laut.de-Kritik
Bumm-bumm for those about to rave.
Review von Dani FrommEs empfiehlt sich, auf den großen Zeremonienmeister H.P. Baxxter zu hören. Er ist, je nach Bedarf, wahlweise der Transformer, der Hardrhymer, das Gesetz, der Supervisor oder, warum auch immer, Dave, auf jeden Fall multifunktional wie ein eidgenössisches Sackmesser. Wenn so ein Typ einem etwas sagt, dann hat das Gewicht. Davon lassen wir und gleich zur Begrüßung erdrücken.
Nur ein wahrhaft tiefsinniger Lyriker hätte die Zeilen ersinnen können, die in diesem Album willkommen heißen. "Are you ready?" Nein? Egal! "Open your mind!", lautet die diesmal ausgegebene Parole, und Baxxter hebt mit dramatischer Erzählstimme an, während tickende Uhren die unaufhaltsam verstreichende Zeit ver-klang-bildlichen: "Three decades ago we realised that drinking water is a waste of volume. We created a vibe that no-one had ever seen before. Now that we have almost reached our zenith we take you to another dimension."
Wow. Gleich der Opener "Thirty, Rough And Dirty" birgt ... quasi alles: Rückblick auf 30 Jahre Bandgeschichte, Erkenntnisgewinn, Selbstbeweihräucherung, Drohung (was soll das bedeuten, der Zenit sei FAST erreicht?) und ein Versprechen, das selbstverständlich niemand einzulösen gedenkt. Von "another dimension" bleibt dieses Album jedenfalls weit entfernt. "Open Your Mind And Your Trousers" folgt dem Erfolgsrezept, das sich Scooter hoffentlich haben patentieren lassen, noch konsequenter als seine Vorgängeralben.
Man hätte kaum für möglich gehalten, dass das überhaupt geht, aber dieses hier wirkt so strikt nach Schema F gestrickt, dass es schon wieder irgendwie fasziniert. Die Tracks gehorchen nahezu sämtlich dem Baukastenprinzip Vocal-Sample plus wuchtiger Bumm-Bumm-Bumm-Bumm-Autoscooter-Beat plus mehr oder weniger Nonsense-Lines von Baxxter, vorgetragen in seinem unvergleichlichen Teutonenenglisch. Nachdem wir alle diese Scooter-Doku gesehen haben (Haben wir? Falls nicht: holt das nach!), wissen wir inzwischen ja auch, wie derlei Dichtkunst entsteht: "Sag' mal irgendein englisches Wort", ja, das, nur das, erklärt Zeilen wie "My dog is a dingo, I keep hearing bingo."
Die Songs, die daraus erwachsen, dauern knackige zwei, zweieinhalb, maximal einmal drei Minuten, mit zwei Ausnahmen: Das Instrumental "ARDRHU" kratzt fast an der Vier-Minuten-Marke, noch dreißig Sekunden länger währt "Avoid Rivals", das ebenfalls ohne Baxxters Vocals auskommt und uns lediglich per eingesampleter zwei Zeilen etwas über das Paarungsverhalten giftiger Spinnen lehrt. Okay, Tracks ohne Poesie des Kalibers "Higher and higher, freed from desire, fast on the wire like a Dyson dryer" geraten zwar wesentlich weniger lustig, zeigen dafür mehr musikalische Entwicklungen. Will meinen: überhaupt welche. Sie wirken um Welten abwechslungsreicher, weil viel weniger absehbar als der ganze Rest.
Angesichts derartiger Ausreißer, die es ja auf jedem Scooter-Album schon gab, frage ich mich auch diesmal wieder: Könnten die mit solchen Nummern nicht vielleicht ein musikalisch wirklich gutes Album machen? Wahrscheinlich, und wahrscheinlich würden die eingefleischten Fans es von Herzen hassen. Dass die bewährte Mixtur dagegen bestens funktioniert, haben Scooter in den letzten drei Dekaden ein ums andere Mal bewiesen, warum also etwas ändern? Das Zeug taugt sämtlich zum sinn- und verstandbefreiten Hüpfen, für "Rave And Shout", und genau zu diesem Behufe haben es Baxxter und Begleitfiguren ja ersonnen.
Wen juckt da schon groß, dass ein Track genau wie der andere klingt? Gut, natürlich verwurstet jedes der 13 Nicht-Instrumentals ein anderes Sample, doch ob sie da einen Gassenhauer wie "Berliner Luft" verbraten oder, wie in "Waste Your Youth" das "Kompliment" der Sportfreunde Stiller (DAFUQ!?), bleibt letzten Endes so wumpe wie die Frage, ob sie den Vocal-Schnipsel einfach hochpitchen, ihn nach knurrigem Onkel oder nach einem Kinderchor klingen lassen. Am Ende ist alles Bumm-Bumm-Bumm-Bumm "For Those About To Rave".
