laut.de-Kritik

Abwechslungsreich, aufregend und herzerfrischend aufrichtig.

Review von

Arme Seattle Boys. Lebenslang verfolgt vom Fluch, mit "Ten" ein Debüt gemacht zu haben, das Zeitgefühl und Stimmung Anfang der Neunziger einfach perfekt traf. Das ist nun elf Jahre und sieben reichhaltige Veröffentlichungen her. Ein ansehnliches Spektrum voll kolossaler Hits und verkopfter Flops. "Riot Act" passt wunderbar in dieses Spektrum.

Suggeriert der Titel eine Rückkehr zum rebellischen Grunge der Anfangstage, so ist das heißer gekocht, als letztlich serviert, denn niemand sollte aufgrund des Namens ein Comeback des wilden Seattle-Sound erwarten. Statt dessen liegt vor uns das wohl kompositorisch aufregendste Pearl Jam-Album. Woran das liegt? Jedes Bandmitglied durfte Songs beisteuern. Von Matt Camerons extravagantem und effektgeladenen "You Are" über Eddie Vedders trauriges "Thumbing My Way", bis hin zu echten Rockern wie "Save You" oder "Get Right" ist alles dabei.

Der Opener "Can't Keep" präsentiert weinende Gitarren und rumpelnde Trommelbeats, die an "In My Tree" vom Album "No Code" erinnern. Kollege Schuh dürfte sich freuen. Es folgt die Geschichte einer nervenaufreibenden Hassliebe im schnellen, F-Word gespickten "Save You": "Fuck me if I say something you don't want to hear from me / Fuck me if you only hear what you want to hear from me", vorgetragen mit temporären Punkanleihen. Danach seltsam drückende Nummern, die nicht leicht zugänglich sind. Dunkle, launische Songs mit simplen Riffs, ungewohnt harmonischem Gesang und schrotigen McCready-Solos. Hervorstechend aus diesen: "Cropduster" mit seinen ideenreichen Akkordfolgen und einem unerwarteten Wechsel der Tonart im Refrain.

Alsbald die drei besten Songs der Platte am Stück. Zunächst das hymnische "I Am Mine", dessen Ohrwurmrefrain sich sofort im Kleinhirn festklammert. Die Lyrics dieser ersten Single sind klar beeinflusst von den Ereignissen des 11. September ("All the innocence lost at one time") und der Wucht an Unsicherheit, die folgte. Im Anschluss das göttliche "Thumbing My Way", eine wunderschöne Vedder-Ballade, deren drückendes Bedauern - "I have not been home since you left long ago" - durch Banjo und Orgel geschmückt wird. "You Are" überrascht darauf mit nie zuvor bei dieser Band gehörten Soundeffekten und einem genialen Break nach dem Intro, das dem Song eine völlig neue Richtung auferlegt. Vedders Falsetto, McCreadys mövenartige Gitarrentöne und der psychedelische Anstrich machen diesen Song zu einem nie gehörten Pearl Jam-Ereignis.

Bleibt noch "Bushleaguer" zu erwähnen, der vielleicht sonderbarste Track der Platte. Vedder brummelt im Bariton die Verse vor sich hin, schlägt mit sanfter Ironie auf Präsident Bush ein - "He's not a leader, he's a Texas leaguer. Drilling for fear makes the job simple" - doch irgendwie fehlt es dem Song an Pepp. An Inspiration. Diese besitzt dafür der Acapella-Song "Arc": 90 Sekunden wortloser Schamanengesang, umgeben von wummernden Bass-Begleitstimmen. Groß.

"Riot Act" entfaltet sich langsam, aber gewaltig. Pearl Jam machen einfach keine flüchtig konsumierbare Nebenbeikunst. Wo die Band es vermag, die Essenz ihrer Aussagen auf den emotionalen Level zu konzentrieren, ist sie eindeutig am besten. "Riot Act" birgt keine heroischen Glanztaten. Aber es zeigt Pearl Jam abwechslungsreich, kraftvoll und wie immer herzerfrischend aufrichtig.

Trackliste

  1. 1. Can't Keep
  2. 2. Save You
  3. 3. Love Boat Captain
  4. 4. Cropduster
  5. 5. Ghost
  6. 6. I Am Mine
  7. 7. Thumbing My Way
  8. 8. You Are
  9. 9. Get Right
  10. 10. Green Disease
  11. 11. Help Help
  12. 12. Bushleaguer
  13. 13. 1/2 Full
  14. 14. Arc
  15. 15. All Or None

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Pearl Jam – Riot Act [Vinyl LP] €27,99 €3,00 €30,99
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Pearl Jam – Riot Act by Pearl Jam €86,32 Frei €89,32

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Pearl Jam

Am Anfang steht ein tragischer Todesfall: Andrew Wood, Sänger der Band Mother Love Bone, der auch Stone Gossard (geboren am 20. Juli 1966) und Jeff Ament …

11 Kommentare