laut.de-Kritik
Wer hält den Superstar immer noch für seinen Geheimtipp?
Review von Yannik GölzAlle erinnern sich daran, dass SZA in nicht all zu ferner Vergangenheit noch das Prädikat des relativ unterschätzten Artists hatte: "CTRL" war ein kommerziell erfolgreiches Tape, aber eins für die Indieheads, für die Leute mit dem guten Geschmack, zumindest im Halbschatten des TDE-Labels. Nur ein Album später ist sie einer der größten Popstars des Planeten geworden, musikalisch-kommerziell weit über den R'n'B hinaus. Ihre Lead-Singles debütieren auf der Eins, ihre Alben bombardieren die Charts.
"SOS" war das Album, das ihr diesen Sprung ermöglicht hat. Das Tape war lang, und die Länge bot ihr die Möglichkeit, richtig schamlos mal zu probieren, wie das so wäre. Einfach mal auf die Trends springen. Einen Pop-Punk-Song machen. Eine Radio-Single. Die Menge an starkem Material war so dicht, dass sich niemand beschwert hätte, außerdem machte sie sich direkt mit der TikTok-Crowd vertraut. So schnappte sie sich die globale Pole Position und den Superstar-Status so lowkey wie kaum je jemand vor ihr. Fans, die das alles nicht so genau verfolgen, könnten bis heute im seligen Glauben bleiben, SZA wäre so etwas wie ihr Geheimtipp.
Zwei Jahre später folgt ein neues Album, aber nicht so richtig. Nein, höret: "Lana" hat zwar fünfzehn neue Tracks, musikalisch mit Abstand zum Original-Material, mit eigener Lead-Single und eigenem Cover. Aber wir haben es hier mit einer Deluxe für "SOS" zu tun. Ich will ganz ehrlich sein: Das scheint mir Blödsinn. Wenn es gackert wie ein Huhn und flattert wie ein Huhn, dann ist es ein Huhn, und wenn es ankommt wie ein Album und verpackt ist wie ein Album und sich durchhören lässt wie ein Album, dann werde ich es wohl ein Album nennen dürfen. Vor allem, weil "Lana" sich nicht wie ein DLC zum eh schon langen und überfrachtetem Vorgänger anfühlt. Im Gegenteil: War der SZAs Versuch, mit dem Pop zu kokettieren, fragt "Lana" sich, was sie jetzt damit anfangen soll.
"Lana" hat definitiv Hits. Die Fans haben sie auch bereits herausgesucht: "Scorcese Baby Daddy" landet sofort auf dem Stapel der guten Songs über toxische Beziehungen, denn er zeichnet immerhin den toxischen Partner so, dass man versteht, warum sie überhaupt jemals dort gelandet ist. Groove-mäßig wird das nur von "BMF" getoppt, dem vermutlich schamlosesten Track hier. Die tingeligen Pop-Gitarren gegen einen wirklich starken Bass-Groove: Das ist schon ein bisschen formelhaft. Würde SZA nicht unvergleichlich viel Swag haben, könnte sie darauf nicht Sachen wie "I can't keep my panties from dropping / He's so fly, fly" sagen. Aber sie kommt damit davon, weil sie eben SZA ist. Es muss Spaß machen, so viel Charisma zu haben, dass man im Grunde alles sagen könnte. Das Magazine Elle lobte die Line "Chat, should I fold that bitch, no yoga mat?" als "eiskalte Punchline". Ich bin mir nicht zu 100% sicher. Aber sie könnten vielleicht sogar recht haben.
Das Album hat auch seine artsy Perlen: "Kitchen" flippt "Voyage To Atlantis" von den Isley Brothers für ein trippy-verspieltes Ständchen über Magic Mushrooms, Sex in der Küche und einen furchtbaren Typen, den sie nicht vergessen kann. Die supercheesy Synth-Leads im Refrain sondieren diese eigenwillige Nostalgie, die sie bis "Ctrl" so einzigartig gemacht haben. Atmosphärischer wird es nur auf dem Track "Drive", auf dem sie Weltflucht betreibt, in der Hoffnung, irgendjemand bemerke ihre kalte Schulter gegenüber der Welt. Ihre zunehmend aufgewühlten R'n'B-Raps über die superminimalistischen Gitarren-Zupfer machen einen interessanten Kontrast, und der Song erreicht dieses Ziel, aufgewühlt und übernächtigt zu klingen.
Das Ding ist jetzt nur: Auch wenn SZA diese beide Pole, die sie mit "SOS" schon anskizziert hat, weiter ausstaffiert, kommt sie der Synthese damit nicht näher. Denn viele Songs in der Mitte, die weder richtig artsy, noch richtig poppig sind, fallen ein wenig flach. Gerade das erste Drittel hat ein paar Snoozer im Gepäck: "No More Hiding" scheint trotz Intro-Status niemanden so recht zu interessieren, "Diamond Boy (DTM)" geht zum einen Ohr hinein, zum anderen heraus. Und auch, wenn Leute Kendrick-SZA-Kollaborationen per Geburtsrecht für Meisterwerke halten, sehe ich den großen Deal an "30 For 30" auch nicht. SZA macht ein paar autopilotige Vocal-Gymnastiken und Kendrick trottet gelangweilt nebenher. Wie man das hören und es reinen Gewissens über oder auch nur neben ein "Doves In The Wind" stellen kann, ist mir ein Rätsel.
Wobei, es gibt eine Synthese: "Saturn", die Lead-Single, die hier noch einmal ans Ende des Tapes geklebt wurde, scheint mir gekonnt Elemente beider Pole zu kombinieren. Ihre kosmische Hymne an den Eskapsimus trägt universelle Gefühle und eine starke Hook, baut aber mit den summenden, hohen Harmonien und dem verstrahlten Instrumental doch einen der wenigen Momente auf, die dem abgefahrenen Cover so richtig gerecht werden.
"Lana" fühlt sich wie ein Palette Cleanser an. Noch einmal alle Impulse von "SOS" aufkochen, ein bisschen mit dem nostalgischen Sound der früheren Projekte kokettieren, alle Möglichkeiten einmal aufbrühen. Aber das beste Argument, dass das hier tatsächlich eine Deluxe sein könnte, ist dann doch, dass die Songs sich weniger definitiv und notwendig anfühlen. "BMF", "Kitchen", "Drive" und "Saturn" kann man sich durchaus einmal geben, aber darüberhinaus plätschern große Teile der Spielzeit SZA-untypisch einfach nur hübsch dahin. Wer nach Mammut-Tape "SOS" also noch nicht direkt wieder hungern sollte, muss nicht alle Hoffnung auf "Lana" setzen. Hoffen wir, dass die Deklaration dieser Songs als Deluxe so verstehen dürfen, dass das tatsächliche Album deutlich ambitionierter ausfallen wird.
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