Porträt

laut.de-Biographie

Nils Frahm

"Ich liebte meinen Klavierlehrer", schwärmt Pianist, Komponist und Produzent Nils Frahm im Interview mit dem Londoner Traditionsblatt The Economist. Wenngleich man seine Vergangenheit nicht überinterpretieren sollte: Zum Fundament für Frahms beachtliche Karriere trägt Nahum Brodski, Schüler des letzten Tschaikowsky-Schülers, sicherlich einen maßgeblichen Anteil bei.

Vorchecking: Rammstein, Haiyti, Nils Frahm, Arctic Monkeys
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Seinen Musikgeschmack habe Brodskis russischer Hintergrund sehr inspiriert, weiß Nils Frahm. Die beiden lernen sich Ende der Neunziger kennen, treffen sich über sieben Jahre hinweg bis zu viermal pro Woche zum Unterricht. "Ich musste so viel üben, dass es fast schmerzhaft war. Aber das war natürlich gut so, andernfalls hätte ich nie so hart an mir gearbeitet."

Einen weiteren wichtigen Einfluss verdankt Nils Frahm seinem Vater, der ihm mit 15 Jahren Portisheads Meilenstein "Dummy" vorspielt und ihn vorher mit "obskuren Jazz- und Klassik-Platten" prägt. Im selben Alter nimmt der 1982er-Jahrgang mit einem Kassettenrekorder bereits erste Stücke auf.

Später unternimmt er Ausflüge in die elektronische Musik, die ihn so sehr fasziniert, dass er das konventionelle Klavierspiel zeitweise aus den Augen verliert. 2005 erscheint seine erste Platte "Streichelfisch" über AtelierMusik, der Zweitling "Electric Piano" folgt 2008. Im selben Jahr gründet Nils Frahm in Berlin sein eigenes Studio.

Mit der EP "Wintermusik" findet er 2009 zurück zum Soloklavier und zu einer langfristigen Labelheimat: Seine Platten erscheinen fortan bei Erased Tapes. Im "Schmelztiegel für innovative und einfallsreiche Musiker", wie Gründer Robert Rath seine Plattenfirma gegenüber newsecho.de bezeichnet, blüht Frahms Produktivität noch weiter auf. Ebenfalls 2009 erscheint die LP "The Bells", zwei weitere EPs sowie das viel beachtete Album "Felt" (2011) folgen.

Das junge Londoner Indie-Label betreut neben Nils Frahm auch das isländische Ausnahmetalent Ólafur Arnalds, mit dem es 2012 zur Kollabo kommt: Gemeinsam nehmen die beiden Komponisten die "Stare"-EP auf. "Das war eine komplette Einbahnstraße des Glücks. Ganz im Ernst, das war total entspannt (...) Das fiel uns einfach so ... auf die Festplatte", blickt Frahm im Interview mit mittelstern.de auf die Zusammenarbeit zurück.

Keine acht Monate später beschenkt der Berliner die Fans zu seinem 30. Geburtstag. Das intime Piano-Album "Screws" erscheint Anfang Dezember physisch wie auch als Free-Download. Aufgrund eines gebrochenen Daumens spielt Frahm die Platte mit nur neun Fingern ein.

Ein Experiment stellt im November 2013 auch der Nachfolger "Spaces" dar: Die neuen Stücke wachsen in der Improvisation vor Publikum, Nils Frahm nimmt sie auf insgesamt 30 Konzerten auf. "Ich setze mich ständig mit der Frage auseinander: Besteht die Möglichkeit, Liveaufnahmen aus der Konzertsituation zu isolieren, sie aus dem Kontext zu ziehen, um sie dann auf ein Medium zu pressen, das sich die Leute anhören können, wann immer sie wollen?", erklärt er die Herangehensweise im US-amerikanischen Interview-Magazine.

Zu dem Zeitpunkt hat sich Nils Frahm längst als international gefeierter Künstler etabliert, eine Tour durch Nordamerika stellt kein bemerkenswertes Novum mehr dar. Dabei beglückt er mit seinen Melodien nicht nur die Zuhörer, sondern auch sich selbst: "Selbst die traurigste Passage kann mich glücklich machen, wenn ich realisiere, dass ich gerade etwas Schönes geschaffen habe."

Schönes schafft Frahm auch in den nächsten Jahren. 2015 ruft er mit befreundeten Musikern den "Piano Day" ins Leben, der sich, wie am Namen unschwer zu erkennen ist, ganz seinem Lieblings-Instrument verschreibt. Sinn dieses Tages ist es, dem Klavier zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen und Projekte anzuregen, die sich mit ihm beschäftigen. Frahm geht selbst mit gutem Beispiel voran und veröffentlicht das improvisierte Album "Solo".

