laut.de-Kritik
Reggaehits und -raritäten: von Gender-Kampf bis lispelnden Drogendealern.
Review von Philipp KauseWenn die 19-jährige Jamaikanerin Koffee als neue Ikone der Reggae-Weiblichkeit gilt und ihr für fünf Songs ein Grammy winkt, fällt besonders Knabenhaftigkeit ins Auge, von der Latzhosen bis zum androgynen Vokal-Style. Die Ladies, die das Ur-Reggae-Label Trojan hingegen aus der Versenkung holt, strahlen dagegen radikale Romantik aus: Liebe im Mondschein ("Joya Landis – Moonlight Lover"), vom Geben und Nehmen ("Marcia Griffiths - Give You And You'll Get"): Das Motto "Love Is All I Bring" passt perfekt.
Rocksteady heißt der langsamer gespielte Vorgänger von Reggae, der 1965/66 eine kurze Blütephase erlebte und nie ganz verschwand. Die Aufnahmen hier sind bis auf zwei Songs von 1964 und '67 zwar deutlich jüngeren Datums, aber Rocksteady wirkt immer alt, immer wie aus den 60er, was in der Nähe zum Soul aus der Zeit der Bürgerrechtsära begründet ist.
Besagte Romantik schließt die Auseinandersetzung mit dem Kampf der Geschlechter ein. Susan Cadogan, Verwaltungskraft in einer Bibliothek auf Jamaika, wurde von einem Bekannten in den 70ern in ein Tonstudio geschleppt, um sich dort mal auszuprobieren. Unbekümmert sang sie drauf los, Musik boomte zu jener Zeit auf Jamaika, schon ihre Mutter war Gospel-Sängerin. Ihre Aufnahme war ein Soul-Cover aus der Blaxploitation-Welle ("Susan Cadogan – Hurt So Good" mit Zap Pow, der virtuosen Band von Beres Hammond). Der Mann an den Reglern, Lee 'Scratch' Perry, liebte die Stimme. Susan bekam aus dem Nichts ein ganzes Album.
Wenn Cadogan heute die alte Musik live spielt, geht das so: Sie bittet einen Gentleman aus dem Publikum auf die Bühne und verspricht: "I'll bring him back". Dann drückt sie ihm die Hand bei den Textzeilen "First you take my heart / In the palm of your hand / And you squeeze it tight" und quiekt dabei, als ob sie einen Mord plane. Die Lacher sind ihr sicher.
Den Klassikern des karibischen Soul-Repertoires fügte Sharon Forrester ihre Version von "Silly, Wasn't I?" hinzu, Phyllis Dillon deutete soziale Backgrounds in "Woman Of The Ghetto" an, ebenfalls ein US-Soulcover. Es gab damals auch viele heimische Kompositionen, vor allem männliche produzierten wie am Fließband: Duke Reid, Willie Lindo, Jimmy Cliff oder Renford Cogle (von der Vokalgruppe) The Melodians hießen die Ghostwriter.
Vorliegende Trojan-Sammlung umfasst so ziemlich alle Ladies und einschlägigen Genretracks mit Rang und Namenn: "Althea & Donna – Uptown Top Ranking", Althea solo, Marcia Griffiths nebst I-Three-Kollegin Judy Mowatt, Marcia Aitken, Nora Dean, Phyllis Dillon, die großartige Dawn Penn (hier ohne "No No No"), Cynthia Schloss (Background-Sängerin auf Max Romeos "War Ina Babylon") sowie die Pionierinnen Hortense Ellis (Schwester des Father Of Rocksteady, Alton Ellis) und die First Lady des Ska, Doreen Shaeffer, seit 1963 mit The Skatalites weltweit auf Tour.
Die Kollektion arbeitet die Londoner Szene ("Marie Pierre – Nothing Gained (From Loving You)", "Janet Kay & The Kaylets – Lovin' You", "Sylvia Tella – Spell") bis in die nächste Generation auf, als Mitte der '80er Paula Clarke und Sophia George aufkreuzten. Letztere singt nun nicht mehr von "Woman","Queen" ("Claudette – Queen Of The World") oder "Lady" ("Joy Whyte – Lady, Lady"), sondern vom "Girlie Girlie".
Ein einziger Dancehall-/Raggamuffin-Beitrag verirrt sich in die Sammlung, ein besonders origineller Tune: "Sandra Robinson – Sensi For Sale", ein Ganja-Dealer-Song. Zur frechen Stimme kommt ein selbstbewusstes Lispeln hinzu, und dann heißt es eben: "Thenthi for thale".
Die Zusammenstellung leistet ein ehrliches Aufarbeiten ohne Scheuklappen, sie drückt Ausnahmen nicht weg oder blendet Obskures aus. Zugkräftige Namen und veritable Hits tragen zwar die Dramaturgie und legen aber auch viel Unbekanntes auf den Plattenteller. Das Herzstück der Zusammenstellung bleibt hier das anrührende "Struggling" der unbekannten Sharon Black. P-Funk-E-Guitar trifft auf Dub-Basics im Intro, bevor sie den Bogen vom alltäglichen Kampf bis hin zur Sklaverei spannt. In der Vinyl-Ausgabe fehlt dieser Song genauso wie die Tracks der Engländerinnen.
Was die Compilation, die durchweg mit superber Tonqualität aufwartet, leider ausspart: Wie sich etwa aus dem Ska der Rocksteady entwickelte und Damen wie Louisa Mark, Marie Pierre oder Janet Kay dem UK-Punk mit Reggae-Rhythmen beeinflussten: The Clash übersetzten den sanfteren Reggae dann in den harten Kontext der Punk-Gitarren. Immerhin finden sich Liner Notes einer zentralen Londoner Figur, Sängerin Rhoda Dakar (The Specials AKA, "Free Nelson Mandela", "The Boiler").
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