16. März 2015

"Wär' ich doch zu 'TV total' gegangen!"

Interview geführt von

Der Wahlhamburger spricht über über "Vergesslich" und "Unvergesslich", Hochs, Tiefs und Riesen-Egos, über Beef und Kritik, die bösen Medien und übers Geldverdienen und kommt zu dem Schluss: Deutschrap befindet sich auf einem guten Weg.

Warum bin ich so vergesslich? Ich weiß es nicht! Nico Suave jedenfalls hatte ich, ehrlich gesagt, so gar nicht mehr auf dem Schirm, bis sich im vergangenen Jahr ein neues Album des Wahlhamburgers abzuzeichnen begann. Ende Februar war es endlich vollbracht, und schon der Albumtitel zwinkert zurück in Richtung seines lange zurückliegenden, dafür aber ganz großen Erfolgs: "Unvergesslich".

Obwohl mitten in den Vorbereitungen für seine erstaunlicherweise erste richtige Headlinertour, nahm sich Nico Suave reichlich Zeit für ein Gespräch - über "Vergesslich" und "Unvergesslich", Lampenfieber und Routine, Karrierere-Hochs und -Tiefs, "TV Total" und Helene Fischer, über Kritik und Kritikfähigkeit, Schutz der Privatsphäre, übers Geldverdienen, über Beef, die bösen Medien und die Entwicklung der hiesigen Rap-Szene.

Dein Album "Unvergesslich" war eigentlich schon für letzten November angekündigt. Bei der Lektüre des Infozettels hatte ich ein bisschen Angst: neue Mannschaft, neues Album, neuer Sound, neues Selbstbewusstsein ... Kriegen die Fans von früher überhaupt noch etwas vom alten Nico Suave?

Ja. Ich glaube, diese persönlichen Dinge, die ich im ersten Album drin hatte, dieses Intime, auch mal die Hosen runterlassen und frei nach Schnauze reden, das finden die Fans von früher auf jeden Fall auch auf dem neuen Album. Allerdings bin ich halt ein paar Jährchen älter. Min Leben sieht ein bisschen anders aus. Dementsprechend wirkt sich das sicher auf meine Musik aus.

Das Comeback fühlt sich angeblich an wie ein Debüt, heißt es da weiter. Wieviel Debütant steckt in dir, wieviel Routinier?

Ich sag' mal so: Über die Jahre hab' ich natürlich 'ne gewisse Erfahrung gesammelt. In allen Bereichen des Musikgeschäfts, auch in dem ganzen Live-Geschäft. Ich hab' mir, hoffe ich zumindest, 'ne gewisse Menschenkenntnis aufgebaut, dass ich nicht alles glaube, das mir erzählt wird und nicht jedem blind vertraue. Das ist mit Sicherheit ein bisschen Routine. Ich hab' da mehr Durchblick. Ansonsten fühlen sich viele Sachen wie neu an, weil sich ja auch das Musikgeschäft geändert hat. Der Markt hat sich komplett verändert. Insofern lerne ich extrem viele Sachen neu kennen. Generell Interviews zu führen, Leute zu treffen, über das Album zu sprechen ... das hab' ich alles so lange nicht gemacht, dass sich das auf jeden Fall alles wie neu anfühlt. Da ist es klar, dass es einem irgendwie auch wie ein Debüt vorkommt.

Hat man nach so vielen Jahren noch Lampenfieber?

Ja, definitiv. Da so viele Sachen neu sind für mich, bin ich natürlich ein bisschen nervös, was mich so alles erwartet. Wenn ich jetzt mal zurückblicke auf die Xavier Naidoo-Tour: Da jeden Abend vor Minimum 10.000 Leuten zu spielen, is' klar, das machst du nicht jeden Tag. Insofern is' da immer 'n bisschen Lampenfieber bei. Ich muss sagen: Das hab' ich über die Jahre auch nicht ablegen können. Nervös bin ich immer. (Lacht)

Klingt, als sei das 'ne ganz gute Generalprobe für deine eigene Tour gewesen. Da kann es jetzt ja eigentlich nur entspannter werden.

Ja. Klar. Aber man kann das ja nie vorher sagen. Es ist immer von Abend zu Abend unterschiedlich. Aber eine gewisse Grundnervosität ist immer vorhanden. Ich find' das auch gut, ehrlich gesagt. Dann bist du ein bisschen fokussierter und freust dich um so mehr, wenn alles glattgeht. Wenn ich das komplett ablegen würde, dann würde ich irgendwann vielleicht auch emotionslos an so einen Gig rangehen. Das will ich gar nicht. Insofern find' ich das gar nicht so schlimm. Als Problem seh' ich das jedenfalls nicht an.

Hilft es, wenn man so einen Singleerfolg wie "Vergesslich" im Rücken hat, oder empfindest du das eher als eine Bürde?

Nee, überhaupt nicht. Weil dafür liegt der Track zu weit weg. Wenn ich den Song letztes oder vorletztes Jahr veröffentlicht hätte, und dann das Album hinterher, dann glaub' ich schon, dass du irgendwie sagst: Okay, an so einem Erfolg werd' ich gemessen, ich will daran anknüpfen. Dann baut man mit Sicherheit einen gewissen Druck auf. Da ich lange Zeit weg war und mich niemand so richtig auf dem Zettel hatte, gab es diese richtige Drucksituation von außen gar nicht. Ich selber hab' mir natürlich musikalischen Druck gesetzt. Dass ich gesagt hab': Ein gewisses Level muss die Platte definitiv erreichen. Wir haben die Messlatte sehr hoch gesetzt, insofern gab es schon einen gewissen Druck. Aber von außen haben wir das nicht gespürt. Und "Vegesslich": Es ist ja eher was Schönes, einen Song zu haben, mit dem Menschen aufgewachsen sind. Ich seh' das eher als positiven Nebeneffekt als als ein Druckmittel, das irgendwie gegen mich verwendet werden könnte.

