Porträt

laut.de-Biographie

Strom Und Wasser

"Musik ist eine schöne Brücke zum Herzen. Man kann grausame Wahrheiten viel schöner verpacken", meint Heinz Ratz, Liedermacher und Bandchef von Strom Und Wasser. Getreu dieses Grundsatzes befördern seine Texte all jene Dinge aus den Abgründen unserer Gesellschaft, die wir normalerweise nur ungerne eindringlicher betrachten. Mit heiserer Stimme, die bisweilen an das Timbre eines Tom Waits erinnert, hält er uns gnadenlos den Spiegel vor. Für die schöne Verpackung sorgt ein Stilmix aus Punk, Ska, Walzer, Polka und südamerikanischen Anleihen.

Strom & Wasser - Herzwäsche
Strom & Wasser Herzwäsche
Kieler Spießgesellen versus deutsche Spießergesellen.
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Und wonach hechelt die Welt geifernd? Richtig: nach authentischen Künstlern in Zeiten des Plastik. Authentizität jedoch hat man nicht einfach, man gewinnt sie. Ratz erlangt sie einerseits durch sein Leben: Nach einer rabiaten Kindheit, einer Totalverweigerung und einem Jahr auf der Straße hat der Weltenbummler mit diversen Büchern, CDs und über 1.000 Konzerten den Weg zurück zu eigenem Leben und Publikum gefunden. Er verkörpert eine Authentizität des Seins; nicht des Habens.

Vieles von der philosophisch-anarchistischen Grundhaltung der Band speist sich aus der besonderen Biographie des Frontmanns. Im südamerikanischen Peru verbringt er Ende der 60er Jahre seine frühen Kindertage. Schon bald beginnt für den Sohn eines deutschen Arztes und einer Peruanerin indianischer Herkunft jedoch die Zeit der mannigfachen Ortswechsel. Nach kurzem Aufenthalt im Ruhrpott und in Saragossa folgt die Einschulung im teutonischen Ehingen. Wenige Jahre später zieht er mit Schwester und Mutter weiter. Über Saudi-Arabien und die Schweiz ins Baden-Württembergische Waldshut. Von dort verschlägt es die Familie über ein paar Umwege nach Argentinien und einige Zeit später wieder zurück nach Deutschland. So bringt es der Weltenbummler auf ganze 47 Umzüge und sechzehn Schulwechsel.

Ein solch hohes Maß an Eindrücken und Lebenserfahrung bietet genug Stoff für künstlerische Aufarbeitung. Diese führt den Songpoeten "in die lüsternen Arme der dicken, deutschen Dame Kultur und macht ihn zu einem ihrer Callboys". Mit Strom Und Wasser
erklimmt der Dichter sogar den Gipfel höchster deutscher Songwriter-Weihen. Kein geringerter als Urgestein Konstantin Wecker lobt das Schaffen der Truppe über den grünen Klee und bescheinigt ihnen zu Recht die Fortführung ehemals großer deutscher Liedermacherkunst.

So wird die fröhliche Anarcho-Kapelle mit den Jahren selbst zur Institution und bringt in ständig wechselnder Besetzung die Songs ihres Masterminds auf die Bühnen der Republik. Der fungiert dabei auch als Bassist.

Was dabei herauskommt sind wahre Perlen des Tons. Mal fein, dann wieder grobschlächtig auf eine Kette der Abwechslung gezogen, in der sich trashiger Postpunk, jazzige Schwurbelbesen, Kieler Ethnofunk, Ska, Reggae und Latinfetzen sich den musikalischen Faden in die Hand geben, ihrem kauzigen König ein stimmiges Kleid auf den dürren zu schneidern.

Und so geht der Punk lustwandlerisch in den Stilen spazieren. Denn die Welt ist grundsätzlich schlecht bzw. der Zugang zum Guten und Schönen verstellt. Ratz' Worte darüber sind deutlich und schwer verdaulich. Aber mit Musik rutschen sie besser. Was sich nicht reimt, reimt sich nicht, und wird auch nicht geschlagen, eher gerührt.

