20. Oktober 2014

"Wir waren alle komplett am Boden"

Interview geführt von

Slipknot durchlebten seit der Veröffentlichung von Album "All Hope Is Gone" schwere Zeiten. Nach dem tragischen Verlust ihres Bassisten Paul Gray, der im Mai 2010 an den Folgen einer Herzerkrankung in Verbindung mit einer Medikamentenüberdosis starb, trennte sich die Band Ende 2013 noch von Drummer Joey Jordison. Dieser Tage gibt es endlich wieder Positives aus dem Masken-Lager - ".5: The Gray Chapter" steht in den Regalen.

Es gibt Interviews, die sich problemlos vorbereiten lassen und solche, bei denen auch nach sorgfältiger Recherche nicht genau weiß, was auf einen zukommt. Marilyn Manson ist so ein Beispiel. Da hilft auch kein tagelanges Vorbereiten, wenn sich der Kerl am Ende halbbesoffen in einen sündhaft teuren Designer-Sessel zwängt und einen halbstündigen Monolog hält.

Bei 'außergewöhnlichen' Charakteren wie Lars Ulrich, Jack Black, Sergio Pizzorno oder Ace Frehley steht man vor der Begrüßung ebenfalls im luftleeren Raum. Auch einer wie Slipknots Shawn Crahan ('The Clown'), gehört zu den Künstlern, bei denen man auf alles gefasst sein sollte. Wir verabredeten uns mit dem dauergrinsenden Kesselschläger, der genau wie seine Bandkollegenn jede Menge zu verarbeiten hatte, um über Vergangenes, Aktuelles und Zukünftiges zu sprechen. Erwartet wurde ein zähes Ringen um jede Silbe. Doch am Ende stellte sich heraus: Hunde, die bellen, beißen nicht. Zumindest nicht immer.

Hi Shawn, ihr seid in den vergangenen vier Jahren mit viel Schmerz konfrontiert worden. Einige Fans hatten nach dem tragischen Verlust eures Bassisten Paul Gray jede Hoffnung auf ein neues Slipknot-Album begraben. Wie seid ihr aus diesem Tal wieder herausgekommen?

Shawn: Wir verstecken uns zwar hinter düsteren Masken und machen auf der Bühne auf dicke Hose, aber hinter der Fassade sind wir auch nur Kerle aus Fleisch und Blut, die eine gute Zeit haben wollen. Und nach einem solchen Schicksalsschlag genauso aus der Bahn geworfen werden, wie jeder andere Mensch, der mit einem solchen Verlust konfrontiert wird. Wir waren definitiv im Arsch – und zwar alle.

Wenn man in einer Band spielt, mit der man jahrelang rund um die Welt unterwegs ist, dann entsteht irgendwann zwangsläufig so eine Art Familiengefühl. Slipknot sind eine ziemlich große Familie. Wir sind alle wie Brüder. Ich weiß, dass das die meisten Bands behaupten, aber bei uns ist es wirklich so. Wir sind zusammen gewachsen. Wenn dann einer aus dieser Gemeinschaft herausgerissen wird, dann hört sich die Welt erst mal auf zu drehen.

Es gibt kein Licht mehr, nur noch Schatten. Es fließen Tränen. Es wird geflucht und geschrien. Wir waren alle am Boden und brauchten vor allem viel Zeit für uns. Hätten wir uns die Zeit nicht genommen, dann würden wir heute nicht miteinander reden. Darauf gebe ich dir Brief und Siegel.

Demnach habt ihr darüber nachgedacht, die Band komplett aufzulösen?

Ja, mit diesem Gedanken haben wir uns sogar sehr lange beschäftigt. Wir waren verzweifelt auf der Suche nach etwas, was uns den Schmerz nimmt. Jeder Slipknot-Schriftzug hat uns einen Stich versetzt. Und mittlerweile gibt es da draußen ziemlich viele davon. Irgendwann wurde uns aber klar, dass wir nur über die Band zurück in die Spur finden.

Musik kann sehr heilend sein. Also haben wir unsere Sachen gepackt und sind auf Tour gegangen. Das war der Schlüssel. Diese Konzerte waren unsere Rettung. Plötzlich waren da wieder all die Kids, die uns bedingungslos abgefeiert und in ihr Herz geschlossen haben. So konnten wir wieder Kräfte sammeln und uns frei machen. Dann lösten sich auch die Blockaden. Wir waren wieder in der Lage, neue Ideen auszutauschen. Das war ein langwieriger und schwerer Prozess. Aber es hat sich gelohnt.

"Ich habe die Leute noch nie ohne ihre Masken gesehen"

Neben dem Verlust von Paul Gray, kam es Ende 2013 noch zu einer weiteren ...

(unterbricht)

Sorry, aber über die Sache mit Joey (Joey Jordison, Ex-Drummer) möchte ich nicht sprechen. Nur so viel: Wir vermissen ihn alle sehr, und es war sicherlich eine der schwersten Entscheidungen, die die Band je treffen musste. Wir hoffen alle, dass es ihm gut geht und er seinen Weg finden wird.

Das klingt ...

(unterbricht abermals)

Wie schon gesagt: Ich werde mich zu keinen Details äußern, dafür stehen einfach noch zu viele offene Dinge im Raum, die erst mal geklärt werden müssen.

Okay, dann lass uns die Vergangenheit beiseite schieben und über Aktuelles sprechen. Es gibt zwei Neuzugänge in der Band, die bis dato allerdings noch nicht offiziell vorgestellt wurden. Insider meinen, dass es sich bei den beiden Neuen um Mastodons Gitarrentechniker Alessandro Venturella und um Jay Weinberg, den Sohn von Springsteen-Drummer Max Weinberg handelt. Ist dem so?

