8. Juni 2005
"Es war ein langer Todeskampf"
Interview geführt von Mathias MöllerEs ist ein schöner Tag in Berlin, und entsprechend gut gelaunt und entspannt sind die Hellacopters, die sich in verschiedenen Winkeln des großen Universal-Speichers den Interviewern stellen. Ich habe es mit Sänger Nicke Andersson und Basser Kenny Hakansson zu tun, die offensichtlich zu Scherzen aufgelegt sind. Richtig ernst werden sie erst, als es um die wichtigste Sache der Welt geht: den Rock'n'Roll.
Hi, wie geht's euch? Ihr seht entspannt aus, macht ihr nicht die große Promo-Ochsentour?
Kenny: Wir machen die große Zwei-Tages-Promo-Ochsentour.
Nicke: Nur heute und morgen, dann fahren wir wieder nach Hause. Es ist gut, du schaffst eine Menge in sehr kurzer Zeit.
Wo lebt ihr denn? Immer noch in eurer Heimat?
Nicke: Wir leben alle in Stockholm. Nur ich nicht, ich bin raus in den Wald gezogen. Jetzt im Frühjahr ist es großartig da.
Du bist wohl kein Stadtmensch. Stockholm ist doch eigentlich eine ziemlich relaxte Stadt.
Nicke: Ja. Aber du solltest sehen, wo ich jetzt lebe. That's relaxed!
Was denkt ihr über eure neue Platte?
Nicke: Sie ist endlich fertig! Das ist immer schön. Es fühlt sich ziemlich gut an, würde ich sagen. Es ist ein wenig schwer zu beurteilen, wenn man so intensiv daran gearbeitet hat.
Wie viel Zeit habt ihr denn mit der Platte zugebracht?
Kenny: Es war ein ziemlich langwieriger Prozess.
Nicke: Wir haben im Januar angefangen, probten für drei Wochen, dann waren wir eine Woche im Studio, hatten eine Woche frei, dann wieder eine Woche im Studio, dann drei Wochen frei, dann der Mix innerhalb von einer Woche.
Für die Aufnahmen habt ihr also nur zwei Wochen gebraucht?
Nicke: Es sollte nicht zu lange dauern. Beim letzten Album haben wir uns drei Wochen Zeit gelassen. Dabei geht es doch nur um drei Akkorde ...
Habt ihr denn das Gefühl, dass ihr für "By The Grace Of God" zu lange gebraucht hattet?
Nicke: Wir hatten zu viele Songs aufgenommen damals. Zwanzig Songs sind einfach zu viel. Dieses Mal haben wir nur vierzehn aufgenommen, das spart natürlich Zeit. Ich persönlich würde gerne Alben in vier Tagen aufnehmen. Aber es muss ja auch stimmig sein. Wenn wir die Songs schon ein Jahr lang live gespielt hätten, wären auch die Studio-Sessions wesentlich kürzer gewesen. Wir waren uns einfach noch nicht ganz sicher, was wir genau wollten. Man soll sich ja auch ein wenig Zeit zum rumprobieren nehmen.
Ihr habt einen ziemlich frischen Sound auf dem Album. Es klingt wie Live-Recording.
Nicke: So haben wir es auch gemacht. Im Vergleich zu den letzten drei Alben, wo wir jedes Instrument nacheinander eingespielt haben.
Das ist eigentlich auch das, was ich von den Hellacopters erwarten würde. Auf "By The Grace Of God" klangen die Songs ziemlich arrangiert.
Nicke: Was nicht unbedingt der Fall ist. Vielleicht täuscht dich der Mix da ein wenig. Ich mag dieses Album, der Mix ist sehr durchdacht. Da passiert sehr viel. Aber jetzt haben wir ein anderes Album gemacht, also dachten wir, produzieren wir es auch anders.
Was auch sofort auffällt, ist, dass ihr wieder mehr rockt auf diesem Album.
Kenny: Es gibt Songs, die sehr tough sind, sehr hart rocken ...
Nicke: ... aber es gibt auch ein paar seichtere Stücke auf "Rock & Roll Is Dead", wie zum Beispiel "Leave It Alone", das ist vielleicht der ...
Kenny: ... softeste Song den wir je geschrieben haben.
Nicke: Dieses Album ist vielleicht abwechslungsreicher als das davor. Das kann gut, aber auch schlecht sein. Ich hoffe, es ist gut. Vielleicht wird es langweilig.
Ich habe schon ziemlich gestaunt, wie der Opener "Before The Fall" nach vorne geht.