Für "Posse Reloaded" schaut wieder einmal Finch Asozial vorbei. Er hat - ich habe gezählt - üppige 52 Worte mitgebracht, "Heiligeili" und "Ah!" inklusive, und entblödet sich nicht, sich als "Rüpel-Rapper", "Überstecher" und "Hühnertester" vorzustellen. Das passt immerhin zu dem schmierigen Eindruck, den Albumtitel und Artwork hinterlassen haben, braucht ansonsten aber wirklich kein Mensch.
Apropos: Auch hinter der in "Let's Do It Again" ge-introduce-ten Sängerin Annie Irvyne verbirgt sich kein menschliches Wesen. Verrückt, aber nicht wirklich überraschend, dass neben Baxxter, der hier den Graf Zahl aus der Sesamstraße gibt, in Flow, Text, Gesang, ach, eigentlich in jeder Hinsicht diese KI wie die*der absolut versierteste Beteiligte auf diesem Album wirkt, mit weitem Abstand. Sollte uns das ängstigen?
In erster Linie macht mich es ein bisschen traurig, so wie mir auch H.P. Baxxter von Jahr zu Jahr immer noch ein wenig bemitleidenswerter erscheint. "Boom shackalack, once again we are back", ja, schön, aber so richtig erhebend kann es sich doch auch nicht anfühlen, jahrzehntelang immer wieder aufs Neue Technos Rückkehr zu beschwören, und das auch noch in einem Track, der klingt wie eine mega-wuchtige Neuauflage von "No Limit". Statt DJ-Namen zählt der aus jeder Jugendkultur einfach langsam wirklich herausgealterte Onkel diesmal halt die von Berliner Clubs auf, stellt fest, dass der Großteil der aktuellen Clubmucke in seinen Ohren klinge wie Kuhfurz in der Badewanne, und fragt sich dann kurz zerstreut, wo wohl seine Teetasse abgeblieben sein mag. Man möchte ihn fast bei der Hand nehmen und ihm suchen helfen.
Vielleicht wär' es wirklich für jede*n gut, sich die auf diesem Album ja wieder freigiebig erteilten Ratschläge zu Herzen zu nehmen, zumindest einige davon. Wir alle würden weniger Kapazitäten mit Wassertrinken verplempern. Wir kämen - "Get up!!" - endlich weg vom Schreibtisch, es wäre wirklich schon wieder höchste Zeit dafür. Und auch Track-Attacker, Mic-Enforcer, Tricks-Checker Baxxter höchstselbst könnte gewinnen, würde er auf sich selbst hören, einfach mal was Neues ausprobieren, "fight the boredom". Jumpstyle-Purist*innen mögen das dann vielleicht nicht goutieren, aber wer wirklich zu den "rebels of the night" gehören will, sollte sich davon echt nicht aufhalten lassen.
7 Kommentare mit 4 Antworten
Alternativtitel:
Open your Heart- and your Weichteile
Wobei das bei den meisten Hörern die Birne sein dürfte.
"Auch ein Vorteil meines Alters: Ich kann sagen, was ich verdammt noch mal will (...) für Menschen, die die Welt so wie ich sehen" (H.P Baxter, 60)
Als altes Techno-Reptil kann ich sagen, dass diese Scheisse schon immer genervt hat und in den guten Clubs natürlich nie gespielt wurde.
Stimmt. Ich war auch auf so manchen Hardstyle-Festivals und anderen elektronischen Veranstaltungen und kein einziges Mal tauchte der Name Scooter irgendwo auf. Weder auf den Plakaten, noch als Remix noch als sonst was.
Ich habe mal ein Album aus den 90ern gehört und ich kenne zumindest einen Grund, warum zumindest die Klassiker in manche Sets nicht eingemixt werden: Die nehmen oft Publikumsreaktionen und Shouts in ihre Songs rein. Und ich glaube, die meisten DJs empfinden das eher als Cringe.
Schön, dass Gatekeeping vor keinem Genre halt macht.
Die meisten truen Hardstyle-Namen hat man dafür sonstwo noch nie gehört. Erst recht nicht in den letzten Jahren. Da hat Baxter offensichtlich etwas richtiger gemacht, wenn es nur um Erfolg und Geld geht.
Beim EDM gibt es, meiner Wahrnehmung nach, auch zwei Extreme: Entweder es juckt absolut niemanden, was gespielt wird, solange es einigermaßen zusammenpasst, weil sich niemand für die Namen oder die Songs an sich interessiert. Oder es wird wegen einem andersartigen Hihat-Rhymthmus gehatet und für unhörbar erklärt, weil es dadurch offiziell kein "low energetic 80s mall deep house" oder sowas ist.
ich liebe diese Band
„Kuhfurz in der Badewanne“. Äußerst akkurat.
"Respect to the Man in the Ice-Cream Van" Hp Baxxter seine beste line, ganz klar. Sehr lange her, ich werde alt