laut.de-Kritik
Was Sting wohl dazu sagt?
Review von Philipp Kause"Solche Orchester spielen sonst auch Mozart - das ist der Real Deal! Sowas ist das wahre Zeug", schwärmt Police-Drummer Stewart Copeland in einem Werbefilm zu seiner zweiten "Deranged For Orchestra"-Tournee. Die alten New Wave-Evergreens in völlig neuer Verpackung - einen solchen Ansatz hat Sting bis dato nicht gefunden. Die Klassik-Ansätze verprellen Rock-Fans sicher nicht, sie sind nicht viel anders als bei Jethro Tull oder Leslie Mandoki, verleihen aber mancher Nummer wie "King Of Pain" eine Mittelalter-Aura, als würde man den Soundtrack eines Ritter-Films hören.
Dazu passt, dass eine der drei Sängerinnen, die für Sting in die Lücke springen, als Vokalistin für Disney-Scores ihre Brötchen verdiente: Amy Keys, 55, studierte Biochemikerin und Opernsängerin und reichlich gefragte Background-Sängerin auf Tourneen großer Stars. Zuletzt zog sie wiederholt mit Phil Collins über den Erdball und gesellte sich als Annie-Ersatz zu Dave Stewart. Auch hier im Polizeiorchester stimmt die Biochemie, wie ihr abgeklärt-schroffer, lädierter Gesang in "Don't Stand So Close To Me" zeigt. Sie fühlt sich offenkundig in die Punk-Phase hinein, der das 1980 aufgenommene Falsett-Lied entstammt. Die Voraussetzungen stimmen also, das Konzept hat sich seit 2019 eingespielt und auf der Bühne prima funktioniert. "Well of course I made an album out of it!", meint Copeland auf YouTube.
Er selbst erhebt hier kein einziges Mal seine Stimme. "Police Deranged For Orchestra" ist eigentlich ein Live-Konzept, und die Tourneen leben mitunter von seinen verschmitzten Ansagen, seiner Lebhaftigkeit als interessanter Type. Der 70-Jährige steckt voller Neugier, springt zwischen Gitarre und Schlagzeug, ist ein spannender Gastgeber. Die Studio-Darbietung lässt sich das freilich nicht anmerken, aber das Cover-Artwork vermittelt eine Idee seines Ganzkörpereinsatzes, umringt von Kontrabässen.
Dort, wo man vielleicht kein Original im Ohr hat, haben Orchester, Band und Sängerinnen die größten Chancen. "Murder By Numbers" war mal ein Bonus Track zu "Synchronicity", fehlt aber denen, die 'nur' das Vinyl besitzen oder kennen, wenn sie's nicht als B-Seite zu "Every Breath You Take" haben. Das lange instrumentale Outro weckt sofort angenehme Erinnerungen an irgendwas aus der Kindheit, zum Beispiel wenn man sich in der Schule mit Camille Saint-Saëns "Karneval der Tiere" auseinander setzen musste – klassische Musik der Romantik-Ära in lebendigster Form. Die Streicher jazzen sich zu einer Ekstase hoch, die im Police-Song "Every Breath You Take" bereits angelegt ist. Nach Durchlaufen von leiseren Passagen rauschen das Orchester und die Lead-Sängerin am Ende noch zu dramatischer Hochform auf. Da vernimmt dann auch mal kurz die Gitarre von Rusty Anderson, quasi dem Andy Summers dieses Rahmens. Praktischerweise benutzt auch er meist eine Telecaster. Rusty und Stewart kennen sich schon seit den '70ern, als Rustys damalige Band für The Police im Vorprogramm spielte.
Weil eine Sängerin nicht reicht, gibt's drei Frontfrauen: Drei ziemlich soulige, wodurch alle Songs recht amerikanisch vorgetragen werden und an Kirchen-Gospel angelehnt - man wähnt sich manchmal in "Sister Act" und braucht ein bisschen, um sich da reinzuhören, wenn man die Originale deutlich im Ohr hat. Vor allem beim engagiert einstudierten "Roxanne" entstehen neue Eindrücke und Stimmungen durch die Version, zumal die mehreren tragenden Stimmen auch in neu arrangierten zusätzlichen Gesangs-Spuren die Stellen füllen, in denen Sting im Original gar nichts singt. Ashley Támar Davis aus Texas, 43, wäre fast ein Destiny's Child geworden, wenn ihre Eltern die Minderjährige damals nicht zurück gepfiffen hätten. Sie ist tatsächlich Gospel-Chorsängerin, auf LP auch für Funk, R'n'B, Smooth Jazz und New Jack Swing zu haben, sehr präsent, sehr durchdringend, vielseitig, wurde dem Pop-Publikum als die Stimme neben Prince auf seiner besten Platte nach der TAFKAP-Phase, "3121", bekannt. Mit den Songs von The Police betritt sie definitives Neuland. Aber diese Reibung aus ihrem Balzgesang und dem pumpenden Streichersound, getrieben von Copelands elastischem Backbeat-Schlagzeugspiel, diese Rezeptur zündet stellenweise ganz großartig.
Sehr gut fügt sich ihre feurige Beteiligung auch ins Amok-Panikattacken-Lied "Demolition Man" aus der "Ghost In The Machine"-LP. "I'm a walking disaster / I'm a demolition man", bei diesen Worten geht sie kreischend ans Limit. Die Orchester-Version wertet das zerfahrene, schwache The Police-Stück, 1981 im Grunde ein bluesy Hardrock-Klotz vom Charme eines Betonklotzes, massiv auf. Es entsteht ein klarer Song mit stringentem Spannungsaufbau, klasse Leistung! Was wohl Sting dazu sagt ...?!
Von der dritten Sängerin, Country-Blues-Songwriterin Carmel Helene bekommt man weniger mit, aber in "Message In A Bottle" teilen sich die Ladies die Passagen kurzweilig auf, und auch sie übernimmt kleine Parts der Führung. "Um Sting zu 'ersetzen', braucht es drei Soul Sisters", so Dirigent Copeland.
Das Orchester schleicht und kuschelt erst um die Stimmen herum. Im langen ad lib-Teil, wo sich immer wieder "sending out an S.O.S." wiederholt, brezelt sich der Wettstreit von Streichern und E-Gitarre dann richtig auf. In solchen Momenten wirkt die ganze Aktion hier steil: Aus Höflichkeit hört man sich das schon mal bis zu Ende an, aber man muss Pomp lieben. Beim Medley "Can't Stand Losing You / Reggatta De Blanc" gerät das aufgeregte Treiben nach einem sehr lang gezogenen, repetitiven Start dann plötzlich in der Mitte unübersichtlich für die Ohren, und man droht den Faden zu verlieren.
Den Wüsten-Vibe von "Tea In The Sahara" setzt das Orchester dagegen phänomenal um. Eine Chance, alles mal durchzuhören, sollte man sich gönnen, wenn man sich für Covers und Musikgeschichte interessiert. Mittelmäßiges Gesamt-Resultat mit einer erstaunlichen Kreuzung von Symphonik und Soul-Voices. Wegen Wagnis, sympathischer Crazyness, Lust am Um-die-Ecke-Denken und Spielfreude verdient es aber doch eine kleine Verbeugung.
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