Es nervt also auch nicht mehr so gewaltig, in der Wahrnehmung der Leute auf diesen einen Song reduziert zu werden?

Nee, gar nicht. Wie ich vorhin schon meinte: Ich bin ja froh, einen Song zu haben, an den sich die Leute erinnern. Ja. Ich hab' diesen Song, ehrlich gesagt, jahrelang gehasst. Ich hab' ihn wirklich gehasst. Ich hab' ihn nicht live gespielt. Es war wirklich so: Oh, Gott! Ich komm' gerade ganz neu in dieses Hip Hop-Geschäft, und auf einmal schieß' ich durch die Decke, Leute erkennen mich auf der Straße, Radios spielen meinen Song, das läuft auf MTV, auf VIVA ... Ich bin ja nie an die Sache Musikmachen heran gegangen mit dem Vorsatz: Ich möchte ein Star werden, alle Kameras auf mich! Sondern ich hab' Musik gemacht, das war eine Leidenschaft von mir, ein Hobby, und ich hab' halt irgendwie Glück gehabt, dass ich das auf einmal zu meinem Beruf machen konnte. Das war immer mein Ansatz: gute Musik zu machen. Das war teilweise echt schon zu viel für mich, dass auf einmal jeder diesen Song gepumpt hat. Das hat mich natürlich gefreut, aber ich war soweit, dass ich dann zum Beispiel "TV total" abgesagt hab', zweimal, weil ich irgendwie dachte, ich will mir erstmal was aufbauen, bevor ich jetzt auf allen Mainstream-Kanälen rauf- und runterlaufe. Darum hab' ich den Song, wie ich schon gesagt hab', live gar nicht gespielt, bis ich irgendwann gemerkt hab', dass das der einzige Track ist, den die Leute von mir kennen. Also hab' ich gesagt: Komm, den will ich doch live spielen. Es macht Spaß, wenn die Leute den mitgrölen, das ist schon cool.

Einen Hit zu haben, ist ja auch nicht unbedingt, was ein Musiker verachten sollte.

Nee!

Du hast in anderen Interviews gesagt, dass du von dem Erfolg damals auch teilweise überfordert warst.

Ja, auf jeden Fall! Es ist halt schwierig. Wie ich gerade schon meinte: Du gehst durch die Fußgängerzone, machst dein ganz normales Ding, und auf einmal rufen dir fremde Leute von der anderen Straßenseite her quer rüber hinterher. In der Innenstadt, egal, wo du warst, in der U-Bahn, wo auch immer: Die Leute haben dich erkannt. Das war mir mit Anfang zwanzig irgendwie too much, ehrlich gesagt. Das ging mir alles zu schnell.

Jetzt liegt das ja schon ein paar Jahre zurück. Glaubst du denn, du kämst heute besser damit klar?

Weiß ich nicht. Kann ich, ehrlich gesagt, noch nicht so richtig absehen. Das wird man vielleicht in den nächsten Monaten sehen. Natürlich, da ich jetzt ein paar Jährchen älter bin, ja schon lange Musik mache und mich jetzt nicht abschreckt, sag' ich mal, wenn Leute ein Autogramm von mir wollen, glaub' ich schon, dass ich heute ein bisschen besser damit umgehen könnte. Damals ... ich kam aus 'ner kleinen Stadt, bin nach Hamburg gezogen, zwei Monate später wurde ich auf der Straße erkannt - das ging alles sehr schnell. Das hat mich überfordert. Natürlich hab' ich mich nicht in meine Wohnung eingeschlossen und gedacht: Oh, mein Gott, was passiert denn gerade?! So wars nicht. Aber es war irgendwie ein bisschen zu viel des Guten. Mittlerweile glaub' ich schon, dass ich besser damit umgehen könnte. Mit Sicherheit.

Lässt sich so ein Erfolg wie damals überhaupt wiederholen?

Das weiß ich nicht. Das steht auf 'nem ganz anderen Blatt Papier, das hat jemand ganz anderes in der Hand. Ich würd' mich natürlich freuen, wenn das Album erfolgreich wird. Beziehungsweise: Für mich ist es schon megaerfolgreich. Aber es ist ja auch eine andere Zeit, und man hat damals ein ganz anderes Gefühl gehabt ... Das ist eine schwierige Frage und schwer zu beantworten. Das ist ungefähr das Gleiche, wie wenn du jetzt einen Fan nimmst, der sich den alten Nico Suave wünscht: Das Gefühl, das du hattest, vor 14 Jahren, als du mein Album gehört hast, dieses Gefühl kann ich nie wieder herstellen. Ich werd' nie wieder ein Album spielen können, das genau das Gefühl bei dir auslöst wie vor 14 Jahren. Weil da ganz andere Erinnerungen dranhängen. Für mich ist es der größte Erfolg, dieses Album fertig zu haben, und ich geh' auf 'ne eigene Tour. Ich war, glaub' ich, noch nie auf einer wirklich eigenen Nico Suave-Tour. Wir haben das Album unter so viel Stress und Problemen fertig bekommen und ich bin so froh, dieses Album in der Hand zu halten, dass ich für mich schon viele Erfolge gesammelt hab'. Mit Naidoo auf Tour, Bundesvision Songcontest, et cetera pp ... Ich glaube, es fühlt sich jetzt schon erfolgreicher an als vor 14 Jahren.

Na, darauf kann man doch aufbauen. Du hast selbst angesprochen, dass du damals Sachen wie "TV total" einfach abgesagt hast. In den letzten Monaten warst du beim Bundesvision Songcontest, bei "Sing meinen Song", bei Gottschalks Klassentreffen ... Deine Berührungsängste zu Mainstream-Medien scheinen sich erledigt zu haben.

