laut.de-Kritik

In Stratford war die Welt noch in Ordnung.

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Am 19. März 2021 überraschte Neil Young die Abonnenten seines Webarchivs mit einer persönlichen Mail. Das war ungewöhnlich. Zwar äußert er sich regelmäßig zu allen möglichen Themen auf dem einer Tageszeitung nachempfundenen "The Times-Contrarian", doch eine Botschaft in dieser Form? Natürlich ging es um Geld. Der zunächst kostenlose Zugang war recht schnell in ein Abo umgewandelt worden, zum moderaten Preis von 19,99 US$ pro Jahr. Ab sofort sollte diese Grundversion "Classic" heißen. Für 39,99 US$ gäbe es nun zusätzlich "Rust", mit Filmmaterial, Konzertaufzeichnungen und einem Forum, in dem sich die Besucher der Gigs austauschen können. "Patrons", also Gönner, dürften dann noch mal 70 US$ drauflegen, um das Archiv zu fördern.

Nun ist es nicht so, dass Young Geldprobleme hat, im Gegenteil. Anfang Januar 2021 gab der Investmentfonds Hipgnosis Song Fund bekannt, 50 % an Neil Youngs Musikverlagsrechten erworben zu haben. Eine Summe nannte keine der Parteien, laut BBC sollen 150 Millionen Dollar geflossen sein. Nicht schlecht, auch wenn lange nicht so viel wie bei Bob Dylan, der erst kurz davor 300 bis 500 Millionen Dollar für seine Rechte bekommen hatte. Für 100 % des Katalogs, allerdings nur für halb so viele Songs (etwa 600 bei Dylan und 1180 bei Young).

Wie auch immer, viel Geld, das einen schalen Geschmack hinterlässt. War es nicht Young, der 1988 die zunehmende Kommerzialisierung des Pop-Business angeprangert hatte, mit dem Lied, das ihn nach mauen Jahren wieder in aller Munde brachte? "Ain't singin' for Pepsi / Ain't singin' for Coke / I don't sing for nobody / Makes me look like a joke", beteuerte er damals in "This Note's For You". Mal schauen, ob es dabei bleibt.

Hipgnosis-Vorsitzender Merck Mercuriadis, ein alter Hase im Musikgeschäft und bekennender Young-Fan, betont zwar, dass es keinen "Burger Of Gold" geben werde, in Anspielung an die erfolglose Anfrage einer Fast-Food-Kette, die 1973 Youngs erfolgreichstes Lied "Heart Of Gold" für einen Spot verwenden wollte.

Doch irgendwo muss das Geld ja wieder eingetrieben werden. Und somit kommen wir endlich zum vorliegenden Album. Zwar dürfte die Veröffentlichung noch vor dem Deal längst beschlossen gewesen sein, doch zeigt sie ein Grundproblem auf: Was könnte sich im mittlerweile gut durchforsteten Archiv noch finden, das sich in bare Münze umwandeln lässt?

"Young Shakespeare" ist ein Wortspiel, das sich aus dem Nachnamen des Sängers und der Ortschaft zusammensetzt, in der er am 22. Januar 1971 auftrat - Stratford. Allerdings im US-Bundesstaat Connecticut und nicht in England, wo der Dichter und Dramaturg geboren wurde und begraben liegt. Der Auftritt im Shakespeare Theatre war gerade mal drei Tage nach dem in der Massey Hall in Toronto, der bereits 2007 erschienen ist. Bis auf einen Song ist die Setlist gleich (in der Massey Hall spielte Young als Zugabe "I Am A Child", hier ist es "Sugar Mountain"), lediglich die Reihenfolge ist anders. Und noch eine Überschneidung gibt es: Das niederländische Fernsehen nahm die Konzerte für eine Übertragung auf, weshalb die Klangqualität gut ist. Gezeigt wurde der Film dann aber in Deutschland, mit Bildern aus Stratford und Tonspuren aus Toronto. Der Deluxe-Ausgabe dieses Albums ist eine DVD mit den bewegten Bildern beigefügt - angeblich die ältesten, die von Young solo existieren.