Im selben Jahr gewinnt der Kritikerliebling beim Deutschen Filmpreis die Auszeichnung für den besten Soundtrack zum One Take-Erfolg "Victoria" und hinterlässt damit auch in Kinokreisen einen bleibenden Eindruck. Diesen intensiviert er 2016 mit dem Score zum Kurzfilm "Ellis", den er in Kooperation mit Woodkid schreibt.

Zuvor musiziert der gebürtige Hamburger nach Ende seiner Welttournee 2015 erneut mit Ólafur Arnalds. Das Ergebnis "Collaborative Works" besteht aus verschiedenen Fragmenten und gibt einen Einblick in die künstlerische Symbiose zweier Ausnahmetalente.

Nach dem kurzweiligen Nebenprojekt Nonkeen, das er mit Jugendfreunden gründet, widmet Frahm sich der Restrukturierung seines Studios in Berlin, um optimale Arbeitsbedingungen für "All Melody" zu kreieren. Das Album erscheint 2018, im Zuge der Veröffentlichung folgt die erste Tournee seit 2015.

Auch aus dieser gewagt langen Schaffenspause ist abzuleiten, dass der Pianist und Komponist Schnellschüssen nicht viel abgewinnen kann. Dennoch sammeln sich bei den Sessions zu "All Melody" noch weitere Tracks an, die er auf den beiden "Encores"-EPs zusammenfasst. Teil eins, der noch im Juni des selben Jahres erscheint, enthält fünf Akustikstücke für Klavier und Harmonium, wovon das über zehnminütige "Harmonium In The Well" mit seinem einsamen und tristen Charakter besonders herausragt.

Teil zwei kommt im Januar 2019 auf den Markt und besteht aus insgesamt vier Ambient-Nummern. Den Höhepunkt bildet das abschließende "Spells" mit seinen repetitiven Sequencersounds im Stile Tangerine Dreams, das Nils Frahm in einem ausgetrockneten alten Brunnen, den er zufällig auf Mallorca entdeckt, einspielt. "Im Grunde genommen funktionieren die 'Encores' wie klangliche Inseln, die 'All Melody' umschließen", sagt der Wahl-Berliner.

Im September des selben Jahres erscheint mit "Encores 3" die finale Episode der EP-Serie, auf der sich Frahm voll und ganz rhythmischen und elektronischen Explorationen widmet. Einen Monat später veröffentlicht er als Nachfolger zu "All Melody" die drei EPs zusammengefasst auf einem Tonträger unter dem Namen "All Encores".

"Tripping With Nils Frahm" stellt Ende 2020 eine Best-Of seiner vier ausverkauften Auftritte dar, die er im Dezember 2018 im Saal 1 des Berliner Funkhauses im Rahmen seiner "All Melodies"-Tournee bestritten hat. Die vier Abende hat auch Benoît Toulemonde für einen 90-minütigen Film gleichen Namens festgehalten, der parallel zur Veröffentlichung der Platte auf der Streamingplattform Mubi Premiere feiert. Dort läuft er einen Monat lang.

Für den Piano Day 2021 hat sich Nils Frahm dann etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Mit "Graz" veröffentlicht er größtenteils Material, das er seit 2009 unter Verschluss gehalten hatte. Zugleich ist "Graz" das erste Album, das er für das Londoner Label Erased Tapes einspielt. Dieses nimmt Frahm für seine Abschlussarbeit im Haus für Musik und Darstellende Kunst an der Kunstuniversität in der titelgebenden Stadt auf.

Im September desselben Jahres veröffentlicht er mit "2X1=4" ein Dub-Album in Koop mit Multiinstrumentalist F.S.Blumm. Die beiden haben sich schon zwischen 2010 und 2016 für drei Alben zusammengetan, um Gitarren- und Klavierklänge sowie Elektronik zu einer Einheit zu verweben.

Nur zwei Monate später erscheint mit "Old Friends New Friends" ein Doppelalbum, das 23 Klavier-Stücke enthält, die Frahm zwischen 2009 und 2021 aufgenommen hat, die er jedoch aus verschiedenen Gründen unter Verschluss hielt. Der Pianist und Komponist betrachtet es weder als völlig neues Werk noch als eine einfache Compilation bestehender Stücke, sondern vielmehr als "eine Anatomie all" seiner "Arten und Weisen, Musik zu denken und zu spielen".

Der unermüdliche Tüftler ist daneben selbst sein schärfster Kritiker. Ginge es nach ihm, würden seine Alben wohl niemals fertig werden: "Die Musik, die ich in mir höre, wird es nie auf ein Album schaffen. Wie es scheint, kann ich sie nur für mich selbst spielen".

News

Alben

F.S.Blumm & Nils Frahm - 2X1=4: Album-Cover
  • Leserwertung: Punkt
  • Redaktionswertung: 4 Punkte

2021 2X1=4

Kritik von Toni Hennig

Dub um zusätzliche Feinheiten erweitert. (0 Kommentare)

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