laut.de-Kritik

Immer auf der Jagd nach dem nächsten Hit.

Review von

Die Jungs aus Dresden sorgen schon seit einiger Zeit für ordentlich Stimmung in den Partykellern deutscher Studentenwohnheime. Die Postleizahl