laut.de-Kritik

Undefiniertes Genre zwischen Glam-, Goth- und Pyjama-Wurzeln.

Review von

Scarlet Dorn sind nicht begeistert, als eine Covid-Infektion ihre Tour mit Lord Of The Lost kurz nach dem Start stoppt. Auf der Bühne können sie im Schlepptau der beliebten Lords zwar nur einen kleinen Ausschnitt aus ihrem großen Album-Spannungsbogen darbieten. Aber gegenüber Publikum, das diese Musik lebt.

Gothic-Metal funktioniert auf Merch-Ebene ausgesprochen gut: Die Fans kommen in Gruppen und dunkel durchgestylet - da hat sich nach der Pandemie nichts geändert. Vielleicht hat sich bei den weiteren Gigs in Südeuropa auch das Album "Queen Of Broken Dreams" der Support-Band Scarlet Dorn gut an den Merch-Tischen verkauft, jedenfalls macht man mit der Platte viel richtig.

Sehr gut komponiert, getextet und gespielt, bleibt mir die erdbeerrote Scheibe als eines der Highlights 2022 haften. Obwohl ich weder Fan bin noch Fachmann der Düsternis. Doch die Königin der zerbröselten Träume mischt eine gehörige Portion Eingängigkeit, Pop-Klarheit und Singer-Songwriter-Ausdruckskraft in die melancholische und melodramatische CD. Das Album bewegt sich thematisch zwischen den Polen Traum, Glanz und Wunschwelt (helle Seite des Lebens) versus Leid, Absturz und harte Wahrheit (dunkle Seite), aber auch Liebe, Brennen und Leidenschaft versus Unerreichbarkeit, Entfernung und Nicht-Greifbarkeit.

"So würdest du das Album in vier Pole unterteilen?", rückfragt Frontfrau Scarlett im Interview. "Ich würd's vielleicht auch in einem beschreiben", hält sie dagegen: "Das sind alles Thematiken, die irgendwelche Formen von Traumerfüllung oder Nicht-Erfüllung verarbeiten. Und wenn wir von Träumen reden, denken wir oft von an hohe Ziele, die wir erreichen möchten. Aber Träume sind auch kleine, alltägliche Dinge, die wir verlieren oder für uns dazu gewinnen können; das sind auch alles Träume, die sich erfüllen oder nicht erfüllen."

Im Unterschied zum Vorgänger "Blood Red Bouquet" kommt Pop nicht mehr in Form von Synthie-Dance-Momenten zum Vorschein, sondern in den Melodien. Manche brechen sich in hymnischen Hooks Bahn, wie in "Your Highness", das zwischen Glamrock-Rhythmus und klirrkalter Industrial-Stimmung in den Strophen pendelt. "Der Song kommt von Chris, der früher auch in einer Glamrock-Band gespielt hat", sagt Sängerin Scarlet über ihren Producer Chris Harms von Lord Of The Lost, ehemals The Pleasures. "Da passt die Glamrock-Beschreibung ganz gut. Da kommt der Einfluss sicher her - das Feeling hatte ich auch. Es war erst mehr von dieser Richtung drin. Was wir am Ende draus gemacht haben, war dann mehr Scarlet Dorn mit ein paar Wiedererkennungsmarkern von uns."

Genre-typische Schlagzeug-Peitschenhiebe aus den Dark-Pop- und Goth-Metal-Segmenten bekommt man in "Unstill Life" und "Falling" auf die Ohren. Was weit überwiegt, sind klavierbetonte und anheimelnde Balladen mit anspruchsvollen Arrangements und Tiefgang. "A Million Miles Away", "Meteor", "Tonight", "When You See Me Again" und "Born To Suffer" sorgen für die Gefühlsausbrüche, wobei letzterer Tune schon das Zeug zum Radio-Pop-Hit hat. Dicke Symphonik und eine klare, nachvollziehbare Struktur balancieren einander super aus. Stringenz und eine gute Hook runden die Performance ab und sorgen fürs perfekte Lied.

Versinken kann man sehr gut im dringlich geträllerten "Love Wasn't Made For Me" samt Megaphon-Effekt, mit starker Dynamik zwischen lauten und leisen Strecken. Der schwungvoll pulsierende Titelsong ist großes Schwermut-Kino, "A Light That Blinds The Truth" der schneidende Rock-Stomper. In seiner Flexibilität zwischen soft und hart und dank seiner Flüssigkeit hat der Track eine starke Ausstrahlung. Dem Kerngeschäft des Gothic-Rock steht "What Are We To Do" am nächsten, in dem ein geschmackvoll eingeflochtener Background-Chor beim Austreiben der Dämonen und der Suche nach einem Happy-End unterstützt.

Scarlet, die Frontfrau, singt umgeben von ihren vier Instrumental-Männern an Bass, Gitarre, Schlagzeug und Klavier. Scarlet ist ein Pseudonym: "Solang ich denken kann, hab ich das immer sehr gemocht, wenn Künstler Künstlernamen hatten. Ich empfinde das wie das eigene Kunstwerk. Das hat einen Namen. Und ich trenne das auch gerne von meinem privaten Ich, das zuhause gerne vorm Laptop im Pyjama sitzt und Kaffee schlürft", erzählt uns die Sängerin, die nicht zufällig so viel Emotion und Modulation in ihre Vocals legt. Eine professionelle Stimmbildung war ihr wichtig, "Tarja Turunen war der größte Auslöser dafür, dass ich klassischen Gesangsunterricht nehmen wollte. Das waren Tarja, Within Temptation, also Sharon, und Epica, Simone Simons, das waren alles für mich ganz, ganz tolle Frauen mit klassisch angehauchten Stimmen."

"Queen Of Broken Dreams" bedient ein eigenes, nicht-existentes Genre. "Dadurch, dass wir eben nicht eine Genre-Nische fahren wollen, und einfach, wie Chris so nett gesagt hat, 'unsere Lieblingsmusik machen' wollen, gibt's nicht irgendwie 'ne Handvoll Labels, die nur drauf warten, dass jemand mit genau diesem undefinierbaren Genre an ihren Türen klopft." Den anderen Plattenfirmen entgehen dann allerdings schöne, hochwertige Produktionen und so ein wirklich gutes Album.

Trackliste

  1. 1. Falling
  2. 2. Born To Suffer
  3. 3. Queen Of Broken Dreams
  4. 4. Your Highness
  5. 5. A Light That Blinds The Truth
  6. 6. Meteor
  7. 7. Unstill Life
  8. 8. When You See Me Again
  9. 9. Love Wasn't Made For Me
  10. 10. What Are We To Do
  11. 11. Tonight
  12. 12. A Million Miles Away

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