laut.de-Kritik

Starker Abgang, der Country mit Public Enemy zum Glänzen bringt.

Review von

Unter der zerrissenen Jeans des "Threads"-Cover-Bildes verstecken sich lebenslustig tanzende Beine, die ganz nebenbei Donald Trump in den Weg treten. Die Stimme dazu gehört zwar quer durch fast alle Stücke in erster Linie Sheryl Crow, doch nicht in allen. Die 17 Duett-Anteile auf diesem womöglich letzten Album der Sängerin stimmt sie je nach Song einzeln auf die Stimmung des jeweiligen Liedes ab. Teils haben die Gäste auch mehr zu sagen.

Der 86-jährige Willie Nelson tritt im sensationell gut gemachten "Lonely Alone" als Hauptsänger auf, während Mavis Staples und Bonnie Raitt mit Sheryl in "Live Wire" drei sehr verschiedene Stimmlagen anschlagen und sich zeilenweise abwechseln.

Mit Blick auf das Star-Aufgebot von Slowhand Clapton bis zum rollenden Stein Keith Richards verblüfft, wie man organisatorisch eine Platte mit insgesamt 28 Co-Sängern und Songwritern auf die Beine stellt und dabei auch alle Songs bis in den letzten Schliff gelingen - noch dazu ohne ein Schema 'F' durchzuziehen, sondern für jeden Track individuell. Das führt zu einer enormen Abwechslung im Spieltempo und zwischen den verschiedenen Genres wie R'n'B, Country, Akustik-Rock und ihren zugehörigen Fan-Welten.

Mit so vielen Stimmen und so vielen Zugangswegen zu Musik macht "Threads" hoffentlich auch Menschen Musik schmackhaft, die maximal hören, "was im Radio läuft" und sich alle drei Jahre mal eine CD kaufen. Sheryls Werk beweist auf muntere Art, dass aus Zusammenarbeit mehr als die Summe der Teile entsteht. Hier erzeugt die Songschreiberin einen 'Mehrwert', eine schöne Gesamtstimmung und einen kreativeren Output, als wenn jeder Beteiligte für sich selbst herumschraubte.

Ein berührender biographischer Gesichtspunkt scheint durch die Songs und die Tonträger-Aufmachung hindurch: Sheryl, zwei Mal an Krebs erkrankt, zwei Mal geheilt, macht spürbar nur noch, worauf sie Lust hat - und hört sich rundum fit an. Alle Songs klingen sehr befreit.

Passend dazu holt sie einen Song über Freiheit aus ihrem Archiv, "Redemption Day (+ Johnny Cash)", der zuerst 1996 erschien. Damals war noch nichts über Johnny Cashs Erkrankung bekannt, aber es ist einer der ersten Songs, auf dem seine Stimme brüchig klingt und sich die Krankheit abzeichnet.

Anlass den Song herauszuholen, waren die sarkastischen Textpassagen über Ausbeutung, über die schmutzigen Verbindungen zwischen Geschäft und Politik - heute aktuell: "War da kein Öl auszugraben / waren da keine Bodenschätze / erkauft im Tausch gegen Einzelschicksale von Menschen / die im Menschenhass starben? / Werft uns einen Knochen zu / ihr edlen Männer!"

Ein Argument für Tonträger-Abstinente, mal wieder in einen Plattenladen zu gehen, liefert die physische Aufmachung. Faltet man das Booklet auseinander, setzt sich ein Poster aus Fotos der Gastgeberin Sheryl mit Neil Young, Sting, Cash et cetera zusammen. Dreht man das Poster um, erzählt Crow zu den einzelnen Songs in kleinen Texten ihre Anekdoten zu deren Entstehung.

"Threads" ist somit ein denkbar klassisch aufbereitetes Produkt. Auch als Sampler lässt es sich benutzen, denn es führt anschaulich durch vier Generationen Country-Musik: vom 1933 geborenen Willie Nelson bis zur 1990 geborenen Maren Morris, die das Album mit "Prove You Wrong" eröffnet. Für einen Song trennt Crow Vinyl, CD und MP3 und veröffentlicht "Cross Creek Road" je nach Tonträger in verschiedenen Versionen. Mal bringt sie den Song mit zwei Männern, Nelson-Sohn Lukas und Neil Young - und mal als Damen-Duett, mit Country-Kollegin Margo Price.

