laut.de-Kritik

Angriffslustige Kampfansagen in nur teilweise angenehmer Verpackung.

Review von

Nura, bekannt als eine Hälfte des geschiedenen Hip-Hop-Duos SXTN, tritt erneut die Türe ein und hat ihr drittes Solo-Album im Gepäck. Dabei setzt sie konsequent ihre bewährten Prinzipien fort und liefert ein provokantes und sozialkritisches Werk, das einige gute Ansätze anschneidet, aber dann auch wieder fallenlässt.

Bereits in früheren Veröffentlichungen verdeutlichte Nura, wie sehr ihr der Einsatz für Feminismus und soziale Gerechtigkeit am Herzen liegt. Auch in diesem Fall setzt sie diese Agenda ohne Wenn und Aber durch. Schon auf dem Coverbild des Albums präsentiert sie sich unerschrocken und ohne Hemmnisse, indem sie nackt posiert und selbstbewusst, völlig besudelt in Menstruationsblut, in die Kamera blickt.

Das knappe Intro startet Nura mit dem Kopf voraus und ausgestreckten Mittelfingern - begleitet von einem frechem Trap-Beat. Ohne jegliches Zögern nimmt sie sich direkt die "gleichaussehenden Pimmelrapper" vor, doch ebenso schnell wie sie beginnt, bricht sie abrupt ab. Der Einstieg macht Lust auf mehr, doch der zweite Track "Sidebitch" läutet vorerst eine völlig andere Stimmung ein.

In Kontrast zum aggressiven Intro singt Nura melodisch über ihre Unantastbarkeit als selbstbestimmte Frau, die sie auch im folgenden Song "Don Dada" in einen gemütlichen und schwungvollen Sound verpackt. Auf "Bella" spielt sie mit Rihannas "Umbrella"-Chorus und erzählt die Geschichte einer unwiderstehlichen jungen Frau, die die Lüsternheit der gierigen Männer für ihre eigene Zwecke ausnutzt. Der Gedanke, dass alle Männer misogyne, machohafte Schweine sind, zieht sich durch das gesamte Album und findet auf dem Track "Eine Gute Frau" eine ziemlich verrufene Zuspitzung: "Privatsphäre oder Rechte habe ich keine, dafür kriege ich seine Rechte bis ich weine."

Trotz der angriffslustigen Kampfansage an die Männerwelt bleibt die künstlerische Gestaltung des Gesamtpakets weniger überzeugend. Bedauerlicherweise geht die Schärfe ihrer feministischen Botschaft im vergleichsweise uninspirierten musikalischen Rahmen etwas verloren. Außerdem erwecken einiger ihrer Aussagen eher den Eindruck von Männerhass als von ironischer Kritik. Aber vielleicht ist es genau das, was zur Provokation nötig ist.

Andere Stellen des Albums zeigen vielversprechende Ansätze, die die musikalische Vielfalt des Albums bereichern könnten. Die Ideen verlaufen jedoch fast immer im Sand, da sich Nura zu stark an ihren Vorbildern festklammert. Auf "Fat A$$" etwa scheint sie in die Fußstapfen von Nicki Minaj oder ähnlichen US-Kollegeninnen zu treten, indem sie auf einer bissigen und verspielten Produktion über ihre Genitalien rappt. Auch das Sample von Crystal Waters "Gypsy Woman" auf "Für Die Vibes" mag anfangs als erfreuliche Überraschung erscheinen, bietet aber letztendlich nicht mehr als den eingängigen Ohrwurm des Originals.

Im Track "Diego" begibt sich Nura zwischendurch auf einen Kurzurlaub nach Spanien mit Flamenco-Flair und "Awa's Song/Chili's Lullaby" bietet einen kommentarlosen, von Lofi-Musik inspirierten Fülltrack. Irgendwie fühlen sich diese Stücke völlig fehl am Platz an, haben aber womöglich die Absicht, etwas Spannung aus der ansonsten von wütenden Parolen gespickten Tracklist zu nehmen.

Abseits ihrer feministischen Statements setzt sich Nura auf "10 Million" auch für alle Personen mit Migrationshintergrund ein und verpackt ihre Gesellschaftskritik deutlich knackiger auf einen kraftvollen, basslastigen Drill-Beat: "Mama hat gesagt, sei immer besser als die. Krieg' nichts geschenkt, doch ich kämpf', das vergesse ich nie. Ihr verkauft Waffen, und wir flüchten vor Verbrechen und Krieg." Hier gelingt es ihr, das sensible Thema in seiner Ernsthaftigkeit zu bewahren, ohne überheblich zu wirken. Das macht sogar beim wiederholten Hören noch Spaß. Nur schade, dass sich Nura auf dem Großteil des Albums viel zu sehr in die Polemik ihrer Aussagen verfängt, wie zum Beispiel auf "FUBU", wo sie alle möglichen politischen Aktivismuskampagnen, von Queer bis BML, in den Raum wirft.

