laut.de-Kritik
Neal Morse ist ein Entertainer, der sein Publikum zu fesseln weiß.
Review von Yan VogelDas Selbst im 21. Jahrhundert liegt in Trümmern. Im Bewusstsein, das Glück nach eigenem Gusto schmieden zu können, setzt man mühsam zusammen, was am nächsten Tag schon wieder einer Generalüberholung bedarf. Die Illusion des Anything Goes mündet in ein Rien Ne Va Plus. Dem stetigen Drang der Neuerfindung zu trotzen, gilt heutzutage als ewig gestrig. Doch lässt sich der Traditionalist gerne als solcher brandmarken, steht für ihn doch fest, sich im Besitz einer allgemein gültigen Weisheit zu befinden.
Neal Morse hat seinen Frieden mit sich geschlossen. Und doch benötigt sein Glauben stetige Manifestation. Und so sind die zahlreichen Veröffentlichungen zu erklären. Ein zyklisches Ritual aus Jubel, Zweifel und Happy End.
Vorläufiger Höhepunkt: Das Morsefest. 2014 erstmals aus der Taufe gehoben, wird es in den kommenden Jahren ein Hort der Glückseligkeit werden, an dem die überbordenden, vom christlichen Glauben motivierten und musikalisch zwischen Pop, Prog und Rock pendelnden Konzeptalben ihrer Aufführung harren. Welcher Ort könnte dafür besser geeignet sein, als Neals Heimatkirche in Nashville, die vielleicht Platz für 200 Leute bietet, aber deshalb auch den intimen Charakter einer Clubshow besitzt.
Den Anfang machte im letzten Jahr Neals erstes Album Testimony, sein persönliches Glaubensbekenntnis, das im Zugabenteil noch Auszüge aus Testimony 2 enthält. Den zweiten Abend bestritt das kleine Symphonie-Orchester um das Drummonster Mike Portnoy mit der Aufführung des kompletten zweiten Soloalbums One mit sämtlichen Bonustracks. Auch wenn man sich häufig dabei ertappt, dass Neal Morse spätestens mit The Whirlwind alles erzählt hat, schaut man trotzdem gebannt auf das musikalische Geschehen, das so gar nicht einer High-End-Show entspricht. In Punkto Bild und Sound bedient die DVD-Nachlese die aktuellen Standards, ohne sich in unnötigem Ballast zu ergehen. Das technische Niveau der Begleitband ist schwindelerregend, fast alle Songs bestechen mit ohrenschmeichelnden Melodien und die Begeisterung des Frontmans kennt keine Grenzen. Das Wort Authentizität, meistens als werbewirksame Worthülse missbraucht, trifft hier vollends zu.
Neal Morse ist ein Entertainer, der sein Publikum zu fesseln weiß, sei es mit seiner Gesangsstimme oder mit Anekdoten zwischen den Stücken. Daneben zockt er meisterhaft auf dem Piano und der Gitarre. Als dann noch sein Bruder Alan die Bühne nicht nur betritt, sondern im Spock's Beard-Meisterwerk "The Light" diese in Grund und Boden soliert, mag man fast daran glauben, dass da der leibhaftige Gott aus Neal Morse zu einem ins Wohnzimmer proggt. Gäbe es hierzulande solch bodenständig rockige Gottesdienste, man wäre fast geneigt, wieder die Kirche zu besuchen. Aber lassen wir selbige in Nashville. Auch wenn einen die Jubelarien auf Jesus auf den Nerven rumlatschen und die Musik mit den christlichen Konzepten untrennbar verbunden ist, bleibt die Bewunderung für ein musikalisches Talent, das nicht müde wird, dieses unter seine Jünger zu bringen und einen nimmermüden Geist, der seine Bestimmung gefunden hat.
1 Kommentar
ich bin werder gläubiger christ noch sonstirgendwie metaphysisch verkorkst, aber dieses livealbum sprüht förmlich vor spielfreude und strotzt vor liebe an der musik und dankbarkeit am leben selbst. ein feelgood livealbum mit geringer abnutzungsgefahr, dass umsomehr spass macht wenn man das gesamtwerk und die geschichte von Neal Morse schon ein bisschen kennt.