laut.de-Kritik

Abheften unter "Mimimi-Rap".

Review von

"Alle sind so unzufrieden", analysiert Phase die Lage der Nation und hat auch gleich eine Erklärung zur Hand, warum dem so ist: "Weil die Erwartungen so riesig sind." Diesem Druck möchten sich Team Avantgarde möglichst entziehen. Lieber ein eigenes Süppchen köcheln, statt sich auf der Welle des Deutschrap-Hypes kommerziellem Erfolg entgegen spülen zu lassen.

"Auf eure Goldketten geb' ich einen Fick. Hauptsache, Berlin-scheiß-Schöneberg ist stolz auf mich." Ein lobenswerter, im Grunde der einzig taugliche Ansatz: Mach' nicht auch noch, was alle anderen machen. Tu', was du willst, und tu' es nicht für eine möglichst breit anvisierte Käuferschaft. Tu' es für deine Jungs, für die Familie.

Recht so. Für die musst du es auch machen. Alle anderen werden sich nämlich einen Scheißdreck dafür interessieren, sofern du ein durchschnittlich begnadeter Rapper mit einem Horizont bist, der über den eigenen Tellerrand nicht weit hinausreicht. Wobei es sich bei diesen Avatgardisten ja ausdrücklich nicht um eine Einmann-Veranstaltung handelt, sondern um ein Team.

Produzent Zenit ließ, las ich jüngst, über dieses Album aber lediglich ein kontrollierendes Auge wandern. Die Produktionen gehen auf das Konto von DJ s.R. aus dem 58Muzik-Umfeld rund um Cr7z. Er strickt hübsch melodische, atmosphärische, stimmungsvolle Landschaften. Nichts Revolutionäres, passt aber durchaus zu den Inhalten. Scratches setzen Akzente, oder auch einmal ein Kontrabass, beigesteuert von Nessin, dem ehemals Dritten im Bunde Team Avatgarde.

Ich, ich, ich, reißt Phase allerdings ständig alle Aufmerksamkeit an sich. Eben noch hab' ich es Mark Forster angekreidet, jetzt folgt auf dem Fuß die Rap-Entsprechung zu "Tape". Symptomatisch: "Wer Bin Ich". Der Track kreist in einer Weise eng um des Erzählers Bauchnabel, dass man beim Zuhören einen Drehwurm bekommt. Dabei fühlt sich die Identitätssuche an wie die Langweiler-Version von "A.N.N.A.". Die Entschuldigung des Freundeskreises (Ey, es waren die 90er!), gilt hierfür allerdings echt nicht mehr.

"Meine Phantasie macht mich größer als ich bin", behauptet Phase. Seine Vorstellungskraft gebiert dann aber gerade einmal die grammatikalisch fragwürdige Erkenntnis: "Familie und Mutter ist das Wichtigste, was es gibt." Oh, und Freiheit, große Liebe, Vertrauen und Treue. Alles erstrebenswerte Ziele, verstehen wir uns nicht falsch. Allerdings: Muss man darüber wirklich Liedchen um Liedchen singen?

"Ich wollte nicht über Bausparverträge und Konten reden", so Phase in "Sicherheit", macht aber damit im Grunde nichts anderes. "Ich leb' einfach nur, scheiß' auf Sicherheit." Sich textlich Rebellentum und Unangepasstheit auf die Fahne schreiben, dann aber nirgends irgendein winziges Wagnis eingehen? Abheften unter "Mimimi-Rap".

Wer will das hören? Nun, Wandtattoo-Kleber offenbar. Leute, die sich selbst für "etwas zu wild für euch" und ihr nettes, kleines Leben allen Ernstes für ein "verdammt verrücktes Karussell" halten, für "eine verrückte Reise". Crazy shit, dieses neue Biedermeiertum. Sollte ich auch mal probieren.

Jemand, der sich intellektuell über "die Kleinstädte eures Geistes" erhaben und sein eigenes Hirn "dort" wähnt, "wo die wilden Kerle wohnen", möchte aber natürlich neben dem Privaten die ganz großen Themen beharken. Also übt Phase in "Utopie" ein wenig Gentrifzierungs- und Konsumkritik und sinniert in "Vogel" über die Unmöglichkeit, die Liebe festzuhalten. Ehrenwert, aber spannend wie eingeschlafene Füße.

