laut.de-Kritik
Ist Rammstein ein Grund, deutsche Musikgeschichte zu feiern?
Review von Gurly Schmidt"Pop ist Geschichte, schreibt Geschichte, prägt Geschichte und erzählt Geschichten - aber was ist eigentlich deutsche Popgeschichte?" Der WDR-Zwölfteiler, initiiert von Popmythos Herbert Grönemeyer, hat im Jahr 2000 ein wenig aufgeräumt mit dem, was im Musikunterricht so gelehrt wird: Pop 2000 konnte zeigen, dass es in unserem Land eine Geschichte der populären Musik gibt: Dokumentatorisch, spannend, interessant, lehrreich. Auf dem dazugehörigen Album durften "neue" Stars "alte" Stars covern. Die Guano Apes verschandelten Alphavilles "Big in Japan", oder sagen wir sie "interpretierten (...) ein Stück Geschichte anders, quicklebendig ...neu!" und wurden dafür in die Top Ten gekauft. Prima!
Nun ist ein Jahr vergangen, das Konzept hat verkauft, sich bewährt. Ein neuer Zwölfteiler für ein Jahr mehr "Geschichte" ist wohl nicht mal mehr auf RTL II zu platzieren. Aber ein Album geht immer: "So feiert Pop 2001 die deutsche Musikgeschichte. Und wir haben wirklich Grund zu feiern. Es ist unsere Popgeschichte (...) und es sind unsere Popstars, mit denen wir aufgewachsen sind und denen POP 2001 offensiv huldigt....", so das Booklet des zweiten Streichs.
Moment mal ... Rammstein ein Grund, deutsche Musikgeschichte zu feiern? Hildegard Knef zu sein und Rammsteins "Engel" zu rappen, ist kühn. Das einstige Rammel-Geschrammel aber in Cooljazz zu verwandeln, ist verdammt verwegen und die Herren Engel sollten sich jetzt mal ganz schnell anschicken, der Knef zu huldigen und ihr verdammt noch mal die Stiefel zu lecken.
Die Huldigungen fangen demnach genau beim letzten Song der Scheibe an, und hören da aber auch wieder auf. Wenn Scycs "You're my heart you're my soul" von Modern Talking verrocken, dann klingt das zwar beeindruckend, der Text ist und bleibt aber trotzdem Scheiße: Dieter Bohlen ist einfach auch nicht Goethe, wenn Scycs liest...
Auch Scooter, die es wagen, die Pop-Hymne der ehemaligen DDR, Citys "Am Fenster" dem Technoboden gleichzumachen, gelingt das nicht so schlecht. Dem einstigen Lied steht der Scooter-Look, wenn auch nur für eine Nacht. Das Tollste daran ist allerdings, dass Baxxter diesmal nicht schreit. Ton Steine Scherbens "Rauch-Haus-Song" im Westbam Remix ist gewaltig gewöhnungsbedürftig, aber selbst die leichtfüßige "die-Platte-hat-einen-Sprung" Inszenierung nimmt dem rauhen Original erstaunlicherweise nicht die Würde. Und Jan Plewka, Ex-Selig Frontmann, kann seine Stimme in Spliffs ehrwürdigem "Deja Vu" durchaus gekonnt inszenieren.
Ob wir aber Liquido mit Boney M.'s "Brown Girl in the Ring" brauchen oder Miles den Rainbirds in "Blueprint" fast die letzte originale Blaupause verschmieren müssen, sei dahin gestellt. Die Vollkommenheit des Hohnes ist aber Sabrina Setlurs "Keine ist". Sie covert aus lauter Dankbarkeit einfach einen frühen Song ihres Ziehvaters Moses Pelham. Geschickter Schachzug, denn Lehrbücher konnte der 3p-Verlag doch immer schon selber drucken. Geschichte wird gemacht ...
Das Ganze ist 'ne nette Platte. Hildegard lebe hoch und Sabrina kann nun mal weder singen noch sprechen, auch wenn Moses die besten Anwälte der Welt hat. Wenn aber im nächsten Jahr das nächste Mal Geschichte gemacht wird, dann bitte ohne bedeutungsschwangere Reden, das macht müde bei großen Festakten.
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