Früher war es so: Du durftest nicht der Sell-Out-Rapper sein. Es gab ungeschriebene Gesetze im Hip Hop: Ich fand es selbst komisch, andere Kollegen in Formaten zu sehen, wo sie meiner Meinung nach nicht hinpassten. Wir Rapper standen uns damals eigentlich oft selbst im Weg. Ich bin der festen Überzeugung, dass du mittlerweile jede Bühne für dich nutzen kannst, so lange du du selbst bist. So lange du authentisch dein Ding, egal, wo du auf der Bühne stehst, machen kannst: Dann mach' es! Ob, jetzt mal überspitzt gesagt, in der Helene Fischer-Show oder ... egal! Du hast 'ne Plattform, ein Forum: Nutz' das. Mach dein Ding, und zwar so gut, wie du kannst. Es wird immer Leute geben, die das haten, und es wird immer Leute geben, die das gut finden. Jedem kannst du es eh nicht recht machen, weißte?

Gehören Fernsehauftritte heute einfach dazu?

Ja ... was heißt, "gehört dazu"? Ich kenn' 'ne Menge Leute, die sagen: Das mach' ich generell nicht. Aber ich glaube, es kommt immer auf den Track an. So ein Song wie "Danke", der natürlich in der Art von Xavier Naidoo ist, der als Künstler ein ganz anderes Ansehen und eine ganz andere Größe erreicht hat als ich, der spricht eine viel größere Masse an Leuten ganz unterschiedlicher Form an: Rap-Fans, Pop-Fans, whatever. Die Thematik des Songs - wie feiern unsere Väter, die beide nicht mehr leben: Ich glaube, es gibt 'ne Menge Leute da draußen, die jemanden verloren haben, auf ihrem Weg, der ihnen sehr nahe war. Insofern glaube ich, mit 'nem Song wie "Danke" kannste überall auftreten. Damit hätten wir, glaube ich, auch in der Helene Fischer-Show auftreten können, krass gesagt. (Lacht)

Nachdem du die schon zum zweiten Mal erwähnst: Ist da was im Busch?

(Lacht) Alter! Das ist natürlich krasse Fiktion! Das ist nur ein Beispiel für das komplette Gegenteil von einem Rap-Künstler. Den ZDF-Fernsehgarten hab' ich abgesagt, übrigens. Es gibt also irgendwie doch 'ne Grenze.

Gibts im Gegenzug auch Formate, die dich besonders interessieren? Bei denen du sagst: Da würde ich wirklich gern hingehen? ... Helene Fischer?

Es gibt natürlich gewisse Musikformate, bei denen ich mir denke: Klar, da würde ich reinpassen. Auf Eins Plus - oder Eins Festival? - "Beats" heißt die Sendung, glaub' ich. "HalliGalli" könnte ich mir auch vorstellen. Es ist aber alles sehr begrenzt. Im Fernsehen findet gar nicht mal so 'ne Menge statt, wo ich mir denke, da pass' ich rein oder das macht Sinn für mich. Keine Ahnung. Schwer zu sagen.

Formate, bei denen du dir sagst, da würd' ich auf gar keinen Fall hingehen - die gibts aber?

Ja, genau. Wie gesagt: Fernsehgarten hab' ich abgesagt. (Lacht)

"Wo es abgeht, da schaust du hin!"

Es kommt alles zurück: Vor fast 15 Jahren hast du uns im Interview gesagt: "Die Medien machen den Hip Hop kaputt." Hat sich diese düstere Prophezeiung bewahrheitet?

(Überlegt) Na, ja. Ein Stück weit. Ich fand es schon krass, dass eine Zeit lang Künstler wie ich kein Land gesehen haben, in der Medienwelt. Weil es uninteressant war und sich die Medien natürlich immer auf das stürzen, das gerade angesagt ist. Als Hamburg angesagt war, wollte jeder mit mir ein Interview machen. Drei Jahre später, als Aggro Berlin angesagt war, da fielen die Türen halt nacheinander zu. Ich glaube, dass Medien das Ganze schon steuern können, aber mittlerweile ist es anders. Durch das Internet hat es jeder Künstler, zumindest teilweise, selbst in der Hand. Früher, als es das Internet noch nicht gab, warst du darauf angewiesen, dass irgendwelche Formate mit dir ein Interview machen, weil du ja sonst nie irgendwo auftauchen würdest. Insofern kann man das nicht so richtig sagen, weil, wie gesagt: Seit vielen Jahren gibts das Internet, über das sich Künstler selbst promoten und sich 'ne Fanbase schaffen können. Heute kann ich das also so nicht mehr zu hundert Prozent unterschreiben.

Du hast damals außerdem gesagt, die Medien wollten, dass es im Hip Hop immer mehr Beef gibt. Scheint, als sei das eingetreten.

Es ist ja so: Was interessiert dich da draußen am meisten? Wenn mich jemand fragt: Komm, lass' mal ins Kino gehen, lass' mal den neuen Liebesfilm von keine-Ahnung-wem ankucken - oder hättest du eher Bock auf den neuen Jason Statham-Actionfilm? Da sag' ich doch auch: Da geh' ich eher zu Jason rüber und zieh' mir 'nen Actionfilm rein. Genau so ist es natürlich auch mit der Musik, in der kompletten Entertainment-Branche. Jeder will unterhalten werden, und wo es abgeht, da schaust du hin. Wenn du auf der Straße marschierst, und rechts ist ein Pärchen, das wild rummacht, und im gleichen Augenblick hat links jemand jemandem auf die Fresse, dann geht dein Blick ganz schnell auf die Schlägerei. Das ist im Hip Hop genau so. Wir sind in der Entertainment-Branche. Ich versteh' das auch. Aber ich mach' den Sound halt nicht. Für mich ist Musik nicht In-den-Krieg-Ziehen, deswegen bin ich da raus.

Interessiert dich privat dieses Hickhack, wer mit wem gerade kann oder nicht, überhaupt? Verfolgst du das?

