laut.de-Kritik

"Wer will Liebeslieder hören, wenn er 15 Pfund die Woche verdient?"

Review von

"This documentary film is perfect antidote to those sexy, racy, rock'n'roll yawns most bands behind. We are indeed, a Bunch of Kunst." - (Jason Williamson)

Sleaford Mods
sind "die Stimme Englands". Sie performen und schreien das aus, was in Großbritannien passiert. Erst spielen sie vor ein paar Leuten im Pub um die Ecke, dann folgen Glastonbury und die Charts.

Die kritischen Songs über Brexit und die ganze andere Scheiße kommen überall auf der Welt im Arbeitermilieu gut an. Egal, ob in Deutschland, Frankreich oder USA, "Bunch of Kunst" ist überall.

Demnach sollte sich so langsam herum gezwischert haben, dass es eine großartige Dokumentation über die Königs-Motzer gibt. In zahlreichen Ländern lief der Film von Christine Franz bereits im Kino, jetzt gibt es das volle Punk-Motz-Package endlich auch für Stubenhocker. Das Package enthält nicht nur den Film auf DVD, sondern auch ein glanzvolles Booklet mit Fotografien von Simon Parfrement. Der Mann war hautnah an den Protagonisten dran. Und als Extra-Bonus gibt es den legendären Live-Konzertmitschnitt aus dem SO36 in Berlin (2015).

Filmemacherin Christine Franz begleitete Sleaford Mods zwei Jahre lag auf Tour. "Bunch Of Kunst" ist eine Reisedokumenation über drei Typen aus Nottingham. Sie erzählt die Geschichte von Sänger und Ober-Motzi Jason Williamson, Sound – und Bierflaschentänzer Andrew Fearn und Steve Underwood, Labelchef von Harbinger Sound, Manager und ehemals Busfahrer.

Während viele Musikdokumentationen langweilig vor sich hin plätschern, zieht "Bunch of Kunst" einen sofort in den Bann. Die Story hält nicht nur den Hardcore-Fan bei Laune. Alles beginnt in Nottingham, dem selbsternannten "Shithole". Man lebt hier und versucht einigermaßen über die Runden zu kommen. Bei allen Hürden, miesen Jobs und harter Arbeit hält man immer zusammen. Jason, Andrew und Steve sind nicht nur beruflich miteinander verbunden. Ihre Erlebnisse und die Zusammenarbeit entwickelt sich zu einer Freundschaft. Der liebevolle Umgang beginnt schon im Proberaum. Immer wieder reißt einer einen Witz, schon auch mal auf Kosten des anderen, aber niemals respektlos. Text-Shouter Jason und Laptop-Andrew harmonieren perfekt miteinander, musikalisch und freundschaftlich.

Christine Franz zeigt die oft zurückhaltenden oder cool wirkenden und wütenden Live-Performer als sehr einfühlsame Charaktere. Andrew, der ruhige Typ mit den lustigen T-Shirts, zieht sich gerne auf sein Hausboot zurück und raucht einen Joint (oder zwei oder drei). Auf der Bühne trinkt er seine Bierchen, spielt die Tracks auf seinem Laptop ab und wippt dabei gelassen zu seinem Sound-Mix. Im Film zeigt er sich immer wieder fassungslos und berührt über die euphorische und massenhafte Zustimmung der Fans. Dann ist da Jason, der liebevolle Vater und Ehemann. Auf der Bühne mutiert er zum wilden Stier und zeigt sich privat gerne in den sozialen Netzwerken. Dort wird intensiv gemotzt, aber auch seine geliebte Familie gezeigt. Natürlich hat er auch mal schlechte Laune, wenn er nach langer Konzerttour nach Hause kommt. Da geht ihm seine Frau Claire lieber aus dem Weg. Ist aber gleichzeitig auch froh, wenn endlich noch mal jemand da ist, der die Windeln wechselt oder sich um die Wäsche kümmert. Ein ganz normaler Alltag halt in einer Musikerfamilie.

Sleaford Mods glauben an die Liebe, aber singen nicht darüber. "Wer will Liebeslieder hören, wenn er 15 Pfund die Woche verdient?" sagt Jason Williamson in der Doku. Und er kann mehr als ein Lied davon singen, denn er hat schon einige miese Jobs hinter sich. Seine Fans lieben ihn für seine authentischen Äußerungen, Texte für die Arbeiterklasse. Sie sind die Menschen, die an seinen Lippen hängen und jedes einzelne Wort mitgrölen. Niemand motzt so explosiv, wie Jason Williamson. Ein Kraftpaket (Fit as Fuck) voller Energie, dem niemals die Wörter ausgehen. Er rotzt seine Statements dem Publikum förmlich vor die Füße. Und die Fans verneigen sich vor dieser feuchten Ausdrucksweise. Seine individuellen Gesten und die Tanzperformance in Robo-Action komplettiert das Live-Spektakel.

Der dritte im Bunde ist Steve Underwood. Manager und Labelmacher, der alles von seinem Schlafzimmer aus koordiniert. Der Mann mit der riesigen Plattensammlung hält alle bei Laune und kutschiert das Duo anfangs noch selber von Ort zu Ort.

Viele bekannte Musiker äußern sich in der Doku ebenfalls über die Sleafors Mods. Geoff Barrow (Beak, Portishead) ist Fan und Kumpel. Auch Iggy Pop feiert das Duo von Beginn an. Begeistert liest der ewige Punker aus Jasons Buch "Grammar Wanker". Das erfreut natürlich den Autor sehr, als er die Liebesbotschaft via Video zu Gesicht bekommt. Christine hält in ihrem Film emotionale Momente der Protagonisten fest, so dass der Zuschauer automatisch mitfühlt und fiebert. Ein Highlight des Films ist der Augenblick backstage, wenn Andrew und Jason die Massen vor der Bühne erblicken, als sie zum ersten Mal 2015 in Glastonbury auftreten. Panikpuppille und Lampenfieber vermischen sich, und man selber macht sich fast in die Hose und rennt sofort aufs Klo.

"Bunch Of Kunst" zeigt das wahre Leben von drei musikbegeisterten Männern von nebenan. Vielen Dank Sleaford Mods, Steve Underwood und vor allem Christine Franz für diesen großartigen Einblick. Neben dem wunderbaren Film und dem Booklet gibt es noch eine CD, auf der siebzehn Mods-Hits zu hören sind. Das Live-Konzert von 2015 aus dem SO36 in voller Länge, u.a. "Bunch of Cunts", "Fizzy", "Tied Up In Nottz", "Jobseeker" und "Tweet Tweet Tweet". Proper! Support your Bunch of Love!

Trackliste

DVD

  1. 1. Bunch Of Kunst - A film about Sleaford Mods (by Christine Franz)

CD

  1. 1. Sleaford Mods - Live at SO36
  2. 2. Silly Me
  3. 3. Bunch of Kunst
  4. 4. Live Tonight
  5. 5. No Ones Bothered
  6. 6. Middle Men
  7. 7. Jolly Fucker
  8. 8. A Little Ditty
  9. 9. McFlurry
  10. 10. Fizzy
  11. 11. Routine Dean
  12. 12. Bronx In A Six
  13. 13. Tiswas
  14. 14. Tied Up In Nottz
  15. 15. Jobseeker
  16. 16. 6 Horsemen (The Brixtons)
  17. 17. Tarantula Deadly Cargo
  18. 18. Tweet Tweet Tweet

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