laut.de-Kritik

Potential und Schwächen eines werdenden Stars.

Review von

"Diese Nummer ist auf meine rechte Gesichtshälfte tätowiert", eröffnet eine zittrige, unsichere und gedankenversunkene Stimme das Album. Gerade mal 21 Minuten dauert "17", kaum ein Track überschreitet die Dreiminutenmarke das Debütalbum von XXXTentacion ist kein gewöhnliches Release. Nicht nur zeichnet es das Seelenleben eines zutiefst unglücklichen Menschen ab (Tentacion wuchs unter elterlicher Vernachlässigung auf, wurde früh gewalttätig, saß mehrfach im Gefängnis ein und leidet seit vielen Jahren unter schweren Depressionen), sondern stellt auch einen Meilenstein der experimentellen Soundcloud-Rapszene dar.

Doch im Gegensatz zu Sparten-Zeitgenossen wie Lil Uzi Vert, Lil Yachty, Ugly God oder Ski Mask the Slump God fällt es schwer, X einer bestimmten Sparte zuzuordnen. Der über lose Soundcloud-Singles bekannt gewordene Floridaner tobte sich in der Vergangenheit in allen möglichen Bereichen aus, produzierte stumme BoomBap-Musik, R'n'B-Jams, Trap-Banger und bestialische, wütende Brüllstücke auf übersteuerten und menschenfeindlichen Industrial-Beats, die fast schon an die Death Grips erinnern. Ein Post-Internet-Rapper und eine äußert relevante Persönlichkeit für die Entwicklung der brandaktuellen Hip Hop-Strömungen: Nicht wenige sprechen ihm zu, einer der aufkommenden Stars zu sein, sehen in ihm das Charisma und Potential einer großen Persönlichkeit in der Rapszene.

Die Reaktionen auf die Platte fielen derartig laut und gemischt aus, dass es schwer fällt, all die Kontroversen zu ignorieren. Kendrick Lamar selbst pries das Album in hohen Tönen auf Twitter, viele Kritiker ließen aber keine Gnade walten. Und beide Seiten haben Recht, gewissermaßen.

Der leichteste Kritikpunkt wäre an den Lyrics anzusetzen: Ja, XXXTentacion schreibt wie straight outta Mittelstufenpoesie, als habe er gerade das erste Mal "Numb" von Linkin Park gehört und nun das Bedürfnis, seine Emotionen gleichzeitig breitest möglich anwendbar und überkonkret aufzuschreiben. Die nebeligen, etwas zu pathetischen und "edgy" Formulierungen auf Titeln wie "Jocelyn Flores" oder "Save Me" erinnern an unausgereifte Zeilen von Hopsin oder Logic, die nicht zu unrecht Einiges an Hohn und Spott damit ernteten.

Doch es wäre zu einfach, es damit abzutun. Hier drängt sich wie so oft, aber noch ein wenig deutlicher, die Diskussion von Roland Barthes auf: Wie relevant ist die Persönlichkeit des Autors für das Werk? Gerade im Hip Hop, vielleicht der autorenfixiertesten und authentischsten Musikrichtung, lässt sich nicht ausblenden, dass die öffentliche Persönlichkeit des Künstlers einen klaren Einfluss auf die Rezeption der Musik ausübt. Bedeutet im Klartext, dass all die Details und Fakten, die im allgemeinen Bewusstsein zu X vorhanden sind, einspringen und die Lücken der Texte auffüllen.

Der große Unterschied zu all den pathetischen, überdrehten Kitschrappern besteht allerdings im Framing der Musik. Die Ausstrahlung ist fragil, zerbrechlich, schamvoll und ängstlich. Er kommuniziert allein über Stimmfarbe und Instrumentierung mehr Emotionen, als die Formulierungen tragen könnten. Und auch wenn die Lyrics in der Tat keiner objektiven Bewertung standhalten, funktioniert das Gesamtbild. "17" fühlt sich authentisch, nahbar und echt an.