Wenngleich ausnahmslos jeder einzelne Titel für erlesene Qualität steht und viele davon Überraschungseffekte nutzen, sind manche ganz genau so wie man sie erwarten würde. Etwa "Flying Blind (+ James Taylor)": Singt Taylor mit einer Frau zusammen, klingt das immer haargenau wie seine Songs mit Carole King. Schön, sanft, gelassen, flüssig, nach handgemachtem Folk-Rock der 70er und sehr romantisch. Der einfache, aber tiefgehende Songtext über menschliche Schwächen, den Drang aus dem Alltagstrott auszubrechen und sich treiben zu lassen und dabei auf vertrauenswürdige Mitmenschen angewiesen zu sein, verdient eine Nominierung für die Top Ten der Lyrics 2019.

Erstaunlich bruchlos fügen sich nacheinander im Tracklisting die Kooperationen "Still The Good Old Days (+ Joe Walsh)", ein Swamp Rock-Stomper im Stile von CCR, der Sofort-Ohrwurm "Wouldn't Want To Be Like You (+ St Vincent)" und die soulige Klavier- und Geigenballade "Don't (+ Lucius)", ein extrem emotionaler Song von schwebender Eleganz. Walsh, ein Eagle - St. Vincent, eine Singer/Songwriterin - Lucius, eine Indie-Pop-Band. Die Musik auf diesem Album ist variantenreich und dennoch dramaturgisch gut aufgebaut

Zwei Songs dieses Meilensteins verdienen eine gesonderte Würdigung innerhalb des Country-Genres. Zwei weitere bauen belastbare Brücken nach außerhalb, in andere Musikzweige.

Da wäre einmal "Tell Me When It's Over", womit Crow auf den in Europa wenig bekannten Chris Stapleton aufmerksam macht, dessen Slide-Guitar und Stimme hier richtig Lust auf Country machen. Die Grammy-Jury kennt diesen Herrn bereits ganz gut.

Vier Dekaden mehr Lebenserfahrung hat der Schauspieler Kris Kristofferson auf dem Buckel und der Welt in dieser Zeit hunderte einzigartiger, guter Songs hinterlassen. Dass er hier nochmal für einen seiner ersten Songs, "Border Lord" von anno '72, mit Sheryl ans Mikro tritt, wird bei amerikanophilen Menschen Gänsehaut erzeugen. Fühlt sich an wie Woodstock und Tarantinos "Once Upon A Time In Hollywood" zusammen.

"Beware Of Darkness" ist eine Nummer aus dem Meilenstein "All Things Must Pass" von George Harrison. Eric Clapton, selbst damals Gitarrist auf der Platte spielt hier die andere Gitarrenlinie seines Freundes George in genau dessen Stil. Dagegen nimmt man die weiteren Gäste der Neuaufnahme dann fast nicht wahr, Sting und die Country-Lady Brandi Carlile; denn die Gitarre überstrahlt absolut alles.

Einen Song wie "The Story Of Everything" gab es in der Musikgeschichte bis dato nicht. Der geht so: Er startet wie ein Stax-Soul-Klassiker, basslastig dröhnend, erdig, funky, aber mit Rapper Chuck D. Sagt, es geht um Leben, Tod, Lüge und Zweifel. Mit dem Intro bekommen wir ein Gefühl für den Grundrhythmus, dann setzt die Wah Wah-Guitar samt Geigen-Tremolo ein. Bruch: Ein Blues-Akkord markiert das Revier. Gary Clark Jr. feuert ihn ab. Es geht raus in die Selbstjustiz-Prärie der USA. Ein Attentäter stürmt eine Kirche und knallt alle Leute ab (so wie der "Smackwater Jack" von Carole King). Die Reaktion: man vergibt ihm einfach: "What did that congregation do / they forgave that boy somehow / Our do-nothing congress / they never make mistakes." Eine Anspielung auf Trumps Personalpolitik jeden aus dem Weg zu räumen, während der Kongress tatenlos zuschaut?

