laut.de-Kritik
Zeit für deutsches Liedgut!
Review von Dani FrommEin Blick ins Musikfernsehen, einer ins laut.de-Forum und einer in meine Mailbox, die (Herzlichen Dank, Sober.Q!) vor brauner Propaganda überquillt, legen nahe: Es ist allerhöchste Zeit, sich mit deutschem Liedgut zu beschäftigen. "Wir schwenken die Fahne, die rote, zum Gruß" - und gratulieren Pläne Records zum 40. Geburtstag.
Das Dortmunder Independent-Label, gegründet 1961 als Autorenverlag, hat sich der Weltmusik und dem deutschsprachigen Lied mit Inhalt verschrieben und präsentiert mit "Marsch der Minderheit" einen Querschnitt durch vier Jahrzehnte politischer Arbeit. Geschichtsunterricht in höchster Vollendung. Wohl an!
Die erste CD führt in die frühen 60er Jahre zurück. Der große alte Mann des deutschen Kabaretts serviert den Titelsong: Einen Aufruf zu Protest und Widerstand derart jazzig daherswingen zu lassen, dass er wie leichte Unterhaltungsmusik in die Gehörgänge flutscht, das kann nur einer: Hanns Dieter Hüsch.
Und schon findet man sich mittendrin, im Pläne-Archiv, wo es nichts gibt, das es nicht gibt. Hanns Ernst Jäger, Ernst Busch und Bärengässlin vertonen Texte von Brecht, Tucholski und Walter von der Vogelweide. Minnegesang trifft auf Arbeiterlied; gesungen wird auch mal mittelhochdeutsch, jenisch oder platt.
Akustische Gitarren, Ukulelen, Lauten und Quetschkommoden - und doch stehen immer Stimmen und Inhalte im Vordergrund. Was gar nicht anders geht, sind doch große Geschichtenerzähler wie Hannes Wader oder die Polit-Rock-Kabarett-Truppe Floh de Cologne mit von der Partie. Die Zeitreise führt vom Mittelalter über Bauernkriege, Hamburger Aufstand und österreichischen Widerstand im 'Dritten Reich' in die Friedensbewegung der Nachkriegszeit, bis ("Tempo Mann") die Lok Kreuzberg im Berlin unserer Tage eintrifft.
CD Nummer zwei dokumentiert hauptsächlich Veröffentlichungen der letzten Jahre. Noch einmal kommt Hannes Wader zum Zug und äußert, begleitet von einer wunderbaren Melodie, akustischer Gitarre und verhaltenem Schlagzeug, ausgesprochen nachvollziehbare "Wünsche": "Ein empfindlicheres, offeneres Ohr" wünsche ich mir und einigen meiner Zeitgenossen zunehmend häufiger.
Von Konstantin Wecker kann man halten, was man will. Aber der Mann kann zweifellos Klavier spielen, dass es einem eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken jagt, und erweist sich in "Genug Ist Nicht Genug" zudem als mehr als passabler Scat-Sänger.
Anne Haigis bekommt die vorsichtige Instrumentalisierung mit Gitarre und dezenten Streichern in "Schatten Deiner Nacht" hervorragend, während ich Neue-Männer-braucht-das-Land-Röhre Ina Deter in rockigeren Nummern wesentlich besser aufgehoben finde, als in einer Ballade wie "Niemals". Ebenfalls nicht so geglückt in meinen Ohren: Fred Apes "Alles Ist Schön". Man könnte meinen, Reinhard Mey hätte beim Aufräumen eine E-Gitarre gefunden.
Dafür entschädigt allerdings sofort Jan Degenhardt, der in "Marathon Berlin" mit leichtem lateinamerikanischen Touch und einem sehr schönen Saxophon besticht, oder Sylvia Anders, deren Stimme (begleitet von Justus Noll am Klavier) vor Variationsreichtum und Ausdruckskraft nur so strotzt. Was man allerdings nur bemerkt, wenn man sich nicht (wie ich) nach "Der Jüngling am Bache" staunend auf den Knien wiederfindet: Klarinettenvirtuose Giora Feidman und Sopranistin Katja Beer interpretieren gemeinsam ein Schubert-Lied. Wow! So kann sie klingen, Musik aus dem Lande der Dichter und Denker.
Ich verabschiede mich mit den Worten Dietrich Kittners: "Noch einmal singt die Internationale, doch macht nicht wieder solchen Krach dabei!"
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