Nö, ich verfolg' das nicht. Ich krieg' das aber natürlich zwangsläufig mit, weil sich halt alle darüber unterhalten. Insofern: Klar krieg' ich das mit und bild' mir auch 'ne Meinung. Oder keine, weils mir dann egal ist. Aber du kommst da kaum dran vorbei, weil mein komplettes Umfeld sich natürlich online bewegt, da, wo es abgeht. Klar kriegst du dann zwangsläufig alles mit.

Der Klatsch holt uns alle ein - genau wie alte Aussagen. Du hast mal gesagt, früher sei es den Majorlabels darum gegangen, ob einer was kann, heute nur noch um Klickzahlen. Könnte das eine romantisch verklärte Sicht auf die Vergangenheit sein?

Nee! Ich meine, das ist ja so: Erfolg wird ja nicht unbedingt an Qualität gemessen. Erfolg hat ja mit vielen Dingen zu tun. Es gibt die schlechtesten Musiker da draußen, die können sich aber gut verkaufen. Ich kenn' einen, der kann dir alles verkaufen. Der verkauft dir auch Schrott und du denkst, du hättest ein High-End-Produkt in der Hand. Weil das eben das Ding ist. Natürlich: Plattenfirmen wollen Geld verdienen. Okay, du machst gute Musik, du hörst dich auch okay an, aber du hast auch grade 'nen Hype, also nehm' ich dich unter Vertrag. Die großen Firmen, ne? Ich sprech' hier nicht von Indie-Labels. Viel Schrott verkauft sich trotzdem gut, und das ist immer interessant für ein Label. Weil es natürlich am Ende des Tages um Geld geht.

Das war aber früher doch nicht anders. Da wollten die doch auch schon Geld verdienen.

Klar wollten die früher auch Geld verdienen. Aber früher ... wie soll ich das sagen? Kuck' mal, heutzutage ist das so: Wenn du einen Hype genießt, im Internet, bist du zackzack bei 'ner Million Klicks. Das geht ratzfatz. Es kann schnell gehen. Und dann stürzt sich ein Label drauf. Früher war es so: Ey, haste schon von dem und dem Rapper gehört? Der soll krass sein. Ja, da geh' ich mal aufs Konzert, zieh' mir das mal rein, lass' mir mal ein, zwei, drei Tracks schicken. Ich glaube, dass man da schon immer noch ein bisschen mehr auf Qualität geachtet hat. Das ist meine Meinung. Natürlich hab' ich nie bei ein einem Label gearbeitet, und das ist vielleicht auch nur 'ne Theorie, die ich da aufstelle. Meine Meinung. Die muss man nicht vertreten, ich vertrete sie. Ich finde schon, dass du heute leichter zu 'nem guten Plattendeal - oder auch schlechten Plattendeal - kommst, auf jeden Fall schneller zu einer Plattenfirma, die sagt: Wir investieren mal schnell 'n paar Euros in dich, damit wir da vielleicht 'nen Fang machen. Aber ich bin nicht der Allwissende. Das ist nur meine Meinung. Ob du die jetzt teilst oder nicht.

Trotzdem - oder vielleicht genau deswegen - hast du neulich gesagt, es herrschen gute Zeiten für Hip Hop.

Ja, klar. Hip Hop ist präsenter denn je. Es gibt so viele verschiedene Facetten von Hip Hop und von Rap, was ich als sehr positiv empfinde. Und vor allen Dingen kriegt auch jede Nische irgendwie ein Shining. Früher gabs in Hamburg Rap, zu meiner Zeit, da hatte Berlin gar nix zu melden. Alle haben sich auf Hamburg gestürzt. Dann war Hamburg uninteressant, da gabs Berlin. Alles aus Berlin war geil, alles aus Hamburg war scheiße. Heutzutage ist egal, wo du herkommst, egal, welchen Sound du machst: Du hast irgendwie die Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu erzielen. Deutscher Rap marschiert regelmäßig in die Top-Ten der Charts und es wird größer und größer. Das seh' ich persönlich als sehr positiv an. Definitiv. Die Leute haben endlich begriffen, dass das eine ernst zu nehmende Musikrichtung ist. Wir haben es ja nicht erfunden. In Amerika, zum Beispiel, egal, wo du hinkommst: Es läuft Hip Hop. Rap ist seit Jahren eine der anerkanntesten, wenn nicht die anerkannteste Form von Musik, in Amerika. Das haben wir Deutschen nie geschafft. Aber ich bin der Meinung: Langsam sind wir auf einem ganz guten Weg.

Hängt damit auch zusammen, dass gerade so viele aus deiner Generation wieder auftauchen? Leute, die eigentlich schon mehr oder weniger weg vom Fenster waren, wie Denyo. Ferris macht wieder ein Album, von Dendemann hab' ich in letzter Zeit wieder häufiger gehört ...

Genau. Ich kann da nur von meinem Musikgeschmack sprechen. Wenn ich mal zurückblicke: Lange Zeit, bis 2005, 2006, hab' ich mir immer gedacht: Krass, die alten Hasen, wenn die was releasen, dann ist es immer noch dope. Aber wo sind die neuen Leute? Wo kommt mal einer an die Oberfläche, bei dem ich mir persönlich denke: Wow! Krass. Krasser Rapper, krasses Album, was auch immer: krasser Typ. Dann sind viele alten Hasen, inklusive mir, von der Bildfläche verschwunden und haben andere Sachen gemacht. Und natürlich kamen immer mehr neue Rapper dazu, die geilen Kram machen. Und jetzt kommen ein paar alte wieder zurück. Aber selbst, wenn wir nicht zurückkommen würden, gibts 'ne Menge Hip Hop oder Rap da draußen, der geil ist. Die Orsons, die ich sehr abgefahren fiunde. Moop Mama is' 'ne coole Gruppe. Es gibt Shawn The Savage Kid, 'n Rapper, ich glaub', aus Berlin. Es gibt Marteria, es gibt Fatoni aus München. Es gibt Ali A$. Den gabs auch schon früher, aber jetzt scheint er gerade extrem. MoTrip ... es gibt so viele verschiedene Rapper, die alle für dich stehen. Da denk' ich mir: Geil! Rap ist auf einem coolen Weg.