Das Album vermittelt letztendlich den Eindruck, als ob man kontinuierlich von wütenden Demonstranten angeschrien worden wäre, ohne dabei tatsächlich klüger geworden zu sein, da man permanent aus allen Richtungen beschallt wurde. Zwischendurch sorgen die Ausnahmen dafür, dass das Hörerlebnis noch einigermaßen angenehm ist und gelegentlich auch zum Kopfnicken anregt. Doch werden diese Ausnahmen von der Aufgeblasenheit der mit politischem Aktivismus gefüllten Songs erdrückt.

Trackliste

  1. 1. Kreislaufkollabs
  2. 2. Sidebitch
  3. 3. Don Dada
  4. 4. Bella
  5. 5. Fat A$$
  6. 6. Spielplatz
  7. 7. Eine Gute Frau
  8. 8. Für Die Vibes
  9. 9. Diego
  10. 10. Mach Keine Szene
  11. 11. 10 Million (feat. Yung Madara)
  12. 12. FUBU (feat. Yung Madara, Aisha Vibes, Jalil)
  13. 13. Obsessed
  14. 14. Ertrunken
  15. 15. Awa's Song/Chili's Lullaby

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9 Kommentare mit 29 Antworten

  • Vor 6 Monaten

    Als Palästina-Unterstützerin unhörbar, pfui.

    • Vor 6 Monaten

      Weil Hamas und Palästina dasselbe ist?

    • Vor 6 Monaten

      Hey, nicht so hart mit ihm, er hört Staind. :(

    • Vor 6 Monaten

      @Chris: "Free Palestine" und die Bedeutung der Bewegung/des Slogans sind dir geläufig?
      @mulansky: höhö, wie originell.

    • Vor 6 Monaten

      Es ist wohl wie so häufig nicht so schwierig, wie manche befürchten, aber auch nicht so einfach, wie manche denken: "Free Palestine" ist uneindeutig, kann sich auf die Auslöschung Israels beziehen, also zutiefst antisemitisch sein, kann aber auch "equal rights" bedeuten. So jedenfalls der nachfolgende Beitrag bei der Deutschen Welle:
      https://www.dw.com/de/anti-israelische-dem…

    • Vor 6 Monaten

      Dieser Kommentar wurde vor 3 Monaten durch den Autor entfernt.

    • Vor 6 Monaten

      Wie kann man nur? Solidarisch sein mit der größten Masse an Flüchtlingen einer Gemeinschaft der Welt? Mit ihrem Leid, ihren offenen Gefängnissen, ihrer Perspektivlosigkeit, ihrer Unterdrückung, Entrechtung, und verhältnismäßig extrem hohen Opferzahlen? Schätze, da muss man schon besonders undeutsch sein, um das zu können.

    • Vor 6 Monaten

      Evtl. mal darüber nachdenken, wie viele Menschen in Palästina die Hamas unterstützen? Und wann das Statement der Künstlerin zeitlich gebracht wurde? Ist evtl. etwas unpassend, sich für die Freiheit von Palästina einzusetzen, wenn Palästinenser tote, nackte Leichen durch die Straßen zerren und schänden. Ist aber nur so ein Gedanke.

    • Vor 6 Monaten

      Joar der Zeitpunkt war mal so richtig daneben, ich denke darüber gibt es wenig zu diskutieren.

    • Vor 6 Monaten

      Dieser Kommentar wurde vor 6 Monaten durch den Autor entfernt.

    • Vor 6 Monaten

      Ja, wenn die Leichen nur nackt gewesen wären, wärs noch okay gewesen, aber dass sie auch noch TOT sind, das geht echt zu weit.
      Sorry für den Zynismus, aber solche Sätze wie der von CitizenX repräsentieren recht eindrücklich dasNiveau, auf dem über das Thema gesprochen wird. Wenig Analyse, viel krawalliges Emotionsgelaber. Kann man natürlich machen, was das nutzen soll, erschließt sich mir nicht.

    • Vor 6 Monaten

      Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.

    • Vor 6 Monaten

      Naja, okay, schon, ich wollte halt etwas freundlich sein :lol:

    • Vor 6 Monaten

      Euch Palästina-Versteher scheint der Zeitpunkt von Nuras Statement auch nicht weiter zu stören, hm?

    • Vor 6 Monaten

      Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.

