laut.de-Kritik

Rückkehr eines Rockpoeten.

Review von

In den ersten Jahren nach dem Veröffentlichungsstop System Of A Downs war es vor allem Serj Tankian, der die Öffentlichkeit kontinuierlich mit neuen Platten bei Laune hielt. Der Sänger tobte sich stilistisch aus, experimentierte von Klassik bis Jazz. Allein sechs Studioalben ballerte er zwischen 2007 und 2013 unters Volk. Nach dem unter anderem mit Tigran Hamasyan aufgenommenen Fusion-Werk "Jazz-Iz-Christ" wurde es allerdings merklich ruhiger um Tankian. Wohl auch in Zusammenhang mit der Geburt seines Sohnes zog er sich aus den gewohnten Gefilden zurück, fokussierte sich auf Familie, Filmscoring und Malerei. Man könnte meinen, in diesen acht Jahren habe sich viel verändert. Doch abseits der Texte, in denen er auf neuere politische Ereignisse reagiert und auch besagtem Sohn ein Lied widmet, dreht Tankian mit "Elasticity" die Uhren eher zurück zum Anfang seiner Solokarriere – und rückt damit wieder in die Nähe seiner Hauptband.

Das kommt nicht von ungefähr. Tankian schrieb den Großteil der EP Mitte der 2010er-Jahre in der Hoffnung, sie mit System Of A Down umzusetzen. Als klar wurde, dass die Bandmitglieder weiterhin keine gemeinsame Vision für ein neues Album finden würden, entschied er, die Stücke selbst zu finalisieren. Tatsächlich sind einige Passagen wie geschaffen dafür, dass Daron Malakian Tankians Vocals ganz wie früher mit manischen Backingscreams durchsetzt. Tankian selbst klingt stellenweise so aggressiv wie seit "Hypnotize" nicht mehr. Der Titeltrack, "Your Mom" und "Electric Yerevan" leben von harten Gitarren, Stimmungsschwankungen und exaltierter Stimmakrobatik.

System Of A Down allerdings waren nie verkopft – "Elasticity" ist es. Das gilt sowohl musikalisch als auch textlich. Die Übergänge zwischen wütenden Punk- und Metal-Ausbrüchen und gerne etwas folkig angehauchten Verschnaufpausen wirken bei Tankian solo durchkomponierter, geplanter als sie vermutlich ein Counterpart Malakian abgesegnet hätte. Bei den Lyrics steht trotz gelegentlicher Dada-Brüche Inhalt über Form. "Electric Yerevan" besteht zum Großteil sogar schlicht aus Notizen, die Tankian 2015 im Zuge einer armenischen Protestaktion niedergeschrieben hatte. "Mismanaged foreign monopolistic utility firms should always be made public before we all burn", heißt es zu Beginn. Catchy.

Während das Beugen der Wörter zur Melodie bei "Electric Yerevan" noch recht gut funktioniert, wirkt es beim ebenfalls mit politischen Anklagepunkten vollgestopften "Your Mom" oft eher ungelenk. Die Vocallines geraten dadurch zwar eigensinnig und memorabel, rauben den Instrumentalparts des Songs aber – auch weil Tankian hier sehr dominant im Mix steht – Möglichkeiten, sich richtig zu entfalten und die Komposition abzurunden. Etwas Kompromissbereitschaft muss vermutlich sein, wenn man in einem Song gleichermaßen islamistischen Fanatismus, Theo- und Autokratie, aber auch scheinheilige Zusammenarbeit anderer Staaten mit diesen Machteliten und damit indirekte Unterstützung solcher Systeme angeht. Mit Wörtern ficht Tankian nach wie vor wie kein Zweiter in der Rockwelt.

Die intensivsten Momente der EP gelingen Tankian im Mittelteil mit zwei Songs, die musikalisch stärker vom SoaD-Erbe abrücken. Beide prägt Klavier, "How Many Times?" bereichert Tankian zudem mit orchestralem Background. Melodisch erinnert die Halbballade an sein vielleicht bislang interessantestes Solowerk "Imperfect Harmonies". Noch ruhiger gestaltet er "Rumi", einerseits eine Ode an den gleichnamigen Dichter, vor allem aber Liebeserklärung an seinen ebenso benannten Sohn. Geschickt verquickt er im Text beide Seiten, sodass selbst vermeintlich abgestandene väterliche Ratschläge à la "be the man you want to be" im Kontext origineller rüberkommen als in unzähligen bereits existierenden Stücken selber Thematik. Gesanglich agiert Tankian hier ohnehin über jeden Zweifel erhaben.

