laut.de-Kritik

2000er-Goth als Cyberpunk-Balladen.

Review von

Grimes sagte kürzlich über Yeule, sie sei die verlässlichste neue Stimme der futuristischen Musik. Ein Shoutout, der Sinn ergibt, immerhin tragen die beiden die Fackel für klanglichen Internet-Age-Surrealismus in verschiedenen Generationen. Ihr neues Album bleibt dem treu: Sie übersetzt nihilistische Tiraden aus der Tumblr-Ära in kybernetische Moodpieces, mal vermengt mit Glitch und Electronica, mal vermengt mit Hyperpop-Anleihen und Danny L Harle-Produktion. "Glitch Princess" ist ihr Balladen-Album, auf dem sie schmerzhafte Introspektionen über Körper, Liebe und Geschlecht auf eine Cyberpunk-Interpretation von 2000er-Goth-Pop spielt.

Themen, die sie ein bisschen plump auf dem ersten Song "My Name Is Nat Cmiel" zusammenfasst: Vielleicht muss man ein wenig ob der Poetry Slam-Ästhetik die Augen rollen, wenn sie auf Ambient-Texturen Spoken Word-Selbstzuschreibungen vorliest. Vielleicht, weil man anfangs eine Persona erwartet, wenn sie durch so viele Filter spricht, aber Yeules ganzes Mojo ist ja: Die Filter, die Distanz-Ebenen, das sind ihre Ausdrücke ihres Selbst. Sie lebt in Automodifikation und Verfremdung um so wahrer auf - und wenn man genau hinhört, seziert sie ihr Innerstes in diesen Zeilen: "I like to eat, but I don't like it when it lingers on my body / I like to take up as little space as possible" zum Beispiel, oder "I like touching myself / And I like being far away from my own body". Die gnadenlose Selbstzerbröselung auf Tape kann nur dadurch entstehen, dass Yeule sich von ihrer Körperlichkeit und Stimmlichkeit dissoziiert. Die Abspaltung vom Selbst erlaubt es ihr, dieses Selbst zu erkunden.

Dadurch entsteht ein Oversharing-Strom, mit dem man klarkommen muss. Yeule spricht klarer und weniger nebulös als noch auf dem Vorgänger "Serotonin II". Deswegen gibt es zwar weniger außerirdischen Electronica-Irrgarten, dafür fällt es aber viel einfacher, zu ihren Grundideen durchzudringen: "Flowers Are Dead" deklamiert Emo-Poesie über Synth-Hörner, die klingen, als würden sie gerade über Tarkowskys verfilmtes Solaris heulen, "I don’t want to be in my body" wiederholt sie wieder und wieder. Das Gemeine an Emo-Poesie ist ja die Banalität ihrer schmerzlichen Wahrheit. Die Doppelbewegung von Text und Sound gibt deswegen simplen Aussagen ihre verlernte Schwere zurück.

Yeule macht sich generell oft einen Spaß daraus, sich an die Grenze des Uncanny Valleys zu stellen. Das passiert manchmal allein schon dadurch, wie sie ihre Stimme variiert und manipuliert. Viele Layers, alle mit schwerfälligen und disharmonischen Effekten überlagert, Flanger, Echos, Delay, sie klingt artifiziell. Und dann prallt das Artifizielle auf die Menschlichkeit der Texte. Auf "Eyes" singt sie dann "can I burn out of my real body", dabei klingt sie ätherisch, während sie mit kaum noch menschlicher Stimme Kinderlieder-Melodien über Glitch-Pop singt. Ihre Performance gibt den Eindruck eines Vocaloids, der bei den ersten Gehversuchen in menschlicher Emotion immer wieder auf die selben Gefühle stößt.

Das passt dazu, wenn sie auf dem Standout-Song "Don't Be So Hard On Your Own Beauty" über einen Zusammenbruch und einen Albtraum auf dem Badezimmerboden singt, akustische Gitarren erinnern an Grimes "Delete Forever", aber Yeule verzichtet auf die apokalyptische Stimmung. Hier geht es um Dissoziation, und plötzlich erklären die thematischen Schwankungen der vorigen Songs ihr langsames Tempo, ihre zerrütteten Zugang zum Selbst. "Glitch Princess" versucht sich an analytischer Introspektion, driftet aber immer wieder in die Verdrängung, manchmal bis an die Grenze der Panikattacke. Motive der Selbst-Spaltung, die von der maschinellen Ästhetik aufgefangen werden.

"Fragments" und "Bites On My Neck" steigern diese Beklemmung zur letzten Sprachlosigkeit. "Fragments" zunächst, indem Yeules kurzer innerer Monolog, ein zur Unverständlichkeit gefiltertes Murmeln, einer längeren instrumentalen Passage weicht. Hier bauscht sich für einen kurzen Moment die reine Wucht von Yeules EDM-Produktion auf, die düster wie das Weltall klingen kann aber klar wie die Sterne. Ein kurzer Bewegungsschub, der sich auf "Bites On My Neck" fortsetzt. Mit Ko-Produktion von Danny L Harle und Mura Masa entsteht ein Song, den man als nostalgisches Echo-Stück zum Großraum-EDM der 2010er sehen könnte. Ein grandioses Synthriff eröffnet den Refrain, ganz leise kreischen Noise-Elemente im Soundbild und es klingt wie Sonnenaufgang über dem Tomorrowland.

Ein kurzer Euphorie-Einschub, der folgerichtig nur von einer Rückkehr in die druckerschwarze Depression abgelöst werden kann. "It's a fucking mess", konstatiert sie auf "Mandy", dann "I can't do anything right". Zurück in die Dissoziations-Hölle, klaustrophobische Synthesizer, zittrige Hi-Hats, eine Alarmsirene, dann abschließend noch ein dekonstruierter Club-Beat über einem sehnsüchtigen Heulen nach einer Freundin.

"Glitch Princess" ist ein erschütternd schwerfälliges Album, es macht weitaus weniger Spaß als der Vorgänger, aber den wollte es auch nie machen. Das Ding ist nämlich: Egal, wie Sci-Fi Yeule ihre hier dargestellten Erfahrungen auch zeichnet, sie macht es ernüchternd klar, dass sie dieses Mal nicht in Fantasien schweift. Sie spricht über Erfahrungen, die so viele Menschen teilen. Körperliche Dysmorphien, Depressionen, Angststörungen. Der Schrecken dieses Albums sind eher, wie natürlich all diese Themen sich in die Klangkulisse eines dystopischen Endzeitfilms übersetzen lassen.

Trackliste

  1. 1. My Name Is Nat Cmiel
  2. 2. Electric
  3. 3. Flowers Are Dead
  4. 4. Eyes
  5. 5. Perfect Blue (feat. Tohji)
  6. 6. Don't Be So Hard On Your Own Beauty
  7. 7. Fragments
  8. 8. Too Dead Inside
  9. 9. Bites On My Neck
  10. 10. I <3 U
  11. 11. Friendly Machine
  12. 12. Mandy
  13. 13. The Things They Did For Me Out Of Love

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