Nicke: Naja, ein Song wie "Better Than You" vom vorherigen Album ist nicht viel anders als dieser. Man kann schon hören, dass es sich um dieselbe Band handelt. Wenn wir uns dabei etwas gedacht haben, dann wahrscheinlich, dass es ein anderer Sound sein sollte. Die Songs selbst können wir nicht unter Kontrolle halten. Wenn ich einen Song schreibe, kommt dabei das raus, was dabei heraus kommt. Es ist halt ein Prozess, den die Songs durchlaufen: wir sechs, die Band und unser Produzent Chips suchen aus den ca. vierzig Demos die Songs heraus, die wir auch wirklich aufnehmen wollen, und jetzt sind halt diese dreizehn Songs rausgekommen.
Kenny: Es hätte auch ein komplett anderes Album sein können.
Nicke: Es hätte viel schneller, aber auch viel langsamer sein können.
Mir scheint es so, als wären die Songs auf diesem Album individueller, während die Songs des letzten Albums eine gute Einheit bildeten.
Nicke: Das liegt wahrscheinlich an den unterschiedlichen Charakteren der Songs. Ich höre mir Musik nicht so an, wenn mir etwas gefällt, gefällt es mir. Und ich denke, es gefällt mir.
Ich habe ja noch die Aufgabe, etwas über das Album zu schreiben. Darum muss ich mir wohl solche Gedanken machen.
Kenny: Ich glaube ich weiß aber, was du meinst. Als ich das fertige Album das erste Mal hörte, gefielen mir die Songs alle. Aber jeder aus einem unterschiedlichen Grund. Beim Ende eines jeden Songs freut man sich auf den nächsten. Vielleicht verstehe ich, was du meinst. Sie haben unterschiedliche Charakterzüge. Aber es sind immer noch alles Hellacopters-Songs. Es ist ja nicht so, dass da ein Funk-Song drauf ist oder so.
Das solltet ihr vielleicht mal ausprobieren. Wäre doch lustig.
Nicke: Ja, lustig schon, aber auch schlecht. Definitiv schlecht. Vielleicht sollte Kenny ein paar Seinfeld-Basslines spielen.
Kenny: Du würdest schon sehen, wie lustig das ist! (allgemeines Gelächter)
Worum geht es bei "Monkeyboy"?
Kenny: Was glaubst du denn?
Ich denke, es geht um einen Mann, der sich seiner Gefühle jemand anders gegenüber schämt.
Nicke: Gut! Es ist nicht das, was ich mir dabei dachte. Dann funktioniert es ja, wenn du etwas anderes hörst als ich. Ich denke, Lyrics sollten so funktionieren. Danke, dass du das gesagt hast.
Was hast du dir denn dabei gedacht?
Nicke: Ich bin der Monkeyboy. Wir sind ein und dieselbe Person. Ich versuche, damit klar zu kommen. Ich muss mir eingestehen, dass es diese beschissene Hälfte von mir gibt.
Kenny: Es geht darum, dich mit dem Affen in dir zu arrangieren.
Nicke: Und du bist der Affe.
Versuchst du, den Affen zu bekämpfen?
Nicke: Er ist immer da, das ist ein wenig anstrengend. Aber dagegen kann man wohl nichts machen.
Ein anderer Song, der heraussticht, ist "I'm In The Band". Er ist sehr lustig, so etwas habe ich von euch glaube ich noch nicht gehört.
Kenny: Ja, das ist ein sehr lustiger Song.
Nicke: Die meisten Bands haben solche Erfahrungen gemacht.
Gab es da einen bestimmten Vorfall?
Nicke: Es ist komisch, aber es scheint besonders oft in Schweden zu passieren. Man geht nur mal schnell raus zum Bus, um sein Bühnen-Shirt zu holen, vergisst den Pass drinnen. In fünf Minuten muss ich auf der Bühne stehen und der Typ an der Tür sagt: "No pass. You can't get in!" - "Aber du hast mich doch rausgehen sehen!" So läuft das dann. Und der Satz klingt lustig: "I'm In The Band". - Vielleicht ist das unsere Loser-Version von Grand Funks "We're An American Band", denn sie sind alle im Venue drin. Die Türen stehen ihnen offen. Unseres ist die Arme-Leute-Version.
Wobei ihr sicher auch "We're An American Band" singen könntet.
Nicke: Aber dann würden wir lügen!
Kenny: Und reinkommen würden wir deswegen immer noch nicht!
Wir müssen noch über den Albumtitel reden. "Rock & Roll Is Dead" ist ein eher ungewöhnlicher Titel. Das erste Mal hab ich ihn gelesen, als ich Ende Januar auf eure Homepage gegangen bin, und mich anstatt des gewohnten Hot Rods diese Worte empfingen.