Das Angebot wird immer breiter - vielleicht auch, weil man derzeit mit deutschem Hip Hop ganz gut Geld verdienen kann?

Pfffff ... Is' das so? Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass du mehr Geld verdienen kannst als früher, weil früher die Gagen immens waren. Weil es einfach auch 'ne breite Masse an Festivals gab, wo du live einfach abkassieren konntest. Früher war der Plattenmarkt ein ganz anderer, du hast viel mehr Platten verkauft. Außer, du bist heute ein Marteria oder Casper oder Kool Savas, die verkaufen natürlich 'ne Menge. mein Ansporn war das nicht. Mich hat es erst mal einen Arsch voll Geld gekostet, mein Album zu machen. Und bis ich das Geld wieder drinhab', sag' ich dir ganz ehrlich, (lacht) da weiß ich gar nicht, ob das Album ausreicht.

"Wär' ich mal doch zu 'TV total' gegangen!"

Du hast zwischenzeitlich ja auch ganz andere Jobs machen müssen, um dich über Wasser zu halten. Ich hab' gelesen, du hast manchmal aufpassen müssen, dass du dabei nicht ehemaligen Weggefährten in die Arme läufst. Wär' das denn wirklich so schlimm gewesen?

Nein. Natürlich wär' das nicht schlimm gewesen. Aber Rapper haben riesige Egos. Rie-si-ge Egos! Und natürlich ist es schwer für einen selbst, wenn man merkt: Okay, 2001 bis 2004 hab' ich die großen Festivals gespielt. Ich hab' von der Musik gelebt. Ich stand in der Öffentlichkeit. Die Leute haben mich in einem gewissen Licht gesehen. Wenn du dann ein paar Jahre später, sag' ich mal, irgendwelche Getränke durch die Gegend schleppst, während die anderen auf der gleichen Veranstaltung Party machen, und du zwar ehrliches Geld verdienst, aber dich selber natürlich ein bisschen klein fühlst: Das fühlt sich komisch an. Aber natürlich: So lange du auf ehrliche Art und Weise dein Geld verdienst, muss man das respektieren und akzeptieren. Ich war nicht, ob ich nicht in einem oder zwei Jahren wieder in der Situation bin, irgendwelche Jobs machen zu müssen. Aber an einigen Stellen, in einigen Situationen, da wars schon so, dass ich dachte: Shit! Wär' ich mal doch zu "TV total" gegangen.

Ob es dann anders gelaufen wäre, steht ja auch nicht fest. Du hast dich 'ne Weile aus dem ganzen Hip Hop-Zirkus ausgeklinkt. War das eine bewusste Entscheidung? Die Umstände? Oder gab es den Punkt, an dem du dir gesagt hast: Wah, ich hab' einfach auf dieses ganze Theater keinen Bock mehr?

Alles in einem, würde ich sagen. Es gab auf jeden Fall Phasen, wo ich keinen Bock mehr hatte, Teil dieser Szene zu sein. Weil mir das alles irgendwie zu einseitig war und Rap auch von den Leuten, der Öffentlichkeit, komisch dargestellt und wahrgenommen wurde. Um nochmal auf die Medien zurück zu kommen: Ich hab' auch ein bisschen einen Hals auf die Medien geschoben, weil Künstler wie ich kein Land gesehen haben. Da wollte ich mich halt mal zurückziehen. Ich musste auch erst einmal für mich feststellen: Was möchte ich überhaupt für Musik machen und wo will ich hin? Mach' ich Musik vielleicht nur noch hobbytechnisch? Bau' ich mir ein zweites Standbein auf? Dann ist mein Vater gestorben, was für mich natürlich auch ein extremer Tiefpunkt war, verbunden mit anderen Todesfällen innerhalb der Familie. Das war auf jeden Fall auch eine heftige Zeit. Ich brauchte einen Ausgleich. Ich hab' ja trotzdem die ganze Zeit Musik gemacht, aber ich brauchte mal was anderes. Dann hab' ich zwei Jahre in einem Klamottenladen gejobbt - und das war gut für mich. Um einfach mal was anderes zu machen.

Du hattest also weniger die Musik satt als die Begleitumstände?

Ja, klar. Kuck' mal, ich mach' so lange Musik. Ich kann und will das niemals ablegen, weil das Musikmachen 'ne schöne Sache ist. Es ist mein Lebensinhalt. Insofern kann ich und werde ich das niemals ablegen.

Vor ein paar Jahren hattest du mit einem anderen Produzenten schon einmal ein Album so gut wie fertig. Woran ist das am Ende gescheitert?

(Überlegt) Das ist schwierig zu sagen. Es hat am Ende einfach auf menschlicher Ebene nicht mehr gepasst. Da musste 'ne Notbremse gezogen werden, und die hat er – und die hab' auch ich - gezogen. Wir haben gesagt: Okay, ab dem jetzigen Zeitpunkt gehen wir getrennte Wege. Somit war man von zehn Tracks herunterdividiert auf zwei. Wenn du bei so einer Plattenproduktion Licht am Ende des Tunnels siehst und denkst: Geil, ich bin fast fertig - und stehst dann auf einmal wieder mit nur zwei übrigen Tracks da, die du weiterhin benutzen kannst, da kannst du dir vorstellen, wie das ist. Wie wenn man ein Haus baut, du willst gerade anfangen, das Dach zu decken, und alles bricht zusammen, bis auf die ersten paar Steine, die du irgendwann vor Monaten mal gesetzt hast. Das ist natürlich ein Gefühl, wo du dir sagst: Fuck! Wie soll ich das jetzt wieder aufholen? Und mit wem, vor allem? Ich hab' lange gebraucht, um zu überlegen, mit wem ich das machen kann.

