laut.de-Kritik
Gangster spielt Golf.
Review von Kay SchierNach schlanken 40 Minuten "CrasH Talk" verschränkt der Gangstarap-Connaisseur die Hände hinter den Kopf, pustet Rauch aus und sinniert postkoital los: "Wow, einfach wow. Böser Brocken. Knallhartes Ding. Düsteres, psychedelisches Meisterwerk. Allein der Einstieg wird Leute vor den Kopf stoßen. Da muss man erst einmal rein, das ist sperrig, das ist mutig, ein scharlachrotes Bildnis von South Central, Gangstarap im Geiste von Ghostface, legiert mit der Rafinesse von ..." - und eine Minute hirnverbranntestes Geschwurbel später - "Blank Face LP, wow. Muss man mal wieder hören. Ah ja, 'CrasH Talk', hmm, ja, hmja, ganz geil, ja. Eigentlich schon geil. Ja. Hmmh." Sinnkrisenalarm.
Ein wenig erinnert die jüngste Entwicklung Schoolboy Qs Diskografie an die von Top Dawg-Kompagnon Kendrick. Dessen jüngstes Solo "Damn." wirkte, bei aller Qualität, wie die Buletten mit Bratkartoffeln, die nach der Nouvelle Cuisine von "To Pimp A Butterfly" gerade schwer nachgefragt waren. Parallel beeindruckt "Blank Face LP" nach zwei Jahren immer noch (ich sage nur: knallhart, düster, psycho, Scharlach, Geist von Ghostface etc.), gerade weil es überlang und mit Ideen vollgestopft ist, und sich gerade deswegen erst mit der Zeit erschließt.
"CrasH Talk" wiederum geht in die entgegengesetzte Richtung und legt Wert darauf, dass man nach 40 schlanken Minuten weiß, was Sache ist. "Hood legend, ah / chef boiled it, ah": Einmal "Gang Gang" und fertig ist das Beefsteak in unter zweieinhalb Minuten. Wie gehabt schön blutig und mit der gewissen Würze.
Das Album orientiert sich in seiner rohen Attitüde und Fokussiertheit deutlich mehr an "Oxymoron" als an den breitflächig ausgewalzten, verspielten Beatmonstern des direkten Vorgängers: "Gang Gang", "Numb Numb Juice" und "5200" sind Trap nach reiner Lehre, der sich offensichtlich Mühe gibt, den Kurzweil der Sache nicht durch redundante Überlänge zu strapazieren. Das funktioniert bei den genannten Beispielen wunderbar, denn die Beats rollen ohne Experimente nach vorn und Schoolboy Q mit ihnen.
Innovationstechnisch schielt hier niemand auf den Oscar, das ist mal sicher. Frage an den Connaisseur, kann man diesem charmanten Herrn dafür ernsthaft böse sein? "Who that n-word in that candy glow" - den lakonischen Tonfall samt trockenem Humor hat er immer noch drauf. Zudem hat sein Flow nichts an charakteristischem Swagger eingebüßt. Sei es das Telefonbuch, oder, da dieses Bild auf mehreren Ebenen seine besten Jahre gesehen hat, sein eigener Facebook-Feed, oder, da dieses Bild auch nicht frischer wird: Was der Mann da für "Tales" rappt, ist strenggenommen egal, so unverändert unnachahmlich cool, wie er es von sich gibt.
Dass er die Attitüde gefressen hat, von der N.W.A. unseren Großvätern erzählt haben, steht außer Zweifel, zudem kommt sie ihm überaus elegant wieder von der Zunge. Stimmvariationen, Flow, Energie, alles wie immer eine Klasse für sich. Q kann zudem den Trapper genauso wie den Storyteller, letzteres eine Stärke, die sich vor allem im Schlusstrack "Attention" zeigt: Der Text beginnt mit einem überrumpelten Quincy bei den Grammys, Jay-Z, Nas, Alchemist, alle, wie sie da sind, erkennen ihn als einen der ihren an. Doch die Gedanken gleiten ab, zurück in die bleiernen Jahre, in denen die Kugelhagel noch wie Wolkenbrüche kommen und plötzlich wieder gehen als folgten sie Naturgesetzen. Sie prägen die Texte des passionierten Golfers bis heute.