"Elasticity" fasst recht gut die Stärken und Schwächen Serj Tankians als Solokünstler zusammen. Wie schon auf früheren Soloalben fehlt dieser 5-Song-Sammlung ein klarer roter Faden. Für System Of A Down Songs – vielleicht sogar aggressive Songs generell – braucht er das richtige Kontra, um ihr volles Potenzial zu entfalten. Dafür glänzt er in Stücken, die er voll und ganz auf seine Stimme zuschneidet sowie stilistisch in andere Genres vordringen und untermauert, welch herausragender Lyriker er ist – egal ob in aktivistisch motivierten Belangen oder schlicht aus Liebe zu Sprache, Gefühl und Ausdruck.

Trackliste

  1. 1. Elasticity
  2. 2. Your Mom
  3. 3. How Many Times?
  4. 4. Rumi
  5. 5. Electric Yerevan

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3 Kommentare mit 19 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    SoaD waren ein sehr überschätztes One-Trick-Pony. Musik, die die doofen Mama und Papa nerven soll, hat halt eine kurze Haltbarkeit. Kann viel mit ihren politischen Überzeugungen und dem Einsatz fürs schon wieder von einer Diktatur zerbombte armenische Volk anfangen. Das reicht aber nicht zum Durchhören der Werke irgendeines ihrer Musiker.

    • Vor 3 Jahren

      Lass dich behandeln. Bitte.

    • Vor 3 Jahren

      Verpiss Dich, Huso!

    • Vor 3 Jahren

      Blasphemie!!!

    • Vor 3 Jahren

      was para sagt.

    • Vor 3 Jahren

      Man kann natürlich darüber streiten, ob, ähnlich wie bei RATM, alle Alben wirklich notwendig waren, aber Toxicity war schon etwas sehr Neues damals.

    • Vor 3 Jahren

      Der Vorwurf an eine Band ein "one-trick-pony" zu sein kommt vom größten Sleaford Mods Fan des Planeten, durchaus amüsant!

    • Vor 3 Jahren

      Stimmt, Olivander.

      Ansonsten kann man fast meinen, Musikgeschmack sei subjektiv.

    • Vor 3 Jahren

      Belege, dass sie überschätzt waren.

    • Vor 3 Jahren

      SoaD als One-Trick-Pony zu bezeichnen ist objektiv falsch.

    • Vor 3 Jahren

      Hmm. Ja. Doof bist hier nur Du.

    • Vor 3 Jahren

      Ja, c'mon. Nu Metal mit Balkanmelodien zu mischen ist musiktheoretisch auch nicht suuuuuper originell. Wie Olivander schon sagte, war das im Mainstream vielleicht was Neues. Und dieser eine Trick vom Pony war halt cool. Aber das zündet bei mit nicht genug, um zwei Songs am Stück von denen zu hören

      Hab da immer das Bild von flaumbärtigen 15jährigen, die sich hart vorkommen, wenn sie SoaD laut aufdrehen in der Hoffnung, die Eltern mit nervtötender, plakativer Hysterie zu schocken. Die hatten zu dem Zeitpubkt aber schon längst Härteres gehört.

      Die Produktionen waren richtig gut. Und (bei den Fanboys hier erwähne ich es sicherheitshalber noch mal): Diese eine Sache, die sie konnten, haben sie exzellent gemacht.

    • Vor 3 Jahren

      "Kann viel mit ihren politischen Überzeugungen und dem Einsatz fürs schon wieder von einer Diktatur zerbombte armenische Volk anfangen."

      Ändern tut sich durch Musik politisch eh nix, also kann man es auch ganz lassen?

      Finde Lieder und damit transportierte Gesellschaftpolitk ist einfach aus der Zeit gefallen. Gibt elegantere Lösungen, Arabischer Frühling bzw. Myanmar und (hauptsächliche) Verbreitung durch die sozialen Medien mal angeführt.

      Auch hab ich immer beim Populärprodukt Popmusik fein drauf geachtet, ob der jeweilige Künstler Authentisch rüber kam.

      Das nahm ich Serj ab, aber nicht mehr heute. Meine also damals war das kein Trick, sondern heute trickst er, um sich ein paar Taler zu verdienen. Hauptsache die Haare sind schön! ;)

    • Vor 3 Jahren

      Puh, nicht gerne geb ich's zu, aber hier doch eindeutig +1 für Ragi...

