laut.de-Kritik
Ihre "You can't stop us"-Attitüde ist ungebrochen.
Review von Stefan Johannesberg"I know I'm playing a game I'm bound to lose but I'm not beaten yet” ("If I Am Still Me"), Justin Sullivan und New Model Army spielen weder wie Flasche leer noch haben sie fertig. Sie kämpfen. Immer noch. Nach 43 Jahren "Unbroken". Der Titel des 16. Albums malt es noch einmal allen auf die Stirn, egal ob Freund oder Feind: Wir sind gekommen, um zu bleiben und ihr werdet uns nicht besiegen. Der Wind gibt uns Kraft, wir sind free as a bird und lassen uns treiben. "Whichever way the wind comes blowing / Doesn't matter if we're coming or going, coming or going / So it will take us all directions, it will take us by surprise" ("Coming Or Going"). Und mag der Wind auch kalt sein, er ist Willkommen. "I only need a cold wind here on my face, I'm not going to cry / I need a cold wind here on my skin, blow me a kiss from the sky" ("Cold Wind"). Denn am Ende sind "we're all ghosts anyway, we're all ghosts anyway" ("Coming Or Going").
Trotz der "You can't stop us"-Attitüde reflektieren New Model Army ihre Taten und vor allem Worte aus der Vergangenheit. In "Language" setzen sie sich in Zeiten der sozialen Plattformen kritisch mit der Macht der Sprache auseinander. "The language of love will bring us love / The language of war will bring us war". Ist Justin "One Racist, one bullet" Sullivan doch sanft geworden? Oder ist es die Erfahrung und Erkenntnis des Alters, dass auch bei jeder Revolution ebenfalls Tausende sterben werden. "We all had our chances and we know that we blew it / And so we live with the lie even though we see clean right through it / And in your beautiful eyes I can see the manifest forming / It's the things that you fear the most that you’re going to make happen".
Zwischen den Mutmachern und Stinkefingern stellen New Model Army natürlich wieder tragische Geschichten von Menschen in den Mittelpunkt. Thematisch wird das Album von "First Summer After" und "Deserters" eingerahmt. Im "First Summer After"-Opener brechen junge Engländer scheinbar in den ersten Weltkrieg auf und finden sich auf dem Schlachtfeld wieder, ohne zu wissen, dass der zweite Weltkrieg bald folgen wird. "There were rumours on the highways, there were shadows of the war / It was the first summer after and the last summer before." Der Schlusstrack schildert dann die Flucht von Deserteuren aus eben jenen Kriegen. "Take only what we need, keep the powder dry / They only shoot deserters they can find."
In "I Did Nothing Wrong" landet ein Börsenmakler nach Betrug im Knast und versteht gar nicht, was er Böses getan hat, er saß doch nur vor dem Rechner. "I stare at numbers and stare at the screen". In "Legend" widmet sich Sullivan dem Leben von Tupac Shakur und wie dieser trotz aller Erfolge der Straße nicht entkommen konnte. "Reload" zielt auf die Oligarchen aus Osteuropa, die ihr Geld in der Karibik horten ("We get what we deserve are the precious little words that the billionaire oligarchs like to tell themselves / Sitting pretty at the tables of the bent casinos counting out the winnings from a fixed-up game of organised thievery") und ihre Gesellschaft ausbluten lassen. "And all we feel is rage and all we hear is rage / We're only fuel for them to burn, we're only fuel for them to burn".
Musikalisch zeigen sich New Model Army ebenfalls free flowing, kreativ und ungebrochen. Nach dem orchestralen, harmonischen "Sinfonia" erinnern sie sich für "Unbroken" auf Albumlänge an die krachigen Bass-Drum-Attacken, die fiebrig-atemlosen Verse und die kurzen, melancholischen Momente der Anfangsjahre. Der Sound aus dem bandeigenen Studio drückt die Beats jedoch dank Tchad Blake (The Black Keys, Robert Plant, Pearl Jam) dichter und breiter in die Nervenzellen als noch das Debüt "Vengeance" aus dem Jahre 1984.
Mit der letzten Zeile von "If I Am Still Me" rahmen New Model Army ihre gesamte Karriere ein: "The conventions that we're meant to live by make no sense to me / If they could see inside our thoughts, they would lock us up and throw away the key / I'm done with asking for forgiveness I never have deserved / It's time to call the time upon the time that I have served / I have to see if I am still me, I just have to see if I am still me". Der Weg ist das Ziel. Die Musik ist Selbstfindung, Selbstwirksamkeit und Lebenselixier in einem. Auf die nächsten 40, New Model Army sind wirklich "not beaten yet".
4 Kommentare mit 4 Antworten
In "First Summer After" geht's eher um die Zeit zwischen Corona und dem Ausbruch des Ukraine-Krieges, würde ich behaupten, da sich das Ende der Maßnahmen ("After all the days of waiting, we werde suddenly released") mit den ersten Kampfhandlungen in der Ukraine überschnitten, genauso wie mit der Zeit, dass die Band wieder auf dem Kontinent auf Tour gehen konnte ("we headed out East).
Okay, interessanter Punkt. Danke.
Da nicht für.
Interessante Co-Incidence? In einer insolventen Welt, kann die Aussetzung der Abwicklung nur durch Ausnahmezustände herbei geführt werden. Und das lässt ahnen, dass es mehr werden wird. Krankheiten, Kriege, und andere Katastrophen.-.
Korrektur: in „I did nothing wrong“ geht es nicht um Börsenhändler, sondern um Betroffene des englischen Postskandals (Royal Mail Horizon Skandal). Über 900 unschuldige Postangestellte wurden verurteilt, obwohl der Fehler in der verwendeten Fujitsu-Software lag. Im Januar 2024 gab es eine TV-Serie, in der das katastrophale Ausmaß erst zum Vorschein kam.
Super, vielen Dank für die Info (der Autor).
Dieser Kommentar wurde vor 9 Monaten durch den Autor entfernt.
Sehr mutig, diese völlig verbockte Rezi auf die Allgemeinheit loszulassesn.