Kenny: (grinst) Hast du dir Sorgen um uns gemacht?
Das war überhaupt nicht lustig damals!
(Großes Gelächter)
Nicke: Die Homepage hat seit Jahren gleich ausgesehen, und die Leute haben angefangen, sich im Guestbook zu beschweren. Das Ganze brauchte ein bisschen Zeit, vor allem weil wir ja zeitgleich am neuen Album gearbeitet haben. Also haben wir die Leute ein bisschen rätseln lassen. Was sie dann ja auch getan haben.
Stand das denn damals schon als euer Albumtitel fest?
Nicke: Ich bin mir nicht sicher, aber der Satz lag schon so in der Luft.
Kenny: Aber bevor wir ihn auf die Homepage gestellt haben, entschieden wir uns für den Titel.
Nicke: Die Idee stammt aus einem Song der Rubinoes, das ist eine amerikanische Power-Pop-Band. Die hatten in den Siebzigern einen Song, der hieß "Rock & Roll Is Dead", der ziemlich gut ist. Vielleicht covern wir ihn ja einmal. Sie waren an sich sehr cheesy, but this song kicks ass! Die Lyrics gehen irgendwie so: "Rock & Roll is dead and we don't care".
Aber könnte das die Leute nicht irreführen?
Nicke: Aber wir glauben ja, dass Rock & Roll tot ist.
Wer ist der Mörder?
Nicke: Es gibt keinen einzelnen Schützen.
Das klingt ein bisschen nach JFK!
Nicke: Ja! Einer der Schützen ist sicher MTV. Alle großen Labels sind involviert. Das hat ja nicht erst gestern angefangen. Es war ein langer Todeskampf. Ich denke, (überlegt lange) für uns ist er ziemlich tot. Die Kids heute wissen nicht mehr, wer Little Richard ist oder Chuck Berry oder Jerry Lee Lewis. Mit der Zeit geht das musikalische Erbe verloren. Die Kids interessiert es nicht, woher Limp Bizkit kommen. Limp Bizkit wird als Rockmusik bezeichnet! Zumindest in den USA. Sie nennen Creed eine Rock-Band. Es ist hoffnungslos. Wir werden Spaß damit haben, aber es fühlt sich tot an. Es bricht nicht unsere Herzen, aber es ist eine Tatsache, der wir in die Augen sehen müssen. Ein bisschen kümmert es mich schon.
Wer könnte dem den wieder Leben einhauchen?
Nicke: Ich denke nicht, dass es wiederbelebt werden kann. Alles was wir machen können, ist die Rock & Roll-Tradition weiterreichen.
Kenny: Bevor es wieder besser wird, wird es noch schlechter werden. Die großen Labels stellen gerade fest, dass ihnen die Kontrolle über den Musikmarkt entgleitet. Musikliebhaber bekommen ihre Musik auch anders. Bands spielen ihre Musik auch ohne die Labels. Bald wird etwas passieren mit der Art und Weise, wie Musik verkauft wird. Was danach passiert wissen wir nicht. Musik wird es immer geben, ebenso Musikliebhaber.
Nicke: Vielleicht wird Rock & Roll ja auch mal wiederbelebt, aber im Moment sieht es nicht so aus. Es gibt schon Rock & Roll-Bands, aber die existieren nur, weil die Medien und die Labels beschlossen haben, dass das die Mode ist.
Würdet ihr Rock & Roll-Bands also in zwei Lager spalten?
Nicke: Nein nein nein. Nicht wirklich. Es gab immer gute Bands. Es kommt heute nur noch drauf an, was in oder out ist. Im Moment scheint Rock einigermaßen in zu sein. Wir sind bei Universal, also haben die schon ihre Rock-Band. Warum kann es nicht mehr geben?
Macht es euch denn nichts aus, bei einem Major-Label zu sein? Immerhin sind die in euren Augen Teil des Komplotts.
Kenny: Das bereitet uns keine Sorgen.
Nicke: Wir könnten unsere Platten genauso gut auf einem anderen, kleineren Label herausbringen. Universal ist unser Vehikel, um unsere Musik zu verbreiten. Wenn das Vehikel zusammenbricht, nehmen wir halt ein anderes. Das kann alles sein, vom Internet bis zum guten alten Mailorder-Vertrieb. Wirklich gut wäre es, wenn es wieder zur Mundpropaganda zurückgehen würde. Dass sich jede Band live beweisen muss.
Dann müsstet ihr euch keine Sorgen machen.