Des bitte wie? Der stets informierte Connaisseur hustet dreimal kräftig: "Kannst du mir aber glauben, hab ich aus der GQ". Der Gangstarapper steht, so wusste das Magazin in einem Feature jüngst zu berichten, beinahe täglich auf dem Grün. Nicht, dass Schoolboy Q aus seiner Leidenschaft für derlei patrizischen Zeitvertreib ein Geheimnis machen würde: "Nigga gotta hit the golf course to get a peace of mind", heißt es auf "CrasH". "Und jetzt willste also deswegen so ein ranziges Realness-Fass aufmachen, hä?", giftet der Connaisseur zurück.
Mitnichten, nur liefert dies leider den perfekten Aufhänger, um loszuwerden, dass einen "CrasH Talk" ums Verrecken nicht voll zufrieden stellt, und dass der Conaisseur auch ganz genau weiß, was ich meine, die blöde Sau. Weiter heißt es in "CrasH": "Got my daughter that mansion / gave my mother that million", das Gras ist grün, der Ball eingelocht. Dazu ein voll befriedigender Beat von Boi-1da, voll befriedigend im Sinne von 3+.
Deswegen bevorzugt der Connaisseur in seinen Rauchschwaden im Zweifel stets die vergangenen Großtaten vor "CrasH Talk": Es gibt einen Unterschied zwischen angekommen und arriviert, zwischen erlöst und gesättigt, mit den Anzugträgern der Majors auf Augenhöhe zu sprechen und mit ihnen zu golfen. Der Rotz, der Hunger von Schoolboy Q verpufft zu oft, ohne große Spuren zu hinterlassen. Exemplarisch dafür steht die Hook von Travis Scott auf "Chopstix", die im Wesentlichen aus einer Wiederholung dieses Wortes besteht. Er wiederholt das mit einer schönen Melodie. Kann man nicht meckern. Das, was er da macht, macht er gut, aber er macht eben nicht viel.
Von 14 Tracks kratzen nur drei an den dreieinhalb Minuten, der Rest ist teilweise deutlich kürzer. Die Frage, ob Q samt Produzenten ganz bewusst Dinge weg-, oder aus Kreativitätsarmut schlicht liegengelassen haben, stellen sich hier mal weniger, da mal umso mehr, aber sie stellen sich eben auch noch nach dem fünften oder zehnten Durchgang. Brutal gesagt, kann man die Tracks abseits der oben genannten Höhepunkte in die Kategorien 'ganz gut ...' und "... aber was soll das?' aufteilen.
"Drunk feat. 6LACK" ist so ein ganz guter Song, angenehm melancholisch ohne große Tiefe, zudem liefert Letzterer hier das beste Feature des Albums, dies aber dafür ärgerlich kurz. Irgendwo zwischen den Kategorien steht "Lies feat. Ty Dolla $ign & YG", dessen locker-flockig-poppig-sommerlicher Klischeebeat einerseits krass nicht ins sonstige dunkle Soundbild passt, als Westcoast-Lowrider-Reminiszenz aber noch irgendwie durchgeht. YG stört mit seinem Part nicht, wenn er da ist, und wie die Stimme von Ty Dolla $ign klingt, hat man eigentlich schon vergessen, wenn er Luft holt.
"Black Folk" fühlt sich an wie "Tales" in nicht ganz so gut, nicht schlecht also, aber mehr nicht. Ähnliches gilt für "Die Wit Em", das die Masse der härteren Tracks des Albums durch seine Redundanz und den ideenlosen Beat mehr verwässert als ergänzt. Seltsam teilnahmslos zieht "Dangerous feat. Kid Cudi" an einem vorüber und wirft bei allem Respekt vor seiner Kunst die Frage auf, wie viel Cudi eigentlich dafür bekommt, dass er ein bisschen aufs Instrumental summt.
