laut.de-Kritik

Tod dem 4/4-Takt!

Review von

"Wir sind die Größten" wussten Surrogat schon bei ihrem abgefeierten Vorgänger "Rock" zu berichten. Dass sie jetzt noch eine Spur krasser sind als früher und nicht einfach ohne lautes Tam Tam auf die Bildfläche zurückkehren können, ist also Ehrensache. Egal ob die halbe Welt sich gegen sie stellt, bieten Surrogat weiterhin das was ihre Größe ausmacht: immer noch einen draufsetzen. Wenn die Grenze schon überschritten scheint, gehen sie noch fünf Schritte weiter.

Auch bei ihrem inzwischen fünften Album haut die Band um Sänger und Texter Patrick Wagner wieder mit Slogans wie "Sind wir unten - ist unten oben" oder "Ich hasse meine Generation" erst mal kräftig auf die überdimensionale Pauke und etabliert die Provokation als viertes Bandmitglied. Wenn man dabei nicht den Fehler begeht, die Größe der Klappe mit ihrem Ernst gleichzusetzen, kann man mit "Patrick Wagner Superstar" seinen Spaß haben und sich selbst in einem "Du bist ein Superstar!" glücklich wiegen.

Man kann Surrogat auf "Hell In Hell" sicher nicht den Vorwurf machen, dass sie ihren Sprüchen nicht gerecht würden. So hoch sie sich selbst die Messlatte legen, so hoch springen sie allemal drüber. Ihren Sound hat die Band schon lange gefunden. Jetzt hat sie ihn nur perfektioniert, noch lauter, bedrohender, ein völliger Boxen-Knock-Out, der nur bei vollem Anschlag gehört werden kann.

Die Gitarren brechen in bester Nachbarschaft zu alten Rock-Helden wie AC/DC tonnenschwer herein – mit viel Bass und noch mehr Distortion. Breaks sind wieder einmal Grundstein für jeden Song. Und das trockene Schlagzeug hat nur ein Ziel: Tod dem 4/4-Takt. Aber das alles wirkt schon um einiges gerader und wenigerer vertrackt als noch vor zwei Jahren. Surrogat sind auf dem Weg zum perfekten durchgestylten Rock-Song, der in drei Minuten alles beherbergt was die Geschichte des dreckigen Rock'n'Roll hergibt. Selbst vor prolligem Chor-Geschrei, das schon fast Schlachtenbummler-Ausmaße erreicht, scheuen sie nicht zurück. Und das leider in nahezu jedem Song.

Damit fällt Einiges unter den Tisch, was Surrogat immer interessant gemacht hat. Nach fünf Hördurchgängen sitzen zwar die Melodien und die Refrains tief und fest, zu entdecken gibt es aber nicht mehr viel. Surrogat wollen bombastisch sein und bleiben so die Könige des Alles-Wegrockens. Immer am härtesten, ein Riff deftiger als das andere, kann aber kein Motto für 40 Minuten sein. Auf "Rock" versteckte sich noch einiges zwischen seinen Ecken und Kanten. Auf "Hell In Hell" treten sie das Gas komplett durch, ohne dass sich aufregende Unterschiede ergeben und ohne dass die Qualität auch nur an einer Stelle leidet.

Dafür würde mich Patrick Wagner mit Sicherheit als "Früher-War-Alles-Besser"-Arschloch abtun. So lange er sich irgendwann mal wirklich "neu erfindet" wie er es in "Chance 2002" ankündigt, soll mir das recht sein.

Trackliste

  1. 1. Hell In Hell
  2. 2. Gott AG
  3. 3. Unantastbar
  4. 4. Meine Generation
  5. 5. SOS
  6. 6. Gang Into The Groove
  7. 7. Love Baby
  8. 8. On Top
  9. 9. Chance 2002
  10. 10. Ein Zerfall
  11. 11. Alles Ist

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LAUT.DE-PORTRÄT Surrogat

Sie sind wohl eine der umstrittensten Bands der deutschsprachigen Musik und schlittern konstant auf der Grenze zwischen Helden des Noise-Pop und provokativen …

2 Kommentare

  • Vor 6 Jahren

    Neulich berichtete ein Patient von seinen Erfahrungen auf einer der Berliner "FuckUp Nights" vor einigen Jahren. Irgendwas funkte zwar bei Patrick Wagner, Berlin-Mitte, musste dennoch erst googeln, bevor es "Klick!" gemacht hat und hab dann die letzten Tage nochmal intensiv "Rock" und "Hell in Hell" gehört, leider die einzigen beiden Scheiben, die ich von der Truppe besitze.

    Dabei fiel mir mal wieder auf, dass bei euch auch noch nie wirklich helmet-Hörer in der Red. saßen, oder zumindest nicht zu Surrogats Glanzzeiten. Das hatte das von mir damals noch abonnierte Printerzeugnis der "visionären" Konkurrenz euch in dieser Zeit noch voraus. Shellac zu nennen ist schon klar, aber eben auch das naheliegendste, da von Surrogat selbst zu Beginn ihrer Karriere immer mal wieder eingestreut.
    Knackiger, schnörkelloser Noise-Rock mit um die Ecke gedachten Takt-Experimenten und Aggro-Attitüde, für mich schon immer eindeutig "die deutschen helmet". Würde mir sicher einiges vom Wagner erzählen lassen, ganz sicher aber nicht, dass er vor "Rock" oder der "Hobby"-EP noch nie "Meantime" oder "betty" gehört hat...

    Damals auch schon unverständlich für mich, wie einige Schreiber*innen die mit den Tocos und/oder Blumfeld in einen Topf warfen. Auch den hier wie damals beinahe überall in deutschen Medien zu lesenden Einwurf von wegen AC/DC-Riffs - zum Schluss ja, aber eben weiterhin auf Rhythmen, die du von den Australiern nie erwarten brauchtest und die durch diese Melange mit der unorthodoxen Rhythmik der Drummerin zu etwas völlig neuem, eigenen, im deutschsprachigen Raum gar einzigartigem wurden. Gut, gab noch Delbo oder wie die hießen, aber die hatten mehr so schrammelige Indie-Gitarren, weniger das Knüppel-aus-dem-Sack-Riffing von Surrogat.

    Textlich größtenteils so aktuell, dringend und schneidend wie zur Zeit der Veröffentlichung (bezieht sich mehr auf "Rock" und davor als auf "Hell in Hell", sollte klar sein). Musikalisch nach wie vor ziemlich einzigartig für deutschsprachige Musik (wer mich korrigieren kann, der oder die schmeiße bitte entsprechende Tipps in meine Richtung...) und vergleichbare Newcomer bleiben seit 15 Jahren aus. Werden - zumindest von mir - sträflich vermisst, gerade auch wegen des jahrelangen uneindeutigen und inspirierenden Spiels mit dem Größenwahn.

    15 Jahre nach Auflösung: Surrogat on top.

  • Vor 6 Jahren

    rené weller, bester mann!! ♥ ♥ ♥