    • Vor 6 Monaten

      Nein, stört mich nicht so doll. Ich finde es nicht besonders klug, denn wenn man so etwas tut, sollte man sehr genau wissen, warum man es macht, und was man danach kommuniziert.
      Was mich jedoch viel mehr nervt, als eine Musikerin, die den Mittelfinger, mit dem sie Typen wie Dich erfolgreich triggert, vielleicht mal in der Tasche hätte lassen sollen, sind Typen wie Du.
      Denn Leute, die Dinge wie "Palästina-Versteher" schreiben, sind in der Regel auch solche, die sich aus "Solidarität" ne Ukraine Fahne ans Revers heften und denken, das wäre ein Zeichen von politischem Bewusstsein. Bürgerliche, die sich auf die Seite derer Stellen, die von der Allgemeinheit gerade als die "Guten" durchs Dorf getrieben werden, damit sie auf die Bösen spucken können, um so ihren internalisierten Rassismus zu kanalisieren, den sie sich nicht trauen offen anzuschauen.
      Leute, die auf Politik blicken, als wäre es der verfickte Herr der Ringe, die bei Betrachtung von Geschichte da einsteigen, wo´s am einfachsten ins dichotome Weltbild passt, weil Ambivalenzen halt schwer auszuhalten sind, und die sich dabei auch noch geil fühlen, weil sie ja auf der Seite des Lichtes und der Zivilisation stehen.
      Sowas kotzt mich viel, viel mehr an als eine Nura, die was Dummes gepostet hat.
      Und ja, natürlich Free Palestine, genauso wie Free Bergkarabach, Free Kurdistan, Free was auch immer, free alles, wo Menschen Opfer von Unterdrückung werden.
      Und ja, No Love For A Nation gilt auch für den Staat Israel.
      Und Schlagt Die Faschisten Wo Ihr Sie Trefft gilt auch für die fucking Hamas!
      Gottverflucht, KOTZT MICH DAS AN, DAS MAN SOWAS ÜBERHAUPT SCHREIBEN MUSS!!

    • Vor 6 Monaten

      Und he, laut.de, dass ihr Posts stehen lasst, die implizit den Massenmord an den europäischen Aussengrenzen feiern, dafür aber ein gepflegtes "Halt´s Maul" löscht, das... passt ganz gut in unsere Gesamtgesellschaft.

    • Vor 6 Monaten

      Auch wenn du meinen Zuspruch nicht brauchst, aber sehr gut formuliert.

    • Vor 6 Monaten

      Jap, props gueldi!

    • Vor 6 Monaten

      "Und Schlagt Die Faschisten Wo Ihr Sie Trefft" :D :D
      ich bin sicher, sowohl IDFs als auch die islamisch-widerständigen in palästina sind davon überzeugt genau dies gerade zu machen :D

    • Vor 6 Monaten

      ♥ Guuuuuueldi

    • Vor 6 Monaten

      Diskussion über den Post des Jahre damit latürnich unnötig. :)

      Danke natürlich auch für den kleinen Einschub danach...Springerpresse im Jahr 2023 halt. ;)

  • Vor 6 Monaten

    rap und politics, es ist mühsam. gib mir einfach babsi bars

  • Vor 6 Monaten

    "Außerdem könnten einiger ihrer Aussagen eher den Eindruck von Männerhass als von ironischer Kritik erwecken. Aber vielleicht ist es genau das, was zur Provokation nötig ist."

    Ist eine schwierige Gratwanderung auf kurz oder lang. Nicht jede plumpe Beleidigung gegen Männer auf einem feministischen Track muss gleich Misandrismus pur sein, sondern kann je nach Kontext auch eine wichtige Anmerkung darstellen. Aber ebenso muss man nicht jede Provokation gegen Männer einfach so stattgeben, nur weil wir immer noch in patriarchalen Zeiten leben.

    So manches Problem hat man gerade in der neoliberalen Ära auch als Mann, und einige Lines von Rapperinnen oder Zitate von Aktivistinnen repräsentieren ab und zu mal eher die eigene, individuelle Fehde gegen das andere Geschlecht als alles andere. Die von ihnen genannten spezifischen Probleme sind dann weniger repräsentativ für das Gesamtbild, als diese Personen vielleicht denken.

    Ein gutes Beispiel dafür ist für mich dieses Ding mit sogenannten Fuckboys, was z. B. eine Senna Gamour vor einiger Zeit auch etwas außerhalb ihrer Bubble erfolgreich thematisiert hat. Dem versucht man dann eher einen verzweifelt feministischen Touch zu verleihen, wobei ich mir dann aber am Ende des Tages dachte, dass sich das Problem mit dem Erwerb von erweiterter Menschenkenntnis und dem Ansatz, mal von den eigenen erhöhten Ansprüchen abzusehen, für die Betroffenen von selbst löst.