Ratz gibt sich allerdings nicht damit zufrieden, lediglich auf Missstände hinzuweisen. Mit Antifa-Konzerten setzt er regelmäßig ein Zeichen gegen rechte Gewalt. Im Januar 2008 startet der Liedermacher seinen 'Lauf Gegen Die Kälte'. Er legt die über 1.000 Kilometer lange Strecke von Dortmund nach München zu Fuß zurück. Während dieser Zeit spielt er 30 Konzerte mit seiner Band, deren Reinerlös verschiedenen Obdachlosen-Organisationen zugutekommt. Im folgenden Jahr durchschwimmt der Musiker Teilstrecken deutscher Flüsse und tritt in 52 Städten auf, um für den Artenschutz zu werben und Spenden zu sammeln.

So kämpft er Jahr um Jahr wie Quixote den Kampf gegen die Windmühlenflügel der abgestupften Mehrheit. Mit "Mondpunk" krönt er sein Schaffen 2011. Die exquisite Sammlung bitterster Wahrheit, süßer Romantik und fast zappaesk spöttischem Frohsinn hinterlässt tiefe Spuren im Gehörgang des Publikums. Ist dieser Kampf des Anti-Bohlen aussichtslos? Sind alle Empfänger mittlerweile vom privaten Fernsehen gleich geschaltet und denkfaul? Ratz: "Das werden wir ja sehen!"

Mit solcher Zuversicht geht Ratz noch im Jahr 2011 auch sein nächstes Projekt an: mit seiner Band besucht er beinahe 200 Flüchtlingslager in ganz Deutschland, lernt dort Musiker kennen und lädt diese nach Hamburg ins Studio ein und veröffentlicht unter dem Namen Strom & Wasser feat. The Refugees zwei weitere Alben.

Im Schlepptau dieser Scheiben steigt die mediale und kollegiale Wahrnehmung der Kieler Kombo deutlich an. Besonders die Fernsehberichte führen zu einem größeren Bekanntheitsgrad. Die Resonanz bleibt auch Urgestein Konstantin Wecker nicht verborgen, mit dem gemeinsame Auftritte folgen.

Mit den Alben "Anticool" und "Herzwäsche" verlassen sie die einengende Liedermacher-Ecke und lassen deutlich mehr Rock in ihre Musik einfließen. Der Ausreißer "Reykjavik" ist dagegen eine Kollabo-Platte mit befreundeten Musikern der isländischen Folk- und Pop-Szene.

Alben

Strom & Wasser - Herzwäsche: Album-Cover
  • Leserwertung: 4 Punkt
  • Redaktionswertung: 4 Punkte

2016 Herzwäsche

Kritik von Ulf Kubanke

Kieler Spießgesellen versus deutsche Spießergesellen. (0 Kommentare)

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2 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 6 Jahren

    Heinz Ratz hat für sein Projekt Sturm & Wasser feat The Refugees 80 Flüchtlingslager besucht, und nicht 200, wie es in ihrem Band-Porträt steht.
    (vgl. RBB Fernsehen, Sendung vom 03.06.2018, 23:35 Uhr:
    "Can't be silent", Dokumentarfilm, D 2013)

  • Vor 6 Jahren

    Heinz Ratz hat für sein Projekt Sturm & Wasser feat The Refugees 80 Flüchtlingslager besucht, und nicht 200, wie es in ihrem Band-Porträt steht.
    (vgl. RBB Fernsehen, Sendung vom 03.06.2018, 23:35 Uhr:
    "Can't be silent", Dokumentarfilm, D 2013)

    • Vor 6 Jahren

      @silberfuss:
      Er hat zunächst die Flüchtlingslager in 70 Städten besucht, wurde dann dadurch angestachelt, die Refugees zu gründen und gab zusammen mit diesen und seiner Band Strom & Wasser gut 150 Konzerte und besuchte während dieser Tour nochmal eine Menge Flüchtlingslager, meistens in den betreffenden Städten; zumindest in einigen Fällen fanden meiner Information nach auch noch Konzerte in den Flüchtlingslagern selbst statt, unabhängig von den offiziellen Terminen. Die 200 zweifle ich zwar auch an, aber trotzdem dürfte sie deutlich näher an der Wahrheit liegen als die 80.
      Gruß
      Skywise