Man muss dann ja auch erst wieder frische Motivation zusammenkratzen.

Ja, klar! Wenn du weißt: Okay, da kommt ein krasses Album. Als Künstler denkst du ja immer, dass das, woran du gerade schraubst, das Geilste der Welt ist. Du weißt, es ist fast fertig. Somit hast du auch Aussicht auf einen Tonträger, den du live verkaufen kannst, auf zusätzliche Einnahmen. Wenn dir das alles wegbricht, dann bricht auch die Vision "Ich kann mir vielleicht mit Musik wieder ein Standbein schaffen" erst einmal weg. Du kannst dir vorstellen, wie sich das anfühlt.

In welche musikalische Richtung wär' das gegangen? Ähnlich wie "Unvergesslich"?

Nee. Death Metal wollte ich machen.

Is' klar.

Ja, ja, klar. Das war noch mehr Vintage als "Unvergesslich". "Unvergesslich" ist ja schon zum Teil, nicht nur, aber schon auch, poppig geworden. Und das war noch 'ne Spur dreckiger und funkiger. Mehr Funk- als Pop-lastig.

Vielleicht schade darum.

Ja, gut! Ja. Nein. Weiß ich nicht. Musikmachen ist ja immer so eine Momentaufnahme. Du weißt nie, was danach passiert. Kann sein, dass das nächste Album nur aus Samples und programmierten Beats besteht. Alles ist möglich.

In der Zeit, in der du weg warst, bist du auch mit dem Goethe Institut unterwegs gewesen. Gibt es da Erlebnisse, die dich besonders beeindruckt oder beeinflusst haben?

Ein Erlebnis war auf jeden Fall, dass ich in New York gestrandet bin, weil in Island ein Vulkan ausgebrochen ist. Ich musste über New York nach Berlin fliegen, also in New York umsteigen. Ich saß morgens ganz alleine in L.A., hatte nur 200 Dollar und keine Kreditkarte, und für mich war klar: Okay, für mich ist die Reise in New York erst einmal vorbei. Weiter gehts nicht. Da saß ich schon völlig lost in L.A. Ich hab' dann einen Kollegen kontaktiert, der zufälligerweise gerade in Manhattan war, und meinte: Ey, Digger, ich muss bei dir untertauchen, bei dir 'n paar Nächte pennen, weil: Ich komm' nicht weiter. Und er: Ja, kein Ding, bei mir schläft sowieso schon jemand, komm' vorbei. Das war wirklich tatsächlich das erste Mal, dass ich in New York war. Als ich dann wusste: Okay, ich bin safe, egal, wie viele Tage ich jetzt in New York strande, ich hab' ein Dach über dem Kopf, da war ich superrelaxt. Als ich dann die Skyline von New York gesehen hab', das war ein unbeschreibliches Gefühl. Einfach durch Brooklyn zu laufen, mit jemandem, der sich da auskennt. Abends haben wir dann zufälligerweise noch Snoop Dogg auf der Straße getroffen. Das war sehr inspirierend und unvergesslich, auf jeden Fall.

Rücken solche Reisen auch Prioritäten zurecht? Nimmt man danach manche Dinge nicht mehr so ernst?

Ich nehm' generell viele Sachen nicht sooo ernst. Ich glaub' schon, dass man ein bisschen mehr Dankbarkeit entwickelt, für das, was wir hier haben, in Deutschland. Wenn du erst mal in Usbekistan durch die Slums läufst und siehst, unter welchen Umständen die Menschen dort leben und aufwachsen, dann kannst du schon sehr froh sein, dass du hier 'ne Schule hast, wo du was lernen kannst, dass du hier einfach so viele Optionen hast, aus deinem Leben was zu machen. In anderen Ländern sind die Optionen zum Teil einfach sehr, sehr begrenzt. Da du natürlich immer das, was du hast, nicht so schätzt, sind solche Reisen ganz gut. Weil du dich da immer wieder darauf besinnen kannst, dass du happy sein kannst, in Deutschland aufzuwachsen.

Wenn du sagst, du nimmst dich selbst generell nicht so wahnsinnig ernst: Wie sieht es mit Kritik oder Kommentaren aus? Fühlst du dich davon getroffen?

Nö. Gar nicht. Erst mal muss ich aktuell sagen, dass ich nicht die Zeit hab', mir großartig die Kommentare durchzulesen. Ich kann definitiv mit Kritik umgehen, weil ich nur Kritik an mich heranlasse von Leuten, die ich respektiere, weißte? Wenn jetzt irgendjemand daherkommt, mich beleidigt und alles scheiße findet, das ich mache, dann ist mir das relativ egal. Wenn ich anfangen würde, das an mich ranzulassen, dann dürfte ich mich nicht in die Öffentlichkeit bewegen. Wenn du jetzt natürlich 'ne Review schreibst und mich komplett zerreißt, dann kann es schon sein, dass ich dich danach nochmal anrufe. Ich hab' ja jetzt deine Nummer.

(Allgemeines Gelächter)

Huuuh. Mir haben schon andere gedroht. Ich bin derzeit gerade wieder gut im Training.

Nee. Das lass' ich eigentlich nicht so an mich ran, muss ich ehrlich sagen.

Um die Unfreundlichkeiten hat sich ja auch mein Kollege 2007 schon gekümmert. Über "Mit Liebe Gemacht" hat er geschrieben, du habest deinen "Talentbonus längst verspielt" und hat dir "erschreckende Belanglosigkeit" attestiert.

Ja. Gut. Das wusste ich noch nicht mal. Die Review war wohl so belanglos, dass sie mich nicht erreicht hat.

Will meinen: Du verzeihst uns?