Nicke: Alle Bands würden dann härter an sich arbeiten. Heutzutage braucht man doch nur ein teures Video und ein Label, das dafür zahlt, es ins Fernsehen zu bringen. Wenn wir alles selber machen würden, würde es auch kein Video von uns geben. Wir spielen ihr Spiel, aber wir tun das für uns und die Fans. Wir wollen uns verfügbar machen. Wir benutzen sie mehr, als sie uns benutzen. Sie wissen nicht, ob wir uns verkaufen. Aber das ist nicht unser Problem. Wenn wir uns nicht verkaufen, Pech gehabt. Es wird in jeder Stadt immer dreißig Leute geben, die uns live sehen wollen.
In Berlin sollte das gerade so klappen!
Kenny: Bist du sicher?
Wenn man sich die interessanten Rock-Bands heutzutage anguckt, kommen sie nicht aus den USA ...
Nicke: ... oder aus Großbritannien!
Vielleicht am ehesten noch aus Skandinavien? In Norwegen gibt es Turbonegro und Gluecifer, in Schweden außer euch die Hives, plus Danko Jones aus Kanada ...
Nicke: Einige gute Bands kommen aus den USA.
Hat Skandinavien denn was besonderes an sich?
Nicke: Ich weiß es nicht. Vielleicht kann man bei uns eher eine Band gründen. In den USA ist es vielleicht härter. Die Bands in Schweden haben es auch nicht leicht, aber vielleicht haben sie dort eine bessere Plattform.
Kenny: Vielleicht liegt es daran, dass es in Schweden immer schon qualitativ hochwertige Musik gab. Das fängt schon im Jazz an und geht halt bis heute weiter. Die Isolation tut ihr übriges.
Nicke: Oder aber, es liegt daran, dass nicht viele Bands zu uns kamen, also mussten wir selbst Musik machen. Aber das war früher so.
Hat Schweden mehr gute Rockbands als andere Länder?
Nicke: Mehr als Deutschland auf jeden Fall! In den Niederlanden sieht es auch nicht so gut aus. Hast du denn eine Idee, warum das so ist?
Ich bin mir nicht sicher.
Nicke: Bei uns gibt es halt diese Tradition, wie Kenny schon sagte. Auch kommerziell erfolgreiche Bands kommen aus Schweden, wie Abba zum Beispiel. Dann gibt es den so genannten Poodle-Rock. Bands wie Europe, diese Hairspray-Sache. Ich mag Europe zwar nicht, aber sie machen qualitativ gute Musik. Genauso Abba. Die können manchmal sehr cheesy sein!
Vielleicht liegt es auch an der Infrastruktur.
Nicke: Ja, es gibt auch viele Kultur-Fonds. Das könnte helfen. Wir haben da nie groß von profitiert. Es gibt auch wenig Rivalität zwischen den Bands. Jemand hat mir gestern erzählt, dass es so etwas in Deutschland gibt. Wenn eine Band aus einer Stadt in eine andere kommt ... Eine Hamburger Band ist nicht so willkommen in Berlin und so weiter.
Das ist aber vielleicht eine generelle Rivalität zwischen diesen beiden Städten.
Nicke: Und es ist dumm!
Letzte Frage, Nicke: Was ist mit The Solution, deinem Nebenprojekt? Läuft es noch?
Nicke: Wir haben fast das zweite Album fertig. Als wir letztes Jahr durch Schweden getourt sind, haben wir eine Reihe Coverversionen gespielt, die haben wir am Ende der Tour aufgenommen. Vor der Tour haben wir ein paar Songs geschrieben. Ein paar Kleinigkeiten müssen da noch gemacht werden. Es macht mir viel Spaß, aber es ist harte Arbeit. Einfach weil so viele Leute daran beteiligt sind. Vierzehn Leute zur Probe zusammen zu kriegen ist fast unmöglich. Ich als Bandleader werde da beinahe wahnsinnig. Wenn es klappt, macht es einen Riesenspaß.
Nicke oder Kenny in den I-Pod zu gucken, wäre sicher eine höchst aufschlussreiche Reise in die Vergangenheit des Rock gewesen, doch leider ist Kenny schon zum nächsten Interview abgezogen und Nicke besitzt einfach keinen. Von einem Vinyl-Freak war das zu erwarten. Aber er ist sich der Vorteile bewusst und zeigt sich interessiert an den kleinen Teilchen. Bis jetzt sieht es nämlich so aus, dass er sich zuhause mit einem Spezialgerät die Schallplatten digitalisiert, diese dann auf CDs brennt, um sie mit auf Tour zu nehmen. Für die Platten, die er unterwegs kauft, hat er einen Koffer-Plattenspieler dabei. That's Rock'n'Roll!
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