres, im Rock oder Jazz, und spielt mit Kontrasten, wenn er etwa in Titeltrack dem Streichergewimmer harten, dennoch fast poppigen Synthiesound entgegen stellt.
"Wir sind lachend auf dem Sprung Richtung Abgrund", schallt es aus dem Refrain zu "Abgrund", zu dem Marteria einen Vers beisteuert. "Mal sehen, wie weit wir kommen." Wenn es Mortis irgendwann aus der einen, nun ausgiebig beleuchteten Ecke heraus schafft: bestimmt noch ein ordentliches Stück.
4 Kommentare
Der perfekte Soundtrack für die Generation Jammerlappen.
überraschend unscheiße
Mortis jetzt ohne Cap und mehr Volumen im Haar. Statt dreckige Raps über noch dreckigere Beats gibt er jetzt den Hybriden aus Casper und Marteria. Kann ich nicht viel mit anfangen, "Zuhause" ist der einzige Track der mich annähernd überzeugt. "Ich steh am Kottbusser Tor, bewerfe Hipster mit Kot" - Wirf nach oben.
"Zuhause" finde ich ganz interessant. Nicht weil er musikalisch gut ist, sondern weil er eigentlich ziemlich treffend das Provinz-Dorf Millieu beschreibt. Man verachtet es und gleichzeitig kann man nicht leugnen dass man auch daher kommt und Teil davon ist.