In der Wirkung deutlich Richtung ärgerlich geht zum einen "Floating feat. 21 Savage", das so wirkt wie die klamaukige Horrorparodie eines 21 Savage-Tracks. Der Beat verhält sich zu Metro Boomins atmosphärischen Meisterwerken wie ein Kinderkeyboard zu einem Steinway. Q wechselt aus den von seinem Gast abgekupferten tiefen Registern abrupt in ein nervtötendes Quäken, und wenn 21 Savage Doubletime rappt, klingt er, als würde er eine Treppe hinunterstolpern.
Zum anderen ist da "Water feat. Lil Baby" mit der bislang vermutlich dümmlichsten Hook des Jahres: "Yeah, I got that water, yeah, I got that water (that H2O)". Macht man auch noch den Fehler, sich das kurz auf Deutsch zu vergegenwärtigen, klingt das auch plötzlich nicht mehr nach Schoolboy Q, sondern nach Rin, und der Kosmos schmilzt vor Schreck. Drip und so. Deswegen, Tipp vom Conaisseur, besser sein lassen.
Der ist mittlerweile im Rauch kaum noch sichtbar, verrät seine Position aber wieder durch kräftiges Husten, und muss nun eine Entscheidung in Bezug auf "CrasH Talk" treffen, was ihm überhaupt nicht behagt. "Also, man kann das schon hören. Q, weißt du, er ist ein geschmeidiger Dude. Er lebt für den Gangshit, und er liebt das Golfen. Irgendwie geil, irgendwie auch scheiße. Aber da muss man gönnen. Kann man natürlich auch sein lassen. Aber ich hab' da mal eine Geschichte gehört von einem Bauern, dessen Sohn bricht sich das Bein, und der Bauer sagt nur, gut, schlecht, wer weiß? Das geht dann noch irgendwie weiter und hat noch eine Moral. Erzähl ich, wenn's mir wieder einfällt".
4 Kommentare mit 3 Antworten
Wertung geht schon klar!
Bitte mal das neue 03 Greedo Album rezensieren, das gefällt mir noch ein Stück besser!
Numb Numb Juice ist unfassbar gut.
Die Rezension kommt zu einem Zeitpunkt, wo ich das Album kaum noch höre, aber die Wertung passt schon so. Handwerklich kann ich Q und Co. nicht viel vorwerfen, aber nach 3 Jahren und DEM Vorgänger habe ich doch mehr erwartet, nämlich eine Weiterentwicklung des düsteren, verspielten Sounds von der "Blank Face LP" und keine (zwischenzeitliche) Anbiederung an aktuelle Sounds. Schon als ich das unästhetische Cover zum ersten Mal gesehen hatte, war ich ja irritiert. Zwei Drittel der Songs gefallen mir aber immerhin und gegen Ende wird es stärker. Mein Highlight ist wahrscheinlich "CrasH".
Ich weiß übrigens nicht, wie es euch geht, aber ich bin kein großer Fan von Travis-Scott-Features, da er dann eigentlich immer zu sehr dominiert.
Stimme dir voll und ganz zu, sobald Travis auf nem Lied ist hört es sich sofort an wie sein eigenes Lied, selbst wenn er nur auf dem Hook zu hören ist. Persönlich höre ich ihn recht gerne, aber CHopstix war echt ziemlicher Müll finde ich. Auch sonst geht es mir wie dir, mir gefällt der Großteil der Lieder, aber im Vergleich zu BFLP ist das echt schwach. Mein persönlicher Favorite ist Black Folk.
P.S. Ich finde es echt traurig, dass Lil Baby ein besseres Feature als YG hat
Ich höre Travis auch ganz gerne, aber eher in Maßen. Ein paar Songs mit seinen Label-Kollegen oder wieder was mit A$AP Rocky wären mir irgendwie lieber gewesen.
Muss dir auch als große YG-Fan leider zustimmen, was Lil Baby angeht. Aber "4REAL 4REAL" entschädigt uns hoffentlich bald.
Ja, hoffe das kommt bald. Sollte ja ursprünglich letzte Woche kommen. Und ich hätte auch gerne bessere Features gesehen, 21 Savage, Kid Cudi und Lil Baby waren gut, könnte mir trotzdem Besseres vorstellen.
Die Vorabdinger haben enttäuscht, daher passt die Bewertung vermutlich auch. Höre aber auf jeden Mal rein.