laut.de-Kritik
Kraftvolle Liturgie von morbider Schönheit.
Review von Joachim GaugerPJ Harvey hat viele Gesichter. Auf einem in strengem Schwarz-Weiß gehaltenen Promobild zu "Let England Shake" blickt sie so finster über die Kamera hinweg, als bewerbe sie sich gerade für die Rolle des Todes in Bergmanns "Das siebente Siegel". Nur ist das Land, das sie besingt, von einer anderen Pest verwüstet.
Im titelgebenden Opener hält sich die Künstlerin noch bedeckt - zumindest musikalisch. Strophe und Refrain basieren auf dem alten Gassenhauer "Istanbul (Not Constantinople)", dazu malt PJ Harvey in schwebender Tonlage zwischen Bauch- und Kopfstimme dunkle Bilder ... "Let England shake / Weighed down with silent dead.".
Woanders ist es auch nicht besser. "Goddam Europeans" verflucht PJ in "The Last Living Rose" nicht nur Englands "stinking alleys". Doch dann gibt sie mit dem Bariton-Sax einige Wärme bei, und die synkopierten Percussions zeigen, dass alles nicht so eindeutig ist.
Offbeats in den verschiedensten Erscheinungsformen prägen PJ Harveys siebtes Album mit Handclaps oder HiHat, in "The Glorious Land" arrangiert sie auch noch eine Kavallerie-Trompete gegen jeden Rhythmus. Und auch die Lyrics wehren sich sperrig gegen Erwartungen, denn die einzigen "ruhmreichen Früchte", die dieses Land trägt, sind "orphan children", also Waisen.
"Death Was Everywhere", die Liedzeile aus "All And Everyone", ist das Leitmotiv des Albums, immer wieder fließt Blut, müssen junge Männer als Soldaten sterben - PJs Texte sind die Abrechnung mit einem Land, das sich schon zu lange im Krieg ('gegen den Terror') befindet. Und man braucht schon eine gewisse Neigung zu morbider Schönheit, um "Let England Shake" in vollen Zügen genießen zu können.
Dass die Weltlichem sonst durchaus zugewandte Harvey sich für die Aufnahmen mit kleiner Besetzung in eine Kirche zurückgezogen hat, spricht schon für sich. Dort zelebriert sie mit ihren langjährigen Begleitern John Parish und Mick Harvey sowie Drummer Jean-Marc Butty eine so kraftvolle wie trostreiche Liturgie.
PJ Harvey ist ein Album von großer Geschlossenheit geglückt, in das sich jeder Titel nahtlos einfügt. Seitdem es abgeschlossen ist, zeigt PJ übrigens bei jedem Fototermin neue Frisuren und Kostüme, so dass Kommentatoren bereits über die neue "Lady Gaga des Indierock" spotten. Man darf also auf weitere Metamorphosen hoffen.
14 Kommentare mit einer Antwort
5 Punkte finde ich dann doch übertrieben, da Fräulein Harvey schon bessere Alben hatte. Trotzdem ists toll.
blödsinn, bestes album der harvey seit 1998. und zwar instantly. wer hätte das gedacht ...
bester kommentar vom r1er seit 1933. und zwar instantly. wer hätte das gedacht ...
Seit 2000 wenn schon, oder gefiel dir die Stories.... nicht?
Für mich persönlich ist es ein Meilenstein - ich habe in den letzten Jahren ganz wenige Veröffentlichungen gehört, die mich so in den Bann gezogen haben wie "Let England Shake". Und selbst aus der Reihe der anderen Polly Jean Alben (von mir wirklich allesamt geliebt!) ragt dieses ein klein wenig hervor. Wahnsinnig gut!
Absolutes Meisterwerk! Oder wie muss es korrekt heissen Meisterinnenwerk?
Wie immer beispiellos und zwischen Genie und Wahnsinn,
Und zweifelsfrei ein Meisterwerk.