Ja, klar! Ey, ganz ehrlich? Wir bringen was raus, in die Öffentlichkeit. Wer da glaubt, dass es da draußen niemanden gibt, der das scheiße findet, der ist irgendwo ... weiß ich auch nicht ... der ist fehl am Platz. Mir ist doch völlig klar, wie du auch schon am Anfang des Telefonats meintest, dass es ein paar Sachen auf dem Album gibt, mit denen du nicht so klar kommst: Ja, dann ist das so! Ich kann es und will es doch nicht jedem da draußen recht machen! So lange es nicht unter die Gürtellinie geht, ist doch alles cool.

Ey, aber manche deiner Kollegen sind so unfassbar zimperlich. Die können einfach nicht aushalten, wenn man ihnen sagt, dass man vielleicht nicht immer alles restlos supidupi findet. Gerade die, die das Maul selber am weitesten aufreißen.

Ich geb' dir ein kurzes Beispiel: Ich hab' einen Ziehsohn, den Sohn meiner Frau, mit dem ich in einem Haushalt lebe. Der kommt aus der Schule und sagt: Ööööh, ich hab' heute Stress gehabt, weil der und der hat mich beleidigt, weil der hat das und das über dich gesagt. der war völlig geknickt. Dann führ' ich auch so ein Gespräch und sag': Kuck' mal, Avi, lass' das nicht an dich ran. Wieso lässt du es überhaupt an dich ran, wenn das jemand ist, der dich überhaupt nicht interessiert? Es geht nicht um die körperliche Stärke, sondern um die geistige. Und die geistige heißt einfach: Steh' über den Dingen. Ich zeig' dich Schwäche, wenn ich dich anrufe und sag': Ey, was fällt dir ein, so und so über mich zu schreiben. Damit mach' ich mich doch kleiner als ich bin! Da hab' ich gar keinen Bock drauf. Das ist unser Leben. Wir stecken so viel Kraft und Power in unsere Musik, dass ich auch verstehen kann, wenn manche Menschen da sehr sensibel sind. Ich bin auch sensibel. Aber bei Leuten, die ich respektiere und bei denen mir wichtig ist, was ist deren Meinung, zum Beispiel über "Unvergesslich". Das hör' ich mir dann an und denk': Ja, da hast du vielleicht sogar Recht. Aber ich kann es nicht mehr ändern. Das Ding ist in Stein gemeißelt, es ist gepresst. Ich hab' es auf den Weg geschickt, so. Es gibt ja auch 'ne Menge Kritik von außen, wo ich sag': Okay, haste Recht gehabt. Vieles könnte ich selber auch kritisieren, an "Unvergesslich". Mach' ich aber nicht, weil: Es ist jetzt, wie es ist, es geht jetzt endlich auf die Reise, und ich bin sehr froh darüber.

Im Vorfeld der Platte ist mir immer wieder die Floskel "zeitloser Sound" begegnet. Was macht denn zeitlosen Sound aus?

Meiner Meinung nach: Sound, den du in Jahren noch hören kannst, der nicht fest gemacht ist an modernen Dingen, die jetzt gerade in diesem Moment aktuell sind, die gerade jetzt einen Hype genießen. Keine Ahnung, Trap-Beats zum Beispiel: Ich hab' keinen Trap-Beat auf der Platte. Gerade jetzt aktuell ist das natürlich das absolute In-Ding. Trotzdem interessiert mich Trap-Musik auch. Wenn ich Teile davon in meine Musik bringen kann, aber trotzdem meiner Linie irgendwie treu bleibe, dann ist das auf jeden Fall zeitloser Sound. Den ich in zwanzig Jahren höre und mir sag': Okay, das hat irgendwie den Zeitgeist widergespiegelt, aber es klingt immer noch fresh. So ein Song wie "Walking", zum Beispiel: Den Beat schlepp' ich schon seit sechs Jahren mit mir rum, und wenn ich den heute höre, denk' ich immer noch: Boah, der is' fett. Der ist zeitlos, einfach. Das war für mich ein bisschen der Anspruch. Natürlich haben wir auch versucht, moderne Sachen mit einfließen zu lassen, aber sich jetzt nicht der Modernität so hinzugeben, dass wir sagen: Wir machen jetzt ein Album, das nur dieses Jahr und nächstes Jahr funktioniert, und in fünf Jahren kann es keine Sau mehr hören. Ich bin ja auch kein Künstler, der festgemacht wird an modernem Sound, der immer auf der Suche ist nach dem, das morgen in ist. Es gibt ja auch andere Artists, wo man sagt: Okay, geil, ich will mir die Platte kaufen, weil ich will soundtechnisch hören, welche Richtung jetzt in den nächsten Jahren musikalisch wieder eingeschlagen wird. Sondern ich will ein Album machen, das du auch in ein paar Jahren noch hören kannst.

Du hast demnach keine Ambitionen, dich als Trendsetter zu etablieren?

Überhaupt nicht. Ich will einfach gute Musik machen, die mich widerspiegelt und bei der ich sage: Das ist geil. Wenn ich natürlich einen Trend lostrete, freu' ich mich. Wir machen ja in meinen Augen Kunst, wir sitzen als kreative Köpfe zusammen in einem Raum und schmeißen unsere Ideen auf den Tisch. Wenn da irgendwas bei rumkommt, von dem ganz Deutschland oder die ganze Welt am Ende sagt: Wow! Der hat die nächsten Jahre soundtechnisch vorbestimmt oder den Weg geebnet! Klar, dann würde jeder Künstler sagen: fett! Mega, natürlich.

Ich finde, die Platte klingt mit den ganzen Live-Instrumenten ... blödes Wort, mir fällt aber kein besseres ein: organisch. Habt ihr den Sound bewusst darauf angelegt, dass er sich gut auf die Bühne bringen lässt?

