laut.de-Kritik

"Ich bin ein Pilger des Wahnsinns, der durch das Leben hier stolpert."

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Die Umstände ließen ihn zunächst zweifeln. "Braucht es noch Horrorcore? Braucht es noch Splatter-Texte in einer Welt, die sowieso voll mit Gewalt ist und die wir auch jeden Tag miterleben?", habe er sich gefragt. Nach seinen von persönlichen Ereignissen inspirierten Werken "Lockdown" und "Höllensturz" seien ihm dann auch noch die Ideen ausgegangen. Erst die Arbeit an "Gewalt und Poesie", einem literarischen Dialog mit Jess Tartas, habe ihn zu neuer Reflexion gezwungen. Nun begleitet Schwartz als selbsterklärter "Nachtmensch" sein spezielles Publikum durch die düsteren Stunden des Tages.

Mit einem Hochgefühl empfängt der Rapper die "Abenddämmerung", die er als Weltuntergang en miniature skizziert. "Der Himmel wird rot. Wer hat ihn angezündet und den Tod dieses Dreckstages angekündigt?", fragt er mit abgeklärter Stimmlage, obwohl er sich insgeheim selbst als Auslöser begreift: "Ich seh' den Weltenbrand und fühl' mich wie Nero." Dazu brauen sich Synthies zusammen, die zunächst etwas altbacken klingen, zunehmend aber in fast filmische Streicher übergehen, die Schwartz ehrfurchtsvoll in die Nacht begleiten.

Genüsslich tobt er sich in "Oh Schreck" aus. Schwartz springt Passanten an, die arglos ihren Hund Gassi führen wollen: "Ich packe zu und reiße dir das Fleisch von den Knochen." Dem Sound nach zu urteilen, müssen sich seine Gräueltaten in Memphis abspielen. Von "Reit Meine Dämonen" bis "Was Zur Hölle" zieht sich durch "Nachtmensch" die verschrobene Friedhofsmusik, die hierzulande bereits vor 20 Jahren in Form von "In Den Strassen Von 4.9.0" adaptiert worden ist. Das wirkt vor allem deshalb etwas mutlos, weil er selbst den Horrorcore auf "Lockdown" bereits musikalisch weitergedacht hat.

Zweifelsohne sollten Kinder seinen sinistren Vorstellungen tunlichst fernbleiben. "Sandmann" Schwartz singt ihnen eine Dirty-South-Version von "Schlaf, Kindlein, Schlaf", mit der er das Heile-Welt-Versprechen des Wiegenlieds in sein Gegenteil verkehrt. "Du willst die Augen öffnen, aber es geht nicht, weil sie mit Stacheldraht zugenäht sind", weist er den jüngsten Hörern den Weg in die "Saw"-Szenarien ihrer Albträume. Mit diebischer Freude wiederholt er das Prinzip in "3:33", indem er "Alle Meine Entchen" auf links dreht. "Köpfchen unters Fallbeil, Lanze in den Arsch."

In "Nachtmensch", dem wohl besten Song, schauen der Hirntot-Rapper und sein Produzent Robbster Music am deutlichsten über den Horizont ihrer rustikalen Vorbilder hinweg. Hochfrequente Hi-Hats verweisen zwar auch darin auf die musikalischen Wurzeln, doch zugleich durchzieht das Stück eine leichte Western-Atmosphäre, die Schwartz mit einem adäquat Country'esken Chorus abrundet. Seinen inneren Zustand beschreibt er dazu mit denselben Attributen wie die ihn umgebende "kalte, blutige Welt". So verwischt er textlich die eigenen Konturen, um vollständig in der Finsternis aufzugehen.

Dass er in Wahrheit einen Mindestabstand zur Dunkelheit einhält, beweist wiederum "Stadt Der Verdammten". Anders als so viele seiner hedonistischen Kollegen tritt Schwartz viel moralischer, ja, beinahe konservativ auf. Er ist entgegen seiner Behauptung eben nicht "Down Mit Dem Teufel", sondern beobachtet aus der Distanz ablehnend die "Junkies, die ihre Seele verticken", und die "viel zu jungen, mageren, gefallenen Engel", die "ihre Körper an besoffene Monster verkaufen". Äußerst stabil wirkt sein Kompass auch in "Was Zur Hölle", das sich etwa gegen Heldentum und Selbstbetrug richtet.

"Ich bin ein Pilger des Wahnsinns, der durch das Leben hier stolpert", gesteht er sich schließlich ein. Eine optimale Selbstbeschreibung, denn es verdeutlicht, dass er die nächtlichen Abgründe mit Interesse und womöglich einiger Faszination betrachtet, aber letztlich immer ein Fremder bleiben wird. Und wenn Schwartz im "Morgengrauen" der aufgehenden Sonne am Horizont zuschaut, erheben Chöre die Wiedergeburt zu einem sakralen Spektakel. Dennoch bleibt da etwas Kämpferisches, quasi ein Lied von Eis und Feuer, das dem Tag nicht kampflos das Feld überlassen will. Es bleibt ein Sieg auf Zeit.

