laut.de-Kritik
Kieler Spießgesellen versus deutsche Spießergesellen.
Review von Ulf Kubanke"Schwester, stell die Augen scharf / Muss ich es noch erwähnen? / Es lächelt selbst dein Nachbar schon mit frisch geschliff'nen Zähnen." Aus (un)heiterem Himmel erscheint nur ein paar Monate nach "Reykjavik" überraschend eine brandneue Scheibe von Strom & Wasser. "Herzwäsche" ist ein wuchtiges Manifest der Empathie, randgefüllt mit rauchigem Rock, betörendem Singer/Songwriter-Faible und textlicher Brillanz.
Der Albumtitel ist selbstredend Programm. Die Kieler Spießgesellen sagen allen kaltherzigen Spießergesellen den Kampf ("Limousinenköpfe") an und umarmen alle, die sich in finsteren Zeiten ihr warmes Herz bewahren ("Disco Global"). Medial klebt Heinz Ratz und Co. leider noch immer der etwas betuliche "Liedermacher"-Sticker an den Hacken wie altes Kaugummi.
Dabei geht "Herzwäsche" offensiv rockend nach vorne und baut so viele Stile drumherum, dass man vor allem bezüglich einiger Arrangements den Tom Waits-Vergleich bemühen muss. Man höre nur den an "Rain Dogs" erinnernden Opener. Während Ratz einem Pegida-Dresden-Sample ein urgewaltiges "Ihr seid nicht das Volk" entgegen schleudert, steuert Ingo Hassenstein eine erdende Marc Ribot-Gitarre bei.
Das Zitat geht als einmalige Hommage durch. Alle folgenden Stücke sind unverwechselbare Kieler Sprotten. In jeder hintergründigen Nische finden sich filigrane Details. Arno Assmans Saxofon-Figur auf "Disco Global" sollte man ebenso wenig verpassen wie Enno Dugnus' korrespondierenden Einschub am Piano-Keyboard.
So offenbart "Herzwäsche" im Verlauf ein echtes Luxusproblem. Ratz' rattenscharfe Zeilen und seine Seeräuberstimme dominieren dermaßen charismatisch, dass es die Musiker nicht immer leicht haben. Sollte die Crew eines Tages meutern und als Intermezzo eine reine Instrumental-Scheibe einfordern, man könnte es ihnen nicht verübeln.
Ein weiterer Pluspunkt ist der Verzicht auf Oberlehrertum. Allem kritischen Sarkasmus steht immer eine Portion philosphischer Selbstironie gegenüber, die entwaffnet wirkt ("Kinderkloppe"). Von dieser effektiven Eigenschaft könnte sich manch deutsche Liedermacherlegende eine Scheibe abschneiden, statt in selbstergriffener Goethehaftigkeit zu erstarren.
Zur Krönung legt Ratz mit "Die Feinen Blumen Spielen Keine Rolle" die allegorische Poesie-Latte konkurrenzlos hoch. "Sie stehen abseits, schön und unbestimmt / Zartgliedrige und Farbenvolle, Blattseide oder Blütenwolle / Während das Unkraut sich den Garten nimmt."
3 Kommentare mit einer Antwort
Fantastisch, wie immer. So gut, es kann eigentlich gar nicht deutsch sein. Hoffentlich wird die Band wirklich endlich mal das Songwriter-Etikett los...
Hoffentlich sind die auch bei Spotify zu finden und nicht nur im Anwaltschen Plattenladen, der nur für ihn auf hat. Neugierig nun...Ziel erreicht, Anwalt!
Neulich noch nen grundsympathischen Menschen bei nem Kumpel auffer Couch kennengelernt. Ewig langen, hoch interessanten Austausch über Musik als Lebenselixier sowie "das Bizz" in Deutschland gehabt, bis dann kurz vorm heim gehen jemand in die Runde pfiff, dass es sich bei dem Kerl um "die andere Hälfte" von Strom & Wasser handele...
Hätte ich das vorher gewusst, wäre da wahrscheinlich nicht mal ein halb so fruchtbarer Dialog draus entstanden. Allein aus meinem Respekt vor denen, die irgendwann dann doch alles auf eine Karte gesetzt haben und das Game bis heute mit soviel Witz, Intelligenz und Sympathie spielen.
tolle story, dank dir dafür.