Keine Ahnung. Ich habe die beiden noch nie ohne ihre Masken gesehen (lacht). Weißt du, die Leute sollten sich einfach ein bisschen mehr entspannen. Slipknot sind wieder da. Nur das zählt. Die komplette Band hat einen tollen Job gemacht und ein Album aus dem Boden gestampft, auf das ich wirklich stolz bin. Mehr gibts dazu nicht zu sagen – schon gar nicht von mir (lacht).

Verstehe. Dann lass uns übers Album reden. Was macht dich besonders stolz, wenn du dir die neuen Songs anhörst?

Es geht nicht um einzelne Lieder sondern eher um das Gesamtpaket. In diesem Album steckt der Geist von Paul. Es ist zwar kein Konzept – und auch kein reines Tribute-Album, aber es ist ein Album, dass uns auf ewig mit seinem Namen und seiner Persönlichkeit verbinden wird. Das allein macht es schon zu etwas Besonderem.

Soundtechnisch klingt es für mich wie eine Symbiose aus "Iowa" und "Vol. 3 (The Subliminal Verses)". Stimmst du mir zu?

Ich steh nicht so auf Vergleiche. Ich weiß, dass jedes neue Album auf dieser Welt verglichen wird. Das verstehe ich auch. Ich selbst versuche mich bei einem neuen Album aber nur auf das zu konzentrieren, was sich höre. Nur so finde ich einen unbefangenen Zugang zur Musik. Ich würde mich freuen, wenn mehr Menschen so vorgehen würden. Mag sein, dass unser neues Album so klingt, wie du gerade gesagt hast, aber wenn man wie ich, ganz tief drinnen steckt und beim Hören alles andere ausblendet, dann klingt es anders, als alles, was wir davor gemacht haben. Natürlich ist es laut, wild und heavy. Es ist ein Slipknot-Album. Aber es klingt auch irgendwie neu und anders.

"Die Meinungen werden auseinander gehen"

Würdest du es als das bis dato beste Slipknot-Album bezeichnen?

Nein.

Nein?

Wir hätten die Platte sicherlich nicht besser machen können. Ob es allerdings das beste Slipknot-Album überhaupt ist? Ich denke nicht.

Warum nicht? Du bist der erste Musiker, mit dem ich spreche, der nicht davon überzeugt ist, dass das aktuelle Album auch gleichzeitig das Beste ist.

Mag sein, ich hingegen stelle mich immer gerne mit breiter Brust vor unsere Vergangenheit (lacht). Vielleicht werden einige Fans das neue Album als das bisher beste abfeiern, weil es unheimlich facettenreich und energiegeladen ist. Vielleicht auch deswegen, weil es zorniger und düsterer ist. Es wird aber vielleicht auch Leute geben, die unserem neuen Drums- und Percussion-Level nichts abgewinnen können. Ich denke, dass die Meinungen auseinander gehen werden – was aber gut ist. Das zeigt uns, dass wir uns weiter entwickelt haben und nicht auf der Stelle treten. Für mich ist es einfach ein neues Slipknot-Album, das ich genauso in meine Herz geschlossen habe, wie all die Vorgänger. Und ich bin heiß drauf, die neuen Songs auf die Bühne zu bringen.

Das wird zum ersten Mal während des Knotfest-Festivals der Fall sein. Eine bewusste Entscheidung?

Neues sollte man immer zuerst mit seinen engsten Vertrauten teilen (lacht). Dieses Festival gehört uns. Da werden jede Menge Maggots rumlaufen, die es gar nicht abwarten können, neue Songs von uns zu hören. Das wird ein Fest. Da bin ich mir ziemlich sicher.

Anthrax, Volbeat, Testament, Danzig: Ihr habt auch in diesem Jahr wieder ein dickes Line-Up am Start. Kümmert ihr euch selbst darum, wer gebucht wird und wer nicht?

Wir haben definitiv unsere Hand über diesem Festival. Beim Knotfest passiert nichts ohne unser Wissen. Das fängt bei der Anzahl der Dixie-Klos an und hört bei den Bands auf, mit denen wir uns letztlich die Bühne teilen. In diesem Jahr hatten wir eine Liste mit Bands, die terminlich zur Verfügung standen. Wir haben uns dann gemeinsam hingesetzt und überall dort ein Häkchen gemacht, wo wir der Meinung waren, dass es Sinn macht. Ich meine, mit Bands und Künstlern wie Testament und Danzig sind wir alle aufgewachsen. Es ist eine Ehre mit einem Kerl wie Chuck Billy (Testament) die Bühne teilen zu dürfen.

Dieses Jahr wird es auch einen Japan-Ableger des Festivals geben. Plant ihr weitere Länder mit einzubeziehen?

Ja, wir wollen das Knotfest langfristig in der ganzen Welt etablieren. Maggots gibt es schließlich überall (lacht). Wir schauen jetzt erst mal, wie es in Japan läuft. Danach sehen wir weiter. Aber es gibt schon jede Menge Anfragen aus anderen Ländern, vor allem auch aus Europa.

Da würden sich hartgesottene Festival-Dauergäste hierzulande sicher die Hände reiben.

Wie gesagt, wir planen Schritt für Schritt. Slipknot sind schließlich keine Band im herkömmlichen Sinne. Slipknot ist eine Kultur, die Tag für Tag wächst und keine Grenzen kennt. Und wir werden uns den Arsch dafür aufreißen, dass es so bleibt.

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