Einen ausschlaggebenden Faktor hierzu tragen auch die Instrumentals bei. Völlig reduziert auf isolierte Gitarren und stumme Perkussionsreste fühlt das Album sich komplett leer und verloren an. Nichtsdestotrotz funktionieren die skeletthaften Melodien auf Titeln wie "Revenge" oder "Save Me" erschreckend gut. Eine subtile Mischung aus Emo und Shoegaze, aber stets geschmackvoll und zurückhaltend genug, um XXXTentacions Performances zwischen Apathie und Verzweiflung nicht zum Kitsch überborden zu lassen.

Lediglich einmal gibt es dabei Unterstützung, Trippie Redd gibt auf "Fuck Love" seine eigenartige Gesangsstimme zum Besten und lässt eine der psychedelischsten, fremdartigsten Nummern des Tapes entstehen. Der große Hit der Platte ist dabei zweifelsohne "Revenge" - geradezu umweglos hymnenhaft könnte dieser Titel mit einem passenden Musikvideo sogar ein einschüchterndes Crossover-Potential an den Tag legen. Songs wie "Depression & Obsession", "Orlando" und "Save Me" machen in der Sparte alles richtig, viele Anspielstationen wirken aber auch zu kurz, zu reserviert und zu unzugänglich, um einen bleibenden Eindruck zu machen.

Das ist durchaus ein großes Problem, denn mit der sowieso schon absurd kurzen Länge des Tapes bleibt am Ende gerade einmal gutes Material im Wert einer knappen EP. Dass dieses Material dafür einen ziemlichen Bruch in der Hip Hop-Landschaft darstellt, extrem relevant und innovativ klingt und einen nachhaltigen Einfluss auf die kommende Generation Rapper haben wird, macht die Bewertung eines solchen Werks nicht unbedingt leichter.

Am Ende des Tages kann man "17" vielleicht am besten als Erfahrung bezeichnen. Eine finstere, verstörende und gerade durch Schwächen und Limitierungen des Künstlers zu einer einzigartigen Form auflaufende Erfahrung. Es wird klar, dass XXXTentacion jung ist und noch keine endgültige Form seiner Musik gefunden hat. Auch langfristig wird es den Anforderungen an ein Album auf vielen Ebenen nicht gerecht.

Doch in Zeiten, in denen Persönlichkeit, Innovationskraft und Vibe gefragt sind, sollte man "17" definitiv nicht unterschätzen. Auch wenn man dem Album nicht kompromisslos das Prädikat 'Gut' verleihen kann, zu schwerwiegend sind fehlende Konstanz und lyrische Schwäche des Projekts, stellt es doch eines der spannendsten Releases des Jahres und eine wichtige Wegmarke der aktuellen Rap-Entwicklung dar. Außerdem lässt sich hoffen, dass "Revenge" noch richtig, richtig groß wird; dieser Song ist nämlich vorbehaltlos absolut fantastisch.

Trackliste

  1. 1. The Explanation
  2. 2. Jocelyn Flores
  3. 3. Depression & Obsession
  4. 4. Everybody Dies in Their Nightmares
  5. 5. Revenge
  6. 6. Save Me
  7. 7. Dead Inside (Interlude)
  8. 8. Fuck Love Feat. Trippie Redd
  9. 9. Carry On
  10. 10. Orlando
  11. 11. Ayala (Outro)

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9 Kommentare mit 14 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Dieser Yannik wurde wohl von diesem r1er in den laut.de Keller gesperrt und muss relevante Reviews produzieren. :ill:

    @Mundi: Schon gehört und falls ja, lohnt es?

  • Vor 6 Jahren

    Werde ausnahmsweise ausführlicher darauf eingehen, noch während dem ersten Durchlauf.

