laut.de-Kritik

Die Dreierschüler des Synth-Pop.

Review von

Wenn Synth-Pop eine Schulklasse wäre, säßen Depeche Mode mit ihren Lederjacken in der letzten Reihe, spielten die Coolen von der Schule und kauten rebellisch Kaugummis. Neben ihnen himmelten sie Camouflage, die auch verzweifelt gern dazu gehören wollen, an, werden aber weitestgehend ignoriert. Andy Bell von Erasure gäbe mit einer Federboa den Klassenkasper, während Annie Lennox die Unnahbare spielte. In der ersten Reihe folgten die strebsamen Pet Shop Boys mit ihren lustigen Hüten dem Unterricht und wären gut in Mathe und Kunst.

Mittendrin hockten die braven und immer pünktlichen Dreierschüler Andy McCluskey und Paul Humphreys von OMD. Die Art von Schülern, bei denen man sich 20 Jahre später auf dem Klassentreffen wundert, dass die ja einst auch mit einem zusammen auf der Schule waren.

Selbst zu Beginn ihrer Karriere, als sich OMD mit ihren besten Alben "Architecture & Morality" und "Dazzle Ships" noch fleißig am Unterricht beteiligten, waren sie letztendlich nur wissbegierige Kraftwerk-Schüler. Selbst wenn sie über "Enola Gay", den B-29-Bomber, der die Atombombe auf Hiroshima abwarf, singen, klingen sie nie bissig, sondern vor allen Dingen nett. Damit ist nicht etwa die mittlerweile gebräuchliche Definition als 'der kleine Bruder von Scheiße' gemeint, sondern die ursprüngliche. Sie sind freundlich, liebenswert und angenehm. Gäbe es auf der Welt mehr nette Menschen, wäre sie ein besserer Ort.

So bleibt auch das 13. Studiowerk "The Punishment Of Luxury" trotz seiner sozialkritischen und politischem Ansinnen ein naiv lieblichputziger Ort. Es blinkt, es tutet, es frrzzt, es glitzert und Andy McCluskeys kindliche Stimme singt überzuckerte Melodien. "Kiss Kiss Kiss Bang Bang Bang" hört man förmlich an, dass der Aufnahme zweiwöchige Diskussionen vorangingen, ob man nun wirklich das böse Wort "fuck" verwenden soll.

"Den meisten Menschen in der westlichen Welt geht es heute wirtschaftlich sehr viel besser als ihren Vorfahren", erklärt der Sänger den Album-Titel im laut.de-Interview. "Doch sind wir nicht glücklicher als sie, weil wir die illusorische Ordnung der Religion und der königlichen Verordnungen durch die illusorische Ordnung des Marketings und die Propaganda der Werbung ersetzt haben. Jeder denkt, er habe noch nicht genug, und so haben wir jetzt haufenweise Dinge, die wir nicht brauchen, nur weil wir zum Kauf überredet werden. Wir alle sind unglücklich und verzweifelt - und genau das ist die 'Strafe des Luxus'."

Ausgesprochen klar klingt die Produktion von "The Punishment Of Luxury", kühl, reduziert, aber sehr ansprechend. Man merkt, dass Orchestral Manoueuvres In The Dark modern wirken wollen. Man merkt aber auch, dass sie letztendlich doch die Vergangenheit zitieren: So massiv wie lange nicht mehr bedienen sie sich bei Kraftwerk.

Das Resultat wirkt gerade zu Beginn so frisch und unverbraucht wie lange nicht mehr. Der mitreißende Opener "The Punishment Of Luxury" kombiniert frostige Euphorie mit harten Düsseldorf-Beats. Einzig das nervige "Hey, Hey, Hey"-Gehabe, das "Throw your hands in the air" der englischen Synth-Popper, beginnt mit der Zeit zu nerven. "Isotype" gelingt noch besser und stellt den Höhepunkt des Albums dar. Mit seiner Wortfetzen-Parade im "Dazzle Ships"-Stil, Vocoder-Gesängen, einer schwelgerischen Jean Michel Jarre-Melodie und Andys heimeliger Stimme gelingt gleich darauf mit "Isotype" der Höhepunkt des Albums.

Doch ein Album ist kein Hundertmeterlauf, sondern ein Marathon. Kurz nach diesem fulminanten Start geht McCluskey, Humphreys und den anderen beiden bereits die Luft und die Ideen aus. Sie reißen den zuerst positiven Eindruck ein und funktionieren im Mittelteil des Longplayers nur noch, sobald sie sich wie in "Precision & Declay" von klassischen Songstrukturen entfernen.

Die klebrig kitschige Schunkelnummer "What Have We Done" hätte hingegen selbst auf "Crush" keinen Platz gefunden. Das aus der Discofox-Hölle auferstandene "One More Time" bietet Formatradio-Schlager-Schlonz, während sich das schwachbrüstige "Kiss Kiss Kiss Bang Bang Bang" (das Ding mit dem "fuck") nicht zwischen "Radioaktivität"-Zitat, Wiegenlied und Kirmesveranstaltung entscheiden kann.