Über das Material an sich lässt sich nicht meckern, auch wenn man die Unterschiede mit der Lupe suchen muss. Der Auftritt aus Stratford sei "eine ruhigere Performance, ohne die feierliche Atmosphäre der Massey Hall, gefilmt live auf 16mm. 'Young Shakespeare' ist ein ganz besonderes Event. An meine Fans sage ich: das ist das beste überhaupt ... klanglich eine der reinsten Akustik-Performances, die wir im Archiv haben“, meint der Meister selbst dazu.

Wer "Needle And The Damage Done" aus Youngs erfolgreichstem, aber auch arg überproduzierten Album "Harvest" (1972) mag, kommt hier auf seinen Kosten. Was auch nicht wirklich verwundert, schließlich stammte jene Version von einem Auftritt in Los Angeles am 30. Januar 1971, also aus der Folgewoche. Er habe so viele neue Lieder geschrieben, dass er nicht wusste, was er damit anfangen solle - außer, sie zu spielen. Auch diesmal gelingt es Young, ein besonderes Verhältnis zu seinem Publikum aufzubauen, ob an der Gitarre oder am Klavier. Er erzählt einiges zu den einzelnen Stücken, auch wenn das Geklimper nebenbei eher nervt.

Neben bereits bekannten Stücken wie "Cowgirl In The Sand", "Down By The River" und "Ohio" (das in der elektrischen Version mit Crosby, Stills & Nash aber besser klingt) bietet Young auch noch unbekannte, spätere Klassiker wie "Heart Of Gold", "Old Man", "Journey Through The Past" und natürlich auch jenes "Needle And The Damage Done", das er in der Hoffnung geschrieben hatte, sein genialer Gitarrist Danny Whitten möge vom Heroin runterkommen, das ihn zugrunde richtete.

Was leider nicht klappte. Als Young ihn bei den Proben zur "Harvest"-Tour ein Jahr später rauswarf, setzte sich Whitten den goldenen Schuss. Und versetzte Young in eine tiefe Krise. Doch in Stratford war die Welt noch in Ordnung. Mit dem vielen Geld, das Young mit CSN verdient hatte, konnte er sich die Ranch kaufen, auf der er heute noch lebt. Er war frisch verliebt, hatte Erfolg, ohne im Mittelpunkt stehen zu müssen (was sich mit "Harvest" schlagartig änderte) und konnte seinen musikalischen Gedanken nachgehen. Das hört man dieser Aufnahme an.

Ein bisschen von seinem Herz aus Gold hat sich Young glücklicherweise bewahrt. In seiner Mail kündigte er an, auf der Webseite auch die Benefizauftritte veröffentlichen zu wollen, die er über viele Jahre für die Bridge School organisiert hat, die seine Kinder besuchten. Von 1986 bis 2016 fanden 30 davon statt, und Young gelang es, genreübergreifend so ziemlich alles, was Rang und Namen hat, einzuspannen. Unabhängig vom Abo soll man sie nach und nach für 9,99 US$ pro Konzert anschauen können. Der Beitrag fließt direkt an die Schule.

Trackliste

  1. 1. Tell Me Why
  2. 2. Old Man
  3. 3. The Needle And The Damage Done
  4. 4. Ohio
  5. 5. Dance Dance Dance
  6. 6. Cowgirl In The Sand
  7. 7. A Man Needs A Maid/Heart Of Gold
  8. 8. Journey Through The Past
  9. 9. Don't Let It Bring You Down
  10. 10. Helpless
  11. 11. Down By The River
  12. 12. Sugar Mountain

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2 Kommentare

  • Vor 3 Jahren

    Egal was, von wann und wie - Neil geht immer.

  • Vor 3 Jahren

    Selbst als Fan ist es durchaus nicht immer einfach, sich mit der Schwemme an Releases wirklich ernsthaft zu beschäftigen, mit denen Neil Young fortlaufend die Hörerschaft beglückt. Material aus den frühen 70ern kann es aber tatsächlich nie genug geben, auch wenn man das alles so oder so ähnlich alles schon mal gehört hat. Da macht auch diese Platte keine Ausnahme, trotzdem natürlich 5/5. Young muss damals live eine absolut faszinierende Erscheinung gewesen sein.