Trackliste

  1. 1. Abenddämmerung
  2. 2. Oh Schreck
  3. 3. Nachtmensch
  4. 4. Reit Meine Dämonen
  5. 5. Sandmann
  6. 6. 3:33
  7. 7. Stadt Der Verdammten
  8. 8. Down Mit Dem Teufel
  9. 9. Was Zur Hölle
  10. 10. Killer Killer (mit Blokkmonsta, Rako, Akkkzt und Dan Azrael)
  11. 11. Morgengrauen

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LAUT.DE-PORTRÄT Schwartz

Schwartz ist Rapper und Produzent und veröffentlicht auf dem Berliner Label Hirntot Records. Genauso wie sämtliche Signings dieser Plattenfirma, hat …

4 Kommentare mit 14 Antworten

  • Vor 6 Monaten

    Finde jemandem in deinem Leben, der dir so wohlwollend zuhört wie Dominik Lippe diesen ganzen Hirntot-Berufsjugendlichen.

  • Vor 6 Monaten

    Drift Phonk und Schwartz gehen vom Klanglichen ganz gut miteinander, leider scheitert es an den Texten und der Performance, sodass absolut kein bisschen an Ästhetik umgesetzt wird.

    Ich finde es immer bemerkenswert, wie wenig Horrorcore-Rapper wirklich von Horror verstehen und wie unglaublich aufgesetzt und unfreiwillig komisch diese Musik am Ende ist. Da will mir irgendein Familienvater in Halloween-Kostüm vor einem Greensceen in Rapverses mit überbetonten Silben erklären, dass er Leute aufschlitzt und Dämonen beschwört. Liebe Horrorcore-Rapper: Druckt euch mal bitte ein großes Poster aus, auf dem "Show, not tell" steht, rahmt es ein und hängt es euch bei der nächsten Session ins Studio. Und lasst es ja dort hängen.

    Und btw, es gibt auch noch sowas wie Delay, Reverb, Saturation zum Abmischen von Stimmen. Gerade bei einem Genre wie Drift Phonk kann man so noch viel an Atmosphäre rausholen, ansonsten klingt es eher wie ein aufgenommener Poetry Slam und sehr statisch.

    • Vor 6 Monaten

      Saturation sorgt aber nicht dafür, dass es weniger statisch wird. Und es heißt show, don't tell.

      Ansonsten Zustimmung. Habe Horrorkore allgemein lange für lächerlich gehaltwn, bis ich clipping. entdeckt habe.

    • Vor 6 Monaten

      Aaah, ja, da habe ich mal wieder schneller abgeschickt, als ich sollte. Das "statisch" bezog sich nicht auf die Vocals in den einzelnen Tracks, sondern eher auf das Album insgesamt, was wirklich sehr gleichförmig vom Mixing her klingt.

      Clipping werde ich mir mal geben, habe schon viel Gutes von denen gehört.

    • Vor 6 Monaten

      "Show, not tell"

      Komischer Ratschlag für ein auditives Medium.

    • Vor 6 Monaten

      Wat soll denn Drift Phonk schon wieder sein?

    • Vor 6 Monaten

      @Gleep:

      Das Prinzip gilt aber auch für die Literatur. Du kannst in einem Liebesroman schreiben: "Sie stand auf ihn, aber war schüchtern." oder stattdessen "Sie sah öfters in seine Richtung, aber bewegte ihr Gesicht von ihm Weg, wenn er ihre Blicke erwiderte." Oder halt in besser. Man sagt nicht direkt, was Sache ist, aber man weiß, was Sache ist und hat ein präziseres Bild vor Augen.

      Und genauso geht es mir mit vielen Horrorcore-Texten. Die Texte sind mir immer ein bisschen zu plakativ und direkt. Ein Großteil des Horrors, auch bei den schlechtesten Slasher-Filmen, lebt von der Erwartung dessen, was passieren könnte, nicht unbedingt von dem Moment, wo etwas passiert.

      @aufzugseil

      Die präzisere Bezeichnung für den Stil, den Schwartz hier bedient. Dunklen Synths und Cowbell. Normalerweise kommen die in Kombi mit House-Drums, aber hier hat man Trapdrums benutzt. Es wird bei Spotify als "Phonk" aufgeführt, aber originaler Phonk ist eigentlich was ganz anderes und wesentlich älter. Drift Phonk wird es genannt, weil besagte Beats in Edits mit Autorennen verwendet wurden und so ihre Bekanntheit bekamen.

    • Vor 6 Monaten

      Ah ok, dachte dass wird einfach nur Phonk genannt. Ich bleib dann doch lieber im Memphis/Houston Sound von dem alten Kram. Den lieb ich.

  • Vor 6 Monaten

    Sehr starkes Album von Schwartz, den ich als meinen Lieblingskünstler bei Hirntot bezeichnen würde. Die Beats sind ein neues Terrain für ihn und auch wenn ich mir die Zeiten zurückwünsche, in denen er noch wie wahnsinnig mit seiner Blutkehle herumgeschrien hat, so muss sagen, dass auch die Grabesstimme ihre Vorzüge hat. Besonders die Hook des Titelsongs ist einfach unfassbar einprägsam und melodisch, ist man so aus dem Horror- und Psychokore-Genre nicht gewohnt.
    An sein, meiner Meinung nach, mit Abstand bestes Werk "Teenieslasher" kommt "Nachtmensch" nicht heran, aber es ist auf jeden Fall eine schöne Neuinterpretation seiner eigenen Künstler-Person.