Erst mit "La Mitrailleuse" und den sich monoton wiederholenden Worten "Bend your body to the will of the machine" leiten OMD ein gelungenes Finale ein. Mit Möwengeschrei, Vogelgezwitscher und langgezogenen Synthesizerfanfaren setzen OMD im sehnsuchtsvollen "Ghost Star" vorbildlich alle Lehren der kleinen Ambient-Fibel in die Tat um. "The View Form Here" startet ähnlich elegisch, nimmt zwischenzeitig noch einmal Fahrt auf um den Longplayer zu einem versöhnlichen Abschluss zu führen.

Zu viel misslungenes Füllmaterial zieht "The Punishment Of Luxury" unnötig nach unten. Das Potential da gewesen wäre, zeigen OMD auf ihrem dritten Album nach der Wiedervereinigung mehrfach. Doch sie geben sich mit einer weiteren Drei zufrieden und schlendern mit der Zwille in der Hosentasche und einer bunten Tüte Gummibärchen nach Hause. Schließlich stehen nun die Vorbereitung zum 40. Geburtstag ins Haus.

Trackliste

  1. 1. The Punishment Of Luxury
  2. 2. Isotype
  3. 3. Robot Man
  4. 4. What Have We Done
  5. 5. Precision & Decay
  6. 6. As We Open, So We Close
  7. 7. Art Eats Art
  8. 8. Kiss Kiss Kiss Bang Bang Bang
  9. 9. One More Time
  10. 10. La Mitrailleuse
  11. 11. Ghost Star
  12. 12. The View From Here

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4 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 7 Jahren

    ist der Verfasser der Rezension ein OMD-Hater ?
    Ich finde das Album genial,genauso wie man es sich von OMD
    wünscht !!

  • Vor 7 Jahren

    Scheiße, ich geb ihm Recht! Muss, leider. Das Bild der Klasse das er beschreibt, spukt mir seit Jahren im Kopf rum, auch wenn ich einige "Mitschüler" weggelassen und dafür noch n paar andere hinzugefügt hätte (z.B The Art of Noise...) Von "Hate" kann ich hier nichts lesen, ich zumindest nich, diese Rezi ist sogar besser, gefälliger und gnädiger als viele andere.
    Es ist leider so, alte Genialitäten blitzen auf, scheinen durch und laden ein, man hört es und fühlt sich n bissl wie zu Hause vor 20 -30 Jahren.
    Aber mit dem altehrwürdigen Backkatalog wird es wohl zusehens schwerer für die beiden über die Jahre, was wirklich zündend neues zu machen. Vielleicht mal n anderen Produzer, nen wirklichen guten Mann nochmal an die Regler lassen ( Richard Fearless, James Lavell, Jamie X maybe...) um das Gesamtwerk würdig zu beschließen, zum 40. noch n ordentliches, rahmensprengendes Vinylgesamtpaket mit den (oftmals) besseren B- Seiten, den fantastischen John Peel Sessions ("Danzing" hab ich bis heute nich "verstanden"), dem sehr guten und kaum zu bezahlenden, wenn überhaupt zu ergatternden "Universal" McCluskeySoloBritpopAlbum und dann Verbeugung, Vorhang, Abgang und gelungene Vermächtnisverwaltung! Besser als sein eigenes Denkmal mit hässlichem Grafitti zu ruinieren!

  • Vor 6 Jahren

    Ich kann es nicht mehr hören! "Bei OMD hört man immer Kraftwerk!" Mann, ihr würdet sogar Mozart vorhalten, dass man bei ihm Haydn raushört! Die Musik der letzten 500 Jahre wimmelt von Reminiszenzen und Klauereien, das nennt man, wenn daraus etwas Anderes und Neues entsteht, Komposition (lateinisch compositio Zusammenstellung, Zusammensetzung).
    Mal weg von "finde ich" oder "finde ich nicht": Kompositorisch sind OMD nicht das Nirvana, dennoch finden sich auf dem Tonträger "Punishment of Luxury" viele großartige Ideen und Ohrenöffner. Beispiel: Beim Song "Ghoststar" wird beim Erklingen der Subdominante permanent auf die Terz des Dreiklanges verzichtet, welches einen hörenswerten Effekt erzielt. Zweites Beispiel: Bei "The view from here" werden die Harmonien "falsch" ( im Sinne der klassischen Harmonielehre) aufgelöst. Ein echter Hinhörer, da man sowas sonst nicht auf die Ohren serviert kriegt.
    Konklusion: Man möge mal wegkommen von den Banalurteilen (Die braven 80er Kraftwerk-Eleven), sondern mal die Musik genauer wirken lassen und - wer es hinkriegt- musikaliscgh zu abalysieren. man würde einiges Neues und wenn nicht das, dann doch Interessantes bemerken.