Wir Rapper können ja alles auf die Bühne bringen. Wir kommen ja von zwei Plattenspielern und einem Mic, im Endeffekt. Das heißt, ich könnte auch dieses Album mit einem DJ performen. Hab' ich auch schon gemacht. Für mich war der Anspruch aber, Live-Sound zu schrauben, im Studio, mit 'ner Band, auch vielleicht mit einer Form von Orchester zusammen zu arbeiten. Das war einfach mein Traum, den ich mir mit der Platte erfüllt hab'. Das ist natürlich ein Riesenaufwand. Energie, Kosten, et cetera pp ... Da weiß ich nicht, inwiefern ich das nächste Album nochmal so machen kann. Weil das halt wirklich sehr kostenaufwändig ist. Und sehr energieaufwändig. Das dauert ewig! Es ist halt nicht mehr so: Hier haste 'n Sample, hier haste 'n paar Drums, alles am Rechner gebaut, und jetzt kommt der Rapper und rappt was drauf, und dann kann es gemischt werden. Es ist wirklich so: Okay, heute nehmen wir Drums auf. Morgen editieren wir die. Übermorgen nehmen wir Bass auf. Dann nehmen wir Keys auf. Dann kommen Bläser vorbei. Da dauert ein Track zwei Wochen, bis der fertig ist. Aber trotzdem: Ich hab' über die Jahre angefangen, mit Musikern live auf der Bühne zu arbeiten. Das werd' ich natürlich jetzt auch auf der Tour machen. Klar.

Wollte ich gerade fragen: Die Tour startet im März. Ich geh' ja mal nicht davon aus, dass du die nur mit zwei Plattenspielern und einem Mischer bestreiten willst.

Nee! (Lacht) Nee, das auf gar keinen Fall. Ich steck' gerade mittendrin in den Vorbereitungen. Das wird auf jeden Fall derbe - aber es ist auch noch ein langer Weg bis Mitte März, bis da alles steht. Aber: läuft!

Nochmal zurück zum Album: Vorhin hast du deinen Ziehsohn erwähnt. Er tritt auf deinem Album auch in Erscheinung. Der "Avi Song" ist mir gut im Gedächtnis geblieben, weil ich mir da gedacht habe: Woah, ich weiß ja nicht, wie alt der Junge ist. Aber wenn ich mir vorstelle, er ist irgendwann mal 15 oder 16 und seine Kumpels graben diese Nummer aus und ziehen ihn damit auf ... Sieht man solche Gefahren als Vater?

Pfff ... hmmm ... (überlegt - und entschuldigt sich kurz, um, passend zum Thema, nach seiner einjährigen Tochter zu sehen, die im Hintergrund der Wohnung vergnügt kräht) Ja, klar. Das ist natürlich eine Gefahr. Ich hoffe, das das nicht passiert, kann das aber nicht ausschließen. Aber wir versuchen schon, Avi dahin zu erziehen, dass er da drübersteht. Deswegen geh' ich davon aus, dass er damit zurechtkäme, wenn es denn dazu kommt. Und wenn du ihn kennen würdest, dann wüsstest du, dass er jemand ist, der damit umgehen kann.

Aber du gestattest da schon tiefe Einblicke ins Privat- und Familienleben: Damit hast du offenbar kein Problem?

Nö. Warum? Ich war im Endeffekt schon immer jemand, der das in seine Musik gepackt hat, das ihn umgibt. Meine Familie umgibt mich die ganze Zeit. Klar, wenn meine Familie gesagt hätte: Das wollen wir nicht, das geht uns einen Schritt zu weit, dann hätte ich sofort gesagt: Okay, bis hierhin und nicht weiter. Aber so weit lehn' ich mich jetzt da auch nicht aus dem Fenster. Wir stehen nun mal in der Öffentlichkeit, und ich kann, je nachdem, wie erfolgreich "Unvergesslich" und alles, das danach kommt, noch wird, jetzt noch steuern, was ich raus- und preisgebe.

Lieber selbst etwas rauslassen, weil man dann noch die Kontrolle hat?

Ja, klar. Auf jeden Fall.

"Was immer passiert: Es wird schon gelingen", heißt es in "So Siehts Aus". Bist du ein optimistischer Typ?

Ja, teils-teils. Es gibt Phasen, da bin ich sehr optimistisch. Es gibt Phasen, da bin ich zutiefst am Boden und frag' mich: Wie soll das nur alles weitergehen? Aber ich bin ein Mensch, der auf jeden Fall an so etwas wie Schicksal glaubt. Ich bin der festen Überzeugung, dass alles so kommt, wie es kommen soll, und vor allem dann, wann es kommen soll. Viele Leute kommen zu mir und sagen: Höi, warum hast du nicht schon vor Jahren was veröffentlicht? Dann säh' das alles jetzt vielleicht anders aus, blablubb. Und ich weiß aber, dass ein Song wie "Danke" dann vielleicht nie entstanden wäre. Wie Xavier und ich uns kennen gelernt haben, das war zum Beispiel auch nur ein Zufall, dass ich überhaupt an dem Abend da war. Wenn ich überlege, was danach alles passiert ist, dass ich mit auf Tour gefahren bin, dass wir die Single haben, die in die Top-Twenty einmarschiert ist, wir fast 'ne Million Klicks auf dem Video haben, dann glaub' ich einfach daran, dass es so sein muss.

Ja. Was immer passiert: Es wird schon gelingen.

Exakt. Und ich bin auch der Last-Minute-Typ. ich komm' immer auf den letzten Drücker. Immer. Ich schaffs irgendwie aber. (Lacht) Ir-gend-wie klappt es, weißte? Weiß nicht, ob ich einen Schutzengel hab', der die Hand über mich hält und sagt: Okay, du wirst das schon alles deichseln. Aber irgendwie klappt es immer.

Schön. Dann wünsch' ich dir, dass das auch weiterhin funktioniert und dir noch möglichst viel gelingt.

Dankeschön. Ebenso!

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