laut.de-Kritik

"Amore" war gestern, doch der Wandalismus hält an.

Review von

Die alte Pottsau Liebe schmeißt eine letzte Runde. Zwischen überquellenden Aschenbechern, Alkoholleichen und den Flaschen von gestern feiern wir noch immer die gleiche Party, nur sieben Stunden später. Die Luft steht im Zimmer, Thomas ist längst heim gegangen, aber die Abschiedstrinker saufen noch einmal auf die "Amore". Noch ein paar Trinksprüche, zwölf letzte Lieder und wir gehen heim. Der Morgen graut bereits, der erste Kater streift um die Häuser.

Der Wandalismus von "Bussi" knüpft nahtlos an seinen Vorgänger an. Die Einstiegsdroge hat ihre Wirkung nicht verfehlt, nun greift der traurige europäische Geist zum Schnee, zum Weißen, zum Koks. Vom ersten Moment an fühlt man sich auf dem verlotterten Bruder des Debüts heimisch, auch wenn dieser teilweise schamlos zitiert wird.

Etwas Trostlosigkeit hat sich über den Klang der Wiener gelegt. Wer aber dachte, dass Wanda nach nur einem Jahr zu wenig Zeit in "Bussi" investiert hätten, um das Niveau zu halten, den überzeugt spätestens "Meine beiden Schwestern" eines Besseren. Ein morbider Gossenhauer auf Augenhöhe mit "Bologna", der sich nachhaltig ins Hirn frisst. "Es ist wahrscheinlich etwas Wahres dran / Wenn du sagst dass man dabei sterben kann."

Die Produktion auf dem ersten beim Majorlabel Universal veröffentlichten Longplayer legen Wanda wieder in Paul Gallisters bewährte Hände, der seine Arbeit konsequent weiterführt. Die Unterschiede und neuen Facetten finden sich in den nun weniger protzigen Details. Bevor sich die Band festfährt, bricht "Sterne" die Strukturen mit seinem akustischen, fast volksmusikhaften Einstieg, seiner schunkelnden Weiterentwicklung und dem gospelartigen Refrain auf.

"Das Wär Schön", das gerade einmal über sieben Textzeilen verfügt, umarmt mit seinem singenden Bass, der blueslastigen Mundharmonika, karibischem Synthesizer und dem schwärmerischen Refrain die Sehnsucht. Zu Webers tief schürfendem Bass und Hummers beschwipster Schweineorgel singt Marco in "Mona Lisa Der Lobau" mit gebrochener Stimme: "Es muss halt jeder einmal untergehen".

"Alarm!" setzt mit seinem "Tiuiui Tiuiui (Alarm!) Tiuiui Amore" und dem deutlichen "In der Nacht"-Querverweis zu "Jelinek" noch einmal direkt an den Vorgänger an. Trotzdem oder gerade deswegen gelingt Wanda eine eigenständige und packende Mitgrölnummer. Wenn man krampfhaft nach Schwachstellen sucht, finden sich diese höchstens in den zu einfach gestrickten Refrains von "1, 2, 3, 4" und "Bussi Baby". Die Vorab-Single setzt Drogensucht mit dem Verlangen nach Liebe gleich und übertüncht seine Schwächen mit einem psychedelischen Synthesizer-Solo.

Leider ging manch einem von uns in den letzten zwanzig Jahren das Verständnis dafür verloren, dass ein Liedtext durchaus auch eine weitere Ebene beinhalten kann, die nicht zwanghaft für die Gedankenwelt des Sängers steht. Wer glaubt, hinter den Textzeilen der garstigen Charakterzeichnung von "Nimm Sie Wenn Du's Brauchst" ("Nimm sie wenn du glaubst dass Du's brauchst / Steck sie ein wie zwanzig Cent") die frauenverachtende Ideologie eines Marco Michael Wanda zu erkennen, glaubt auch daran, dass Falco "Jeanny" einst höchstpersönlich entführt und umgebracht hat.

Wandas "Bussi" bezieht seine Energie aus dem "Amore"-Schatten. Alles ist etwas kühler und dunkler, verfügt aber über das selbe Erbmaterial. Wenn sich der Wahnsinn irgendwann gelegt hat, bietet die Platte die Alternative zum dann ausgelutschten Vorgänger. Das Album, auf das man in fünf Jahren lieber zurück greift. Falls nicht, gibt die Band auf ihrem wohl heimischsten Song "Kein Herz Im Hirn" bereits die passende Antwort: "Wauns net weitergeht mit mir / Is a wurscht / I verlier sicha net mei Herz und mein Hirn / Und a net mein Durscht - es is mir wurscht."

Trackliste

  1. 1. 1, 2, 3, 4
  2. 2. Meine Beiden Schwestern
  3. 3. Bussi Baby
  4. 4. Lieber Dann Als Wann
  5. 5. Gib Mir Alles
  6. 6. Nimm Sie Wenn Du's Brauchst
  7. 7. Alarm!
  8. 8. Mona Lisa Der Lobau
  9. 9. Das Wär Schön
  10. 10. Sterne
  11. 11. Andi Und Die Spanischen Frauen
  12. 12. Kein Herz Im Hirn

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16 Kommentare mit 28 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    Album ist richtig geil geworden, finde ich übrigens.
    Gut, "Lieber dann als wann" und "Alarm!" nerven mich ein bisschen, deshalb auch im vll. unnötigen, aber irgendwie ja doch unvermeidbaren, Vergleich mit dem Vorgänger evtl. eine Winzigkeit hinten dran.
    Aber solange es Sucht-Anspieler wie "Meine beiden Schwestern", "Gib mir alles" oder meinen persönlichen Liebling "Das wär schön" (dessen Riff mich ein wenig an Turbonegros "Get it on" denken lässt, positiver Nebenaspekt) auf der Scheibe hat, ist das ja eigentlich auch scheißegal.
    Wird mich sicher noch häufiger verfolgen, ob nun wirklich am Ohr oder nur im Schädel.

  • Vor 9 Jahren

    Intro ballert ordentlich. Schwester-Track mag ich überhaupt nicht. Dafür die Bussi-Single und Track Nummer 4 und 5. Weiter bin ich noch nicht...

  • Vor 8 Jahren

    Edit: Mittlerweile Album gehört. Riesen-Ding. Nahezu jeder Song ein Schmankerl. Wunderbare naive Musik, fühlt sich gut an.

    Favs: Mona Lisa, Schön, Gib mir alles, Andi