laut.de-Kritik

Neuaufnahme ihres Debütalbums "Tigerlily".

Review von

1995 veröffentlichte die Sängerin von 10,000 Maniacs nach ihrem Ausstieg ihr Solodebüt "Tigerlily". In Begleitung befreundeter Musiker in ihrem Haus in Upstate New York aufgenommen und selbst produziert, war es kein glattgebügeltes Pop-Rock-Produkt, das sich Hoffnungen auf eine Chartplatzierung machen konnte. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, hat sich das Album fünf Millionen Mal verkauft.

Seitdem hat Merchant weitere beachtenswerte Werke herausgebracht, sich aber ab 2004 zunehmend zurückgezogen, um sich um ihre Tochter zu kümmern. Gelegentlich betritt sie noch die Bühne, veröffentlichte 2009 das großartige Album "Leave Your Sleep" und 2014 das ordentliche "Natalie Merchant". Ein wahres Comeback, zumindest live, ist aber nicht in Sicht.

2015 folgt also die überarbeitete Version von "Tigerlily". Die meisten Künstler hätten für solch ein Unterfangen einen Saal mit anständiger Akustik gebucht, zwei Konzerte gegeben und dann die besten Versionen ausgewählt. Merchant hat mit der üblichen Akribie dagegen ein Jahr lang an der Aufarbeitung Ihrer Vergangenheit gearbeitet. Sie hat Orchesterparts geschrieben, eine Band zusammengestellt, zu der auch ihr treuer Gitarrist Gabriel Gordon und eine Streichquartett gehören, dazu noch einen Film gedreht, in dem sie versucht zu verstehen, warum das Album so erfolgreich war. Neben der Darbietung der neuen Versionen kommt auch ein bunt gemischter Haufen Fans und ihre damalige Gitarristin Jennifer Turner zu Wort. Dazu erzählt Merchant im Schnelldurchgang ihr erstes Leben als Sängerin von 10,000 Maniacs.

Damals wie auch hier übernahm sie die Produktion. Das sei der Anstoß gewesen, erklärt sie im – wie immer – üppigen und liebevoll gestalteten Booklet. Sie wollte sich nicht reinreden lassen und habe mit Beharrlichkeit durchgesetzt, dass sie sich um alles kümmern durfte. Genau das störe sie im Nachhinein, vieles wirke unvollendet und nicht bis zum Ende durchdacht. Angefangen bei ihrer Stimme.

In einer gewissen Hinsicht hat sie recht. Das Schlagzeug klang damals zu scheppernd und dominant, der Versuch, jedem Stück einen anderen musikalischen Anstrich zu verpassen, mutete teilweise krampfhaft an. Doch die Stimme war schon damals, was sie heute ist: göttlich. Vor 20 Jahren klang Merchant noch jugendlicher und unsicherer, doch schwang auch die Freude über den Neuanfang mit.

Die Stimme ist heute noch unverkennbar ihre, sie ist einen Hauch dunkler geworden und hat an Tiefe gewonnen. Doch der damalige Enthusiasmus ist verloren gegangen. Und der war es, der den Liedern mit ihren sperrigen Themen das besondere etwas gab, wie sie selbst meint.

Manche Stücke kommen tatsächlich vollendeter rüber. So passt die Streicher-Begleitung tatsächlich gut zu "My Beloved Wife", wie auch zu "I May Know The Word". Das einzige frivole Stück des Albums, "Jealousy", singt Merchant wirkungsvoll im Duett mit der Sängerin Simi Stone. Anderen Stücke klangen vor 20 Jahren dagegen besser, was vor allem am Einsatz der jungen wie begabten Gitarristin Turner lag, die etwa "Carnival" das gewisse Etwas verlieh.

Das schönste Stück war und ist das abschließende "Wonder", das von behinderten Menschen handelt, oder, wie Merchant sie bezeichnet, mit ungewöhnlichen Qualitäten gesegnet. Sie habe viele ergreifende Geschichten von Betroffenen und ihren Eltern erlebt, erzählt sie. Besonders ans Herz gewachsen seien ihr die Zwillinge Kate und Kelly Daley, die an einer seltenen wie sehr schmerzhaften Hautkrankheit litten. Bewegend lässt sie sie im Film zu Wort kommen und interviewt deren Mutter, die von den schönen gemeinsamen Momenten und ihrem Tod erzählt.

Auch wenn die meisten Lieder nicht dazu gewonnen haben, ist "Paradise Is Here" (eine Zeile, die aus "San Andreas Fault" stammt) eine liebevolle und hörenswerte Hommage. Nicht an sich selbst, sondern an jenes kleine Wunder, das ein Lied darstellt. "Ein Lied zu schreiben ist eine intime Handlung. Doch mit der Zeit, während es sich von dir unabhängig macht, kann ein Lied eine außerordentliche Kraft entwickeln. Ich glaube fest daran, dass Lieder ein Eigenleben haben und uns überdauern" erklärt Merchant ganz zum Schluss des Films. Einige der Stücke aus "Tigerlily" sind ein guter Beweis dafür.

Trackliste

CD

  1. 1. San Andreas Fault
  2. 2. Beloved Wife
  3. 3. Carnival
  4. 4. River
  5. 5. The Letter
  6. 6. Where I Go
  7. 7. I May Know The Word
  8. 8. Seven Years
  9. 9. Cowboy Romance
  10. 10. Jealousy
  11. 11. Wonder

DVD

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