Der Refrain gestaltet sich als groovende Disco-Funk-Passage. Chuck D schaltet sich kurz ein und rappt zu Sheryls herzzerreißend gesungenen Worten seinen Kurzkommentar. Rap auf Bluesrock-Riffs! Geht klar, denn beides wurzelt im Blues. Zweite Strophe, welch ein Organ: Aus Andra Day, stilistisch vielleicht die nächste Amy Winehouse, schallt es heraus, wie man sich Gospel in der Kirche vorstellt. Den Refrain übernimmt sie gleich mit. Dräuend bäumt sich die Blues-Gitarre wieder auf und führt den Public Enemy-Rapper zurück ins Geschehen. Lange genug hat er gewartet und shoutet zu den Geigen, dass man doch nicht alle guten Anfänge immer wieder wie aufkeimende Samen in Benzin ertränken dürfe, Babys vor dem Karussell der Online-Bewertungen und Hassnachrichten bewahren sollte. Es ist die Story von allem. Sie handelt von Armut, Gebeten, Zusammenbrüchen und dem Schrei nach einem Wandel: "We gotta make it better / Oh we gotta change, change". Und es ist genau der Song, der die konservative Country-Szene, in der die Musik der 'Weißen' läuft, mit Funk, Soul, Disco, Rap zusammen bringt. Also alles, das bis heute in manchen Plattenläden 'Black Music' heißt.

Dass Crow sich vom Album-Format verabschiedet, muss nicht traurig machen. Sie hat den alten Willie Nelson für eine wunderschöne Aufnahme reaktiviert und würdigt ihn zu Lebzeiten. Zugleich zeigt sie junge Leute mit viel Potential. Sheryl führt vor, dass Country wieder überraschen kann, wenn das Segment sich anderen Musikarten öffnet. "Threads" ist eine sehr gute Umsetzung großartiger Ideen.

Trackliste

  1. 1. Prove You Wrong
  2. 2. Live Wire
  3. 3. Tell Me When It's Over
  4. 4. Story Of Everything
  5. 5. Beware Of Darkness
  6. 6. Redemption Day
  7. 7. Cross Creek Road
  8. 8. Everything Is Broken (+ Jason Isbell)
  9. 9. The Worst (+ Keith Richards)
  10. 10. Lonely Alone
  11. 11. Border Lord
  12. 12. Still The Good Old Days (+ Joe Walsh)
  13. 13. Wouldn't Want To Be Like You (+ St Vincent)
  14. 14. Don't (+ Lucius)
  15. 15. Nobody's Perfect (+ Emmylou Harris)
  16. 16. Flying Blind (+ James Taylor)
  17. 17. For The Sake Of Love (+ Vince Gill)

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4 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 5 Jahren

    Ich mochte die Tante schon immer... Gute Musik, gute Stimme, gute Texte... I Like. 5 Sterne verdient

    • Vor 5 Jahren

      Ich weiß noch wie geflashed ich von Ihrer Schönheit war, als sie 1993 mit "All I wanna do" aufschlug. Völlig hin und weg. Track natürlich auch eingängig af. Seitdem habe ich sie zwar nie intensiv verfolgt, aber doch immer wieder mal in ihre Veröffentlichungen reingehört und immer mal ein paar gute Songs aufgeschnappt.

    • Vor 5 Jahren

      Genauso habe ich auch es auch immer empfunden...

  • Vor 5 Jahren

    "Sie hat den alten Willie Nelson für eine wunderschöne Aufnahme reaktiviert" ... dieser Satz stimmt nicht, denn Willie ist aktiv mit jährlich eigenen neuen Alben und muss nicht reaktiviert werden.

    • Vor 5 Jahren

      Deswegen ist ja das Willie Nelson Porträt verlinkt. Musst auf Namen klicken, findste die Infos.
      Ich hab täglich mit mehreren Menschen Ü80 zu tun. Werd mal 86, dann fühlt sich 1 Jahr für dich wie 5 an, alles anstrengend. Zudem ist ein eigenes Album was anderes als ein Auftragswerk. Auf der eigenen Platte macht er sein Ding und hat seine Ruhe. Sheryls Album ist hochkommerziell und zielt auf 50 Mal mehr Hörer*innen. Und ob das eine Reaktivierung ist!

    • Vor 5 Jahren

      @HiPhi
      Selten so einen Bockmist gelesen.
      Geh mal auf YouTube. Der gute alte Willie hat dreimal so viele Abonnenten wie Frau Crow.
      Wenn, dann reaktiviert sie sich mit ihren Gaststars selbst. Willie ist mit 86 aktiv wie eh und je und ist wie seit Jahrzehnten bis vor wenigen Wochen noch ausgedehnt getourt. Aktuell macht er nur aus gesundheitlichen Gründen Pause. Sheryl Crow hat Willie Nelson reaktiviert... ich lach mich schlapp. Was für ein Schwachsinn.

  • Vor 5 Jahren

    Wow, das Album haut echt rein! Lohnt sich echt, da reinzuhören! :)
    (danke für den Tipp)