laut.de-Kritik
Liebhaber unterwegs in Sachen Musikgeschichte.
Review von Karim ChughtaiInteressieren den gewöhnlichen Erdling Compilations überhaupt noch oder herrscht aufgrund der online Verfügbarkeit eines jeden Tracks nun gar kein Grund mehr für eine Anschaffung? Finden nur noch Zusammenstellungen zwischen "Fetenhits" und Quentin Tarantino-Soundtracks Abnehmer, um tags darauf langweilige WG-Partys für rein oberflächlich kulturell aufgeschlossene Studenten zu beschallen, währenddessen wahre Perlen verstauben?
Vergleichsweise einem guten Mixtape (der Streifen "High Fidelity" zeigt es anschaulich) steckt in einer Compilation Sorgfalt, Detailverliebtheit, Strategie in der Trackauswahl, Taktik bei der Titelplatzierung, ein eleganter Spagat zwischen den Genres des gesamten Leitfadens und dazu noch sehr viel Persönlichkeit. Darum geht es!
Das Schweizer Duo Soulinus & Pun startete die Compilation-Reihe "This Is DJs Choice" des Düsseldorfer Vorzeige-Funk-Labels und setzte den Schwerpunkt der Serie unmissverständlich fest: Von DJs für DJs, von Musikliebhabern für Musikliebhaber, Nerdwissen angereichert durch jahrelanges Plattendiggen, dass als Kulturgut vererbt wird.
"Diggin" eine Fähigkeit, die dem Musik-Downloader evolutionär vergönnt bleibt. Obwohl global gesehen, genug Interesse an Musik herrscht, obwohl die Zugangskanäle mannigfaltig sind - das akribische, mit viel Geduld verbundene Suchen nach Musik kennen nur noch Musikliebhaber und (gute) DJs.
Auf Volume 2 der Unique Records-Reihe stellen nun Keb Darge - seines Zeichens Prediger des Deep Funk und Northern Souls, Resident und Promoter der "Legendary Deep Funk"-Abende in Sohos Madame Jojo's Club - und Gehilfin Lucinda Slim ihr musikalisches Innere als auch Sahnestücke ihrer Plattenregale aus Blues, Fünfziger R'n'B und Rockabilly vor.
Eine spezielle Auswahl an Liedern fernab von Aretha Franklin und der allgemeinen studentischen Auffassung von Funk. Trotzdem geht das nach Vorne. "I Wanna Ramble till the break of dawn" stellt John Lee Hooker im groovigen Opener-Blues als Mission klar, die rare Perle "You'll Be Mine" von Howlin Wolf folgt der Devise sogleich treu. Auf den Blues folgt die Ära weiblicher Schwergewichte. "That's Pretty Good Love" mit "Hit The Road Jack"-Bläsersample von Big Maybelle oder Sarah Deans "Long Lean Daddy", Songs, genauso dick wie die Stimmvolumen der Sängerinnen.
Kurz streuen die Cadets noch etwas Fünfziger R'n'B in das historische Potpourri, danach geht die Reise in westernaffinen Rockabilly über: Baker Knight, Jesse & The Orbits oder Jack Rabbit Slim stehen Pate. Den letzten Tracks gebührt die Repräsentanz von Funky Soul. Sugar Pie Desantos Highlight "Soulfull Dress", Don Thomas "Come On Train" oder Sharon Jones und die Dap-Kings müssen hier nicht lange auf die Tanzfläche bitten.
Und das Beste kommt zum Schluss: Für wahre Genießer und als Aushängeschild einer jeden erlesenen Plattensammlung - das heute schier unmöglich zu ergatternde "Beggin" von Timebox. Dass sich Madcon an diesem Track ganz ungeniert für einen ganzen Tag Fame bedient hat, wissen Eingeweihte. Für alle annderen: ja, alles geklaut. Einen Northern-Ausflug zum Finale bescheren schließlich noch General Assembly und Syng McGowan.
Das Duo Darge und Slim vereint Lieblingslieder zu einem homogenen Leitfaden durch die goldene Zeit. Dabei verträgt sich die Erfahrung des Altmeisters mit dem Gespür weiblicher Intuition wirklich gut.
Zudem weiß der alte Hase Keb was "Diggen" bedeutet. Jahrelang und mühevoll durchkämmte der Schotte sämtliche Lagerhallen des Mittelwestens bis sein Vinyl-Durst gestillt schien. Jedoch nicht nur der eigene. Ein ambitionierter DJ möchte andere mit seinen Lieblingsliedern bekannt machen, in neue ihnen unbekannte Musik einführen, indem er zentrale Stücke des Genres sozusagen als Geschichtslektion vorspielt. Oder einfach unspektakulär die eigene Leidenschaft mit ihnen teilen.
Und genau das geschieht hier. Die Auswahl gelingt zwar sehr speziell, aber dennoch ist es höchst lobenswert und schön, wenn Originalität und Individualität mehr Beachtung findet als Tanzgarantie und Gassenhauer.
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