laut.de-Kritik
18 Jahre Ninja Tune: eine ästhetische Überforderung.
Review von David HilzendegenNinja Tune wird endlich volljährig! Grund genug für die Engländer sich anständig selbst zu feiern und den Verehrern mit "You Don't Know" den mittlerweile fünften Teil der Ninja Cuts-Reihe zum Fraß vorzuwerfen. Und wie es sich für den Achtzehnten gehört, ist das Mahl heuer opulenter denn je. Drei CDs, 49 Tracks und 225 Minuten Spielzeit müssen erst mal verdaut werden.
Das ist diesmal leichter gesagt als getan, denn Ninja Tune hat sich entwickelt, ist den Kinderschuhen, die Dank der Gründerväter um Coldcut, The Herbaliser, Funki Porcini und DJ Food stark nach Breakbeat, Ambient, Trip Hop und Abstract Hip Hop rochen, längst entwachsen. Die beiden Letztgenannten sind auf "You Don't Know" nicht mal mehr vertreten. Der älteste Track geht mit Mike Ladds orientalisch angehauchtem "Blah Blah" auf das Jahr 1998 zurück.
Mit Fink tummelt sich mittlerweile ein Singer/Songwriter zwischen den Plattentellern der Kollegen. Das Cinematic Orchestra hat auch nach der eher schwachen "Ma Fleur" nicht aufgehört, tiefsinnige Stille in Jazzform auf Platte zu pressen.
Mit anderen Worten: Ninja Tune ist musikalisch längst kein homogenes Gebilde mehr. Hinzu kommt, dass sich das fünfte Sequel nicht nur mit den Künstlern begnügt, die direkt auf Ninja Tune gesignt sind, sondern die Arme auch in Richtung der Ableger Ntone und Big Dada ausbreitet.
Was auf den ersten Blick einigermaßen erstaunlich anmutet - kam doch vor wenigen Monaten zum zehnjährigen Bestehen des Hip Hop-Brüderchens bereits eine hervorragende eigene Compilation in die Plattenläden - wird zumindest ansatzweise entkräftet. Fast alle Stücke der Big Dada-Vertreter gehen als Remixversion an den Start.
Überhaupt sind die Remixe das große Plus der Scheibe: Modeselektor nehmen sich Ghislain Poirier vor, Zero dB macht aus Bonobos Downbeat-Nummer "Nightlite" einen ekstatischen Banger übelster Kopfnicker-Sorte und Tiga versucht sich an Coldcuts Syl Johnson-Cover. Zwar hat der Versuchs des Kanadiers deutlich mehr Feuer, der Wanderpokal für den besten Remix von "Walk A Mile In My Shoes" bleibt dennoch vorerst in Berlin bei Henrik Schwarz.
Um den Mief des Ausverkaufs, der solchen Sammlungen oft unweigerlich an den Sohlen haftet, weitgehend zu unterdrücken, finden sich noch ein paar bisher unveröffentlichte Stücke auf der Platte: Etwa eine Live-Version des Cinematic Orchestras oder John Matthias' fragiles "Evermore" mitsamt Banjo und Lagerfeueratmosphäre.
Dessen Full length-Album kommt noch im Laufe des Jahres. Wer die Band um Jason Swinscoe schon live erlebt hat, wird jedoch schnell merken, dass sich die verzaubernde Aura der Konzerte nicht auf Platte bannen lässt.
Spätestens der bisher ebenfalls unveröffentlichte Orgasmic Remix von "Travailler" wirft das bereits angerissene Problem endgültig auf: Wer will oder kann sich diese krude Mischung auf Dauer eigentlich anhören? Spontan kann ich mich an keine Situation erinnern, in der ich mich gleichzeitig sowohl für die atmosphärische Tiefe von Max & Harvey oder Jaga als auch für das Elektro-Terror-Hip Hop-Gemisch von TTC hätte begeistern können.
Was Ninja Tune hier vorsetzt, ist zwar ein richtig fetter Braten, leider liegt er verdammt schwer im Magen. Wer bei dieser ästhetischen Überforderung die Skiptaste nicht je nach Gemütslage dauernd benutzt, unterliegt entweder heftigen Stimmungsschwankungen oder muss ein richtig hart gesottener Fan sein.
2 Kommentare
3 punkte für dieses kunstwerk wären 4 nicht etwas angebrachter?
Derbes Label, derbe Tracks.
Allerdings kann man sich natürlich nicht wirklich alles antun, bei der Bandbreite an Künstlern.
Trotzdem wäre 1 Punkt mehr wirklich angebracht.
Quasi als Geburtstags Bonus.