    Zu Anfang gibt es einen kurzen Erklärungs-Skit, der erste richtige Track des Albums ("Jocelyn Flores") ist stabil, aber noch kein Hightlight. Langsam, melancholisch-leicht baut XXX mit ein wenig Gesang, Humming und Hintergrundsample Stimmung auf, auf jeden Fall keine schlechte Eröffnung, ich bezweifle allerdings, dass ich den Track oft hören werde. "Depression & Obsession" dann noch gitarrenlastiger und ebenfalls eher locker und leicht im Klang, ganz im Gegensatz zur Thematik, die entsprechend dem Titel schwermütig ausfällt. Ähnlich wie die erste Nummer haut mich das nicht um, ist aber auch alles andere als schlecht. Fast schon Lagerfeuermusik.
    Mit "Everbody dies in their Nightmares" dann der erste Beat, der mich mehr packt und noch von dem ganzen Singsang gelähmt, überrascht mich der recht schnell gerappte Part. Der Song ist allerdings nur 1:36 lang, also eher sowas wie ein kleiner Weckruf nach den ersten beiden Titeln. "Revenge" knüpft dann leider nicht eben daran an, sondern wechselt wieder zurück zum Modus Singsang - was hier als Begriff nicht abwertend gemeint sein soll, absolut nicht. Kannte "Revenge" davor auch schon und finde es stark, die Position in der Tracklist gefällt mir dennoch nicht. Ich bräuchte solangsam wirklich was Härteres, verliere sonst bald die Motivation.
    Da kommt "Save Me" wie gerufen, als könnte der Knabe meine Gedanken lesen, doch er tut genau das, wonach ich nicht gefragt habe, es wird fast noch ruhiger. Nichtsdestotrotz bisher mein Lieblingstrack, denn das erste Mal dringt der Sound wirklich tief zu mir vor. Ich stelle mir keine Lagerfeuer mehr vor, sondern unerbitterliche Ozeane, die dem Protagonisten die Luft rauben, ihn dazu bringen die Hand hilfesuchend gen Oberfläche zu strecken.
    Das Scheint jedoch nicht geholfen zu haben, denn nun sind wir bereits "Dead Inside". Durchaus gefühlvoll vorgetragen, doch es fällt mir schwer zwischen diesen ganzen Dingern die Trauben zu picken, die mir wirklich bekommen. Bisher fühlt es sich größtenteils eher nach einer Matsche an, weiteres käme vielleicht mit ein paar mehr Durchläufen.
    So kommen wir also zu "Fuck Love" und ich sehe, dass Trippie Redd einen Part bringen wird. Hoffentlich endlich wieder ein Raptrack, habe bald genug von XXXs Gesang - wenn er doch wenigstens Mal geshoutet hätte oder so. Aber Nein, es plätschert und plätschert, obgleich die Stimme derzeit wenigstens von jemand anderem kommt und somit ein wenig Abwechslung bietet. Das Ding ist eigentlich auch mehr ein Trippie Redd Solo, aber schön, dass er die Bühne bekommt.
    "Carry On", wieder liest er meine Gedanken, viel Weg bleibt mir allerdings nicht mehr zurückzulegen, von daher alles easy. Trotzdem nicht der Rede wert, wem der Sound bis zu dem Punkt gefiel, der wird auch das hier feiern. Im Großen und Ganzen ist das halt wirklich fast schon ein Country Rap Balladen Album, um es Mal sehr überspitzt und vereinfacht zu formulieren.
    Das tiefe Klavier in "Orlando" weiß mir zu gefallen und erinnert fast schon an die gute Seite der Popmusik. Definitiv ein angenehmer vorletzter Track.
    "Ayala" erzählt dann noch kurz von gebrochenen Herzen, aber naja, wirklich hängengeblieben sind nur "Revenge", "Save Me" und dass Trippie Redd einen Gastpart hatte.

    Würde bisher ebenfalls 3/5 mit Tendenz zu 4 geben, wenn man auf ein Gesangsalbum von ihm gewartet hat oder gerade selbst unglücklich verliebt ist. Der erste Kommentar unter "Olando" fasst es wirklich gut zusammmen:

    "A depression bomb.", steht dort. Nur von dem zweiten Teil seiner Aussage bin ich noch nicht überzeugt. "Listening to this song at 4:37am I feel like I was a picasso picture immersed in the abyss."

    Aber wer weiß, vielleicht hatte ich schlichtweg nicht die passenden Erwartungen für dieses Album.

  • Vor 6 Jahren

    Album ist i.O.
    Hat ein paar echt gute Songs wie z.B. "Save Me" oder "Orlando". Das ganze Ding ist etwas melancholischer aufgebaut. Würde der Bewertung 3/5 hier zustimmen.