      Typische "kleinster Nenner"-Band ihrer Nische. Hat einen durchaus nachvollziehbaren Grund, warum die international so zu den dicksten Millionensellern der NuMetal-Ära gehörten und millionenfach häufiger korrekt als kulturelle Jugendliebe identifiziert (und als solche natürlich maßlos überschätzt) werden.

      Mehr als einmal im Jahr "War?" geht gar nicht bei mir und das auch nur, wenn nicht vorher im Jahr schon irgendwas von ihnen während eines Geburtstags/versehentlich besuchtes NuMetal-Revival oder auf Bad Taste-Party lief...

    • Vor 3 Jahren

      Zweiter Absatz: Abschließender Teilsatz "als bspw. deftones" fehlt, sollte klar sein. ;)

    • Vor 3 Jahren

      Ich weiß nicht, ob das ursprünglich jemand anderes hier auf laut gepostet hat und ich das hier nur wiederkäue, aber es sollte trotzdem auf keinen Fall unerwähnt bleiben:

      chop suey but everything is a table

      https://www.youtube.com/watch?v=XtAhISkoJZc

  • Vor 3 Jahren

    Auf eine Art hat Ragism schon recht. Übertrieben ist es natürlich, weil dieser eine Trick für 5 sehr gute Alben gereicht hat. Ich mochte SoaD damals sehr, bin dem aber irgendwie entwachsen. Tankians erster Solo-Kram klang für mich dann einfach wie SoaD-light und ich habe komplett damit aufgehört das weiter zu verfolgen.

    Ich war nur irgendwann nochmal eher aus nostalgischen Gründen bei SoaD in der Wuhlheide. Da haben sie aber auch nur ihr Programm runtergespielt. Ich glaube 2x hat Tankian mit einem Halbsatz á la "Wie geht's?" mit dem Puplikum interagiert, ansonstenhalt Dienst nach Vorschrift. Die positivste Erinnerung daran ist ehrlich gesagt, dass ich mir mein Bier nicht selber holen musste, sondern Angestellte mit Fässern auf dem Rücken zum nachfüllen an den Platz gekommen sind. :) Keine Ahnung ob das dort Standard ist, aber schon irgendwie traurig, dass mich das am meisten beeindruckt hat.

    Hier habe ich jetzt nochmal kurz in Electric Yerevan reingehört, es gibt mir aber nicht wirklich was. Klar, die Missstände dort aufzuzeigen ist richtig und wichtig. Für meinen persönlichen Genuss an der Musik ist es aber nicht gerade förderlich. Das gegenteil ist der Fall, ehrlich gesagt.

  • Vor 3 Jahren

    Fünf sehr gute Alben. Wozu dann das Bashing hier? "Überschätzt" hört man auch immer dann, wenn jemand gezielt provozieren und sich Distinktionsgewinne verschaffen möchte, weil man ja nun als alter Sack lieber Jazz hört oder das Feuilleton liest.

    • Vor 3 Jahren

      Man hörts aber auch dann, wenn vom Informatiker-Franz bis zur Sozialpädagogen-Marleen jeder eine Band hört, deren Formel sich auf ein-zwei Songs herunterbrechen läßt. Spielt für mich in ner ähnlichen Liga wie AC/DC. Würde die Band ja niemals hassen. Besonders aufregend ist sie halt nicht.

    • Vor 3 Jahren

      Natürlich ist sie aufregend, denn sonst würde sie ja niemand hören. Die Kompositionen sind meisterhaft.

    • Vor 3 Jahren

      Na na, immer langsam. Ligetis Lux Aeterna ist ne meisterhafte Komposition. SOAD ist passables Nu Metal-Gebolze.

    • Vor 3 Jahren

      "Meisterhaft"? Will die Band wirklich nicht beschmutzen. Ihr Ding hat sie ne Weile gut gemacht. Aber besonders überraschende, ungewöhnliche Progressions hab ich da nie gehört. Für die Anzahl der Parts reichen drei Buchstaben.

      Schon gut. Gibt ne Menge Bands, die ich abfeiere und auch nicht besonders aufregende Kompositionen machen. Bin aber gespannt, ob ich SoaD vielleicht falsch in Erinnerung habe. Was ist denn z.B. ne gute Komposition für Dich?