Besonders, da Phase nicht wirklich variantenreich vorträgt. Der Mangel an Ausdruck fällt besonders bei den ständig eingestreuten gesprochenen Intros ins Auge. Die wirken statt hörspielartig oder gar lyrisch eher äußerst bemüht. "It's mostly tha voice." Kollege Johannesberg hat gerade erst ins Gedächtnis zurück gezerrt, was Guru zu dozieren pflegte. Phases Lispeln könnte als charmantes Alleinstellungsmerkmal rüberkommen, wenn er auch nur einen Hauch selbstironisch mit seinem Sprachfehler umginge. "Ich finde die Leichtigkeit meinef Feinf!"

Der Mann jedoch ist viel zu beschäftigt damit, sich als Schlauberger darzustellen. "Die Impreffionen der Nacht find in der Ftille verankert", schwadroniert er. "Deine Filhouetten vor dem Fpiegel bilden mein Mantra." Vermutlich für alle Zeiten von Degenhardt verdorben, raunzt es in meinem Kopf: "Seit wann kommen Fremdwörter von Herzen? Am Arsch!" Um, was sie unentwegt vorgeben zu tun, echte Regungen zu transportieren, wirken Phases Zeilen viel zu konstruiert und entsprechend blutleer.

Zudem nervt die Penetranz, mit der er neben seiner überlegenen Intelligenz auch noch Musikcheckertum demonstrieren will. "Seht her!", plärrt es aus "Tribut". "Ich steh' auf Chet Baker und Charlie Parker" und "swing' wie Al Caiola", außerdem.

Nee, tust du nicht. Genau genommen wirkst du, insbesondere im direkten Vergleich zu allen deinen Gästen, wie ein nasser Lappen. Amewu lässt Phase in "Utopie" blass aussehen, Gris in "Jahre", einer inhaltlich außer den Dabei-Gewesenen jedermann völlig egalen Suhlerei in Weißt-du-noch-Nostalgie. Wem es bis dahin noch nicht aufgefallen ist, dem führt "Possee" noch einmal vor Augen, wer in den Reihen derselben der mit Abstand langweiligste ist.

Direkt auf dem Fuß dieser funky Spaßnummer folgt das traurige Suiziddrama "Nele". Zeugt auch irgendwie von einem komischen Händchen bei der Zusammenstellung eines Albums, aber das ist jetzt auch schon egal. Im "Outro" erwartet Phase ja, zufrieden mit sich, selbst den Sensenmann. "Hab' ich genug hinterlassen? Ich glaube, ja." Yo. Mir jedenfalls reicht es. Dicke.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Wer Bin Ich
  3. 3. Utopie
  4. 4. Vogel
  5. 5. Jahre
  6. 6. Sicherheit
  7. 7. Swing Wie Al Caiola 3
  8. 8. Raum 316
  9. 9. Tribut
  10. 10. Erwartung
  11. 11. Fragment
  12. 12. Moment
  13. 13. Possee
  14. 14. Nele
  15. 15. Outro

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Team Avantgarde

Im Jahr 2001 platziert Kool Savas mit seiner Plattenpapzt-Collabo "King Of Rap" die Hauptstadt mit einem mächtigen Schlag auf der Raplandkarte. Während …

9 Kommentare mit 23 Antworten

  • Vor 8 Jahren

    frau fromm erstaunt mich immer wieder...erst bricht sie mit ihren alten idolen (beginner) und jetzt werden hier mitglieder des haus- und hoflabel (edit) abgewatscht...mag es kaum glauben...aber review würde zumindest zum niedergang des labels passen...werd mir das erst geben wenns draussen wieder düster und trist ist

  • Vor 8 Jahren

    Das ging runter wie Öl.
    Hat Spaß gemacht zu lesen und sprach mir aus der Seele. Diese stete Heulerei ... man kann es nicht mehr hören.
    Und ist es da ein Wunder, dass Herr Zenit sich dem entzogen hat? Ich bezweifel sogar stark, dass dort sein wachsames Auge/Ohr drüber lag. Denn die immer wiederkehrende melancholische Suppe wird auch ihm schon aus den Ohren rauskommen.

  • Vor 7 Jahren

    Ganz subjektiv ist mir Phase immernoch der liebste rapper. Die musik spricht mich an und sein rap und die beats bliden ein fantastische einheit. Das ist melankolische kunst und immernoch erfrischend im ferhältnis zum deutschen 0815 rap.