laut.de-Kritik
So mancher Klassiker wird gegen die Wand gefahren.
Review von Kai ButterweckGenau zwanzig Jahre nach ihrem Live-Debüt auf den Brettern der London Studios betreten Placebo im August 2015 erneut die Bühne jener Location, in der vor zwei Jahrzehnten alles seinen Anfang nahm. Der Rahmen ist diesmal jedoch ein anderer. Kein Wunder, aus der ehemaligen Underground-Band um Frontmann und Aushängeschild Brian Molko ist ein weltweit operierender Mega-Act geworden. Und so tummeln sich unter den erwartungsfrohen Gästen vor der Bühne keine gängigen Booking- und Kartenhäuschen-Verantwortlichen, sondern adrett gekleidete MTV-Unplugged-Mitarbeiter. So ändern sich die Zeiten.
"Die größte Herausforderung bestand für uns darin, diese Stücke neu zu erschaffen – und zwar auf eine ganz neue, reizvolle Art und Weise. Denn letztlich wollten auch wir überrascht werden", gab Molko vor einigen Tagen zu Protokoll. Und fürwahr: "Placebo MTV Unplugged" wartet mit so einigen Überraschungen auf.
Ummantelt von filigranen Streichern und orientalischen Percussions, bisweilen auch in neue Atmosphären getaucht und rhythmisch verändert, stellen sie ihre Songs auf den Kopf. "For What It's Worth" kommt zunächst schwungvoll, trocken und rockig um die Ecke, ehe die Band nach zwei Minuten komplett innehält und Platz schafft für eine Streichereinlage. Auch das im Original treibende "Because I Want You" wird runderneuert. Statt energiegeladenen Gitarren, bestimmen softe Drums und melancholische Pianoklänge das Klangbild. Sehr schön.
Neben weiteren Überraschungsei-Highlights wie den beiden Raritäten "36 Degrees" und dem siebenminütigen "Bosco" fahren Molko, Stefan Olsdal und Neu-Drummer Matt Lunn aber auch so manchen Band-Eckpfeiler gegen die Wand. "Every You Every Me" beispielsweise kommt in der Tempo-30-Version nicht annähernd an die Klasse des Originals heran. Da hilft auch das etwas träge näselnde Duettorgan der dänischen Singer/Songwriterin Majke Voss Romme nicht. Auch das gemeinsam mit Joan Wasser alias Joan As Police Woman interpretierte "Protect Me From What I Want" hinkt der Urfassung hinterher.
Schlussendlich klatscht man aber dennoch anerkennend Beifall – allein schon wegen der alles in den Schatten stellenden Coverversion des Pixies-Meilensteins "Where Is My Mind?". Das gute Stück wurde wahrlich schon oft gewinnbringend durch den Reißwolf gezogen. Aber Placebo setzen dem bisherigen Frank Black-Kniefall-Reigen an jenem Abend die Krone auf. "This song is about how I often feel", haucht der Sänger ins Mikrofon. Oh, da bist du sicher nicht der einzige, lieber Brian.
4 Kommentare mit 8 Antworten
Diese ganzen Unpluggeds werden langsam zu einer Epidemie. Da hat die Musikindustrie anscheinend eine neue Cashcow zum melken gefunden.
Neu?!?
hätten sicher auch ein interessantes unplugged album abgeliefert
was ein traum wäre: lea-won unplugged und unrasiert in winterlichen beerenwäldern vor münchens toren. dann mitten in die am mic feuerspuckende performance von kramatik ohne kernkraft platzt ein besoffener igor k und beide heulen den mond an!
bleibt leider nur ein traum..
rofl
@molten, ich lolte.
Hör jetzt trotzdem mal auf mit dem Scheiß. Es reicht langsam.
igor k
Bin sehr skeptisch dran gegangen aber wie sie alle Songs neu arrangiert haben ist beeindruckend. Die Songs leben aber von der Stimme eines Brian Molko's. Und der Kritiker der die vor den Baum gefahrenen Songs schlecht fand, muss ich wiedersprechen. Gerade 36 Deegres und Bosco sind eindringliche Songs und das Duett ist sehr intensiv. ''Where is my mind '' ja das ist ein Meisterwerk. Ich als Fan der Band bin besonders streng und kann mit guten Gewissen sagen ,das Placebo mich noch nie enttäuscht haben, was ich von diversen anderen Bands leider nicht sagen kann. Nächstes Jahr auf Tour bin ich dabei.
Naja nie? Der letzte Release war saumäßig, leider.
Wirklich enttäuscht hat mich von Placebo nur die B3-EP. Das neueste Album finde ich schon gut, auch wenn es mich nie wirklich fesseln konnte.
Aber das Unplugged-Album höre ich momentan echt gerne, sehr gelungen!
Ob da Klassiker an die Wand gefahren wurden oder nur anders sind als erwartet, darüber kann man streiten.
Also Unplugged ist sicher keine neue Cashcow. Sicher ist es im Moment wieder mehr im kommen aber das Konzept MTV Unplugged wurde in den Neunzigern (als MTV noch DER Musiksender schlechthin war) als Gegenbewegung zu Techno und Eurotrash durch die Gigs von Metallica, Nirvana oder Eric Clapton als "Marke" etabliert. Heute, 20 Jahre danach ist der derzeitige "Boom" sicher auch etwas der Nostalgie geschuldet. Was Placebo angeht so bin ich noch nicht so sicher wie ich das Album finden soll ...
Dieser Kommentar wurde vor 9 Jahren durch den Autor entfernt.