laut.de-Kritik

Klassenfeinde zerlegen mit kalten Wobbelbässen.

Review von

Gut zehn Jahre nach der Battlerap-Contest-Blase sind die meisten von Pilz' männlichen Kollegen wieder in der Versenkung verschwunden. Die Lübeckerin allerdings bestand, erarbeitete sich am Rande der Aufmerksamkeitsmaschine gemächlich einen festen Platz in Deutschrapland. Immer auf Angriff, oft feministisch und definitiv links bestreitet Pilz ihren Weg - und den setzt sie mit ihrem aktuellen Album "Strassenköter" fort.

Mit Cover und Titel des Albums gibt Pilz zum einen eine kleine Hommage an ihren eigenen Hund, der in den vergangenen Pandemie-Jahren ihr Leben dominierte. Doch "Strassenköter" ist alles andere als nur ein Album für das Haustier.

Pilz' zweiter Langspieler bewegt sich zwischen linker Gesellschaftskritik und klassischer Deutschrap-Abarbeitung. Musikalisch liefert "Strassenköter" plastischen, technoiden Sound, der von Drum'n'Bass-Wänden bis kalten, synth-gesteuerten Boombap-Adaptionen und waschechten Club-Bangern so einiges zu bieten hat. Wer nicht nach warmen Wohlfühldrums, sondern wahnwitziger Trommelfellzerfetzung durch Wummskavallerien und Wobbelbässe sucht, ist hier genau richtig.

Inhaltlich ist "Strassenköter" ein eher zweischneidiges Schwert. Zum einen liefert Pilz genau das, was man von ihr erwarten würde - linksbegründete Gesellschafts- und Kapitalismuskritik, in Deutschland oft dikreditierend "Zeckenrap" genannt. Zum anderen macht der Fokus auf Nestlé- und Staatszersetzungsfantasien "Strassenköter" eben auch vorhersehbar.

Natürlich hat linker Rap seine Berechtigung, denn die Themenkomplexe aasgeiernde Großkonzerne, Polizeigewalt und Staatsversagen liefern quasi Futter wie am Fließband. Pilz zerlegt die Klassenfeinde auch versiert, wie in "Verbrannte Erde", wo sie zu Heavy Metal auf Henry Nestlés Grab tanzt und rappt "Junge ich bin durchs Raster gefall'n, aber Vater Staat kalkuliert das ja mit ein". Oder in "Show", das mit Präzision ins gut genährte Fleisch der Wohlstandsgesellschaft sticht: "Mit Geld das wir nicht haben kaufen wir Dinge die wir nicht brauchen / und vor Produktionsbedingungen verschließen wir die Augen / die mehrheitlich weiße Mittelstandsschicht solidarisiert sich immer noch nicht mit Menschen, denen es schlechter geht als ihnen."

Dennoch vermisst man ein wenig Originalität. So berechtigt Kritik an Bänkern, profitgeilen Influencenden und einer zumindest im Mainstream viel zu homogenen Rap-Landschaft ist, so altbekannt ist sie auch. Pilz liefert hier keine wirklich neue Perspektive, einfach, weil sich alle und deren Onkel, Mütter und entfernten Cousins und Cousinen daran in irgendeiner Form schon mal versucht haben.

Dabei müsste das nicht so sein. Pilz zeigt in "Komm Mit" zumindest ganz kurz, dass sie eine für viele Hörerinnen und Hörer leider immer noch unbekannte Perspektive eröffnen könnte: Eine weibliche Stimme der Systemkritik. Und damit sind nicht die zur Genüge erwähnten, abgedroschenen Phrasen gemeint, sondern tatsächliche Auszüge aus ihrem individuellen Blickwinkel. Wie lebt es sich als junge Frau zwischen Systemabhängigkeit, Kampfhundglorifizierung und beständiger Geldnot? Wie nimmt eine Frau mit Sinn für Reflektion das Leben im an den Rand gedrückten Teil der Bevölkerung wahr?

Ein derart distinktiver Point of View hätte "Strassenköter" zu einer der interessantesten Platten des Jahres machen und ihrem Standing als wichtiger Teil der Deutschrap-Szene noch mehr Gewicht verliehen. Doch Pilz geht auf Nummer sicher - und macht stattdessen ein durchaus solides, aber eben nicht herausragendes Album. Mit etwas Glück schleift Pilz an ihrer Unbequemlichkeit noch ein paar Ecken und Kanten heraus und kann dann mit Fug und Recht behaupten: "Wer sagt wir sind gewaltbereit / Ich werfe nur den Meilenstein - wähl 161!"

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. 161
  3. 3. Komm Mit
  4. 4. OMG (Feat. Saló)
  5. 5. Verbrannte Erde
  6. 6. Flaschen Hoch
  7. 7. Show
  8. 8. Gib Mal Was Ab
  9. 9. Alle Wack
  10. 10. Swipe Up
  11. 11. NLSL (Feat. Nikolai)

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