laut.de-Kritik
Ein "Where Is My Mind?"-Cover mit neuer Bassistin.
Review von Michael SchuhAls schon niemand mehr damit gerechnet hat, nämlich ganze zehn Jahre nach ihrer Wiedergeburt als Indie-Rock-Marching-Band, verirrten sich die Pixies in den Proberaum und ließen das Band mitlaufen. "Indie Cindy" lautete der tragikomische Titel einer an sich erfreulichen Nachricht: Die Oststaaten-Heroes trauen sich, ihren Back Catalogue zu erweitern. Die living Legend macht sich angreifbar.
Das öffentliche Blutgericht war dann auch schneller zur Stelle als Ur-Bassistin Kim Deal den Bettel werfen konnte: Zu unspektakulär klänge das alles im Vergleich zu den alten Großtaten, so der öffentliche Tenor. Im Eifer des Gefechts wurde geflissentlich übersehen, dass Bandchef Frank Black beim Windeln wechseln natürlich nicht seine Songwriting-Gabe verloren hat. Songs wie "Blue Eyed Hexe" und allen voran "Bagboy" erinnerten nicht nur an die goldenen Jahre, sie machten sie fast wieder lebendig.
"Head Carrier" ist nun die stringente Fortsetzung des Comebacks, auch wenn man wieder an der ein oder anderen Stelle denkt: Gebraucht hätte es das nicht. Die Pixies spielen 2016 endgültig in der Red Hot Chili Peppers-Liga, in der es nicht mehr darauf ankommt, was hinten raus kommt, sondern dass überhaupt was kommt. Und mit diesen Songs geht man dann auf Welttournee. Da zu dieser Liga aber nur Zutritt erhält, wer früher mal entsprechend abgeliefert hat, befinden sich auch die Pixies zwangsweise im Auge des "Früher-war-alles-besser"-Orkans.
Apropos Peppers: Zufällig haben die auch ein Mitglied ihrer Glanzphase ziehen lassen müssen und schafften mit dem zweiten Album in neuer Inkarnation nun einen wichtigen Soundwechsel. Bei "Head Carrier" fehlt dieses Überraschungsmoment leider, ein Pixies-Song ist nach spätestens 30 Sekunden ein Pixies-Song, nur meistens nicht so gut wie einer von früher.
Für die geliebte (aus Publikumssicht) und gehasste (aus Blacks Sicht) Ur-Bassistin Deal war 2014 schon nach einem Song ("Bagboy") Schluss, nach kurzer Fehlbesetzung stieß man auf Paz Lenchantin, die hier nun auf allen Tracks den Fünfsaiter bedient. Respekt, ihre Erfahrung mit schwierigen Bandchefs als Ex-Zwan-Mitglied macht sich offenbar bezahlt. Staunt man beim Feelgood-Rocker "Classic Masher" und melancholischen "Bel Esprit" noch, dass sie mit Black sogar ein Duett singen darf, kommt es kurz darauf noch besser.
"All I Think About Now" ist eine derart freche "Where Is My Mind?"-Persiflage, dass man aus dem Lachen nicht mehr heraus käme, würde der Song nicht trotzdem funktionieren. Black traute sich offenbar nicht, ihn selbst zu singen, und übergibt Lenchantin das Mikro. Diese nutzt die Gunst der Stunde und macht eine ganz formidable Kim-Deal-Figur. "Uh-uuhh"-Gesang inklusive. Bekanntlich ist dies Blacks Abschiedssong über Deal, ob als Person generell, über ihren Abgang nach "Bagboy" oder wasauchimmer, aber wenn die neue Bassistin dann die Zeilen "I remember we were happy / That's all I think about now / If you have any doubt / I want to thank you anyhow" anstimmt, wird jedem alten Pixies-Fan warm ums Herz. Jaaa, es war so schön damals, lass es uns noch mal erleben, wo ist 1988, wenn man es braucht?
Weg. Fast. Denn auch "Head Carrier" bietet einige Momente, die wie auf "Indie Cindy" an die Großtaten dieser Band erinnern und gleichzeitig frisch wirken. In "Baal's Back" brüllt Black richtig böse herum wie zu jenen seligen "Surfer Rosa"-Zeiten. Because that's what the Pixies are all about. Textlich morpht er in die mythologische Figur Baal, die u.a. als Fruchtbarkeitsgott bezeichnet wird, generell ein Thema, von dem Black als Vater von fünf Kindern offensichtlich einiges versteht. Doch darum geht es nicht, Black lässt keifend wissen, dass er ins Diesseits zurück gekehrt ist, den Himmel verdunkelt und überhaupt: Die Macht ist mit ihm.
So ist es: Der unaufgeregte Noise-Opener "Head Carrier", für dessen spröde Refrain-Harmonie man diese Band einfach liebt, zeugt hiervon ebenso wie die Lou Reed-Hommage "Plaster Of Paris" oder das seltsam betitelte "Oona", bei dem Black eventuell die erste Begegnung mit Lenchantin reminisziert ("Please, I wanna be in your band").
Richtig dahinterkommen will ich zwar nicht, was Black mit der Aussage gemeint hat, "Head Carrier" tendiere in Richtung "Doolittle" (das irgendwie nutzlose Gebolze der Single "Um Chagga Lagga" kann er ja wohl nicht gemeint haben). Korrekter wäre: "Head Carrier" ist ein altersweises, spektakulär unspektakuläres Album jener Band geworden, die mal "Doolittle" komponiert hat. Man hört es an genügend Stellen heraus, und zumindest mir reicht das für den Moment.
4 Kommentare mit einer Antwort
gut gelaunt wie ich bin, würd ich sogar noch nen pünktchen mehr springen lassen.
lediglich "head carrier" ,"tenement song" und "all the saints" taugen mir nicht. der rest ist eigentlich ganz gut geworden, mit "baal's back", "oona" und dem schon erwähnten " all i think about now" gibts sogar 3 wirkliche kracher die zu den alten glanztaten der band mühelos aufschließen können.
Na ja, Paz wurde ja (geraden von den eher stumpfen Macho-Muckern in meinem damaligen Umfeld) früher bereits auf der ersten Perfect Circle-Platte als "schmückendes Beiwerk" geschmäht.
Die qualifiziert sich für so nen Job nicht allein durch ihre Fähigkeit, mit selbstherrlichen Egomanen auch in deren unkreativsten Phasen brauchbare Scheiben aufzunehmen.
Hab noch nichts gehört von der Platte, glaube aber, dass das in dieser "RHCP"-Klasse noch einige Jahre laufen wird für die Pixies. Live auch immer wieder mal gerne. Irgendwie bin ich mit den Pixies bzgl. ihres Status auch nachsichtiger als mit den Peppers, aber die Geschichte ist auf anderem Papier gedruckt.
BAAL's Back?! Selbst bei den Pixies ist angekommen, dass er wieder stattfindet?
Beim ersten Durchgang fand ich das Album sehr schlecht. Nach einer Woche heavy rotation bin ich jetzt ein bisschen nachsichtiger. Ist nun mal weniger rockig als ich erwartet habe. Neue Fans wird die Scheibe sicherlich nicht gewinnen, dazu ist sie zu unspektakulär. Drei Sterne vergebe ich nur mit viel goodwill.
Das Ding hat seine Highlights (Might as well be gone, All I think.., Classic Masher, Bel Esprit etc); aber wie beim letzten Album sind auch hier einige Totalausfälle dabei; die nicht mal als BSeiten taugen. Allen voran Um Chagga Lagga und Plaster of Paris.
Muss mir noch ueberlegen ob ich Live Tickets kaufen werde.
Wieder mit etwas Abstand gehört ist das auf jeden Fall eine weitaus homogenere Platte als Indie Cindy.
Die kurze Spieldauer tut dem Album ziemlich gut, wenig Durchhänger insgesamt. Sogar das Titelstück hat sich mittlerweile etwas gemausert.
Drei mit Tendenz zu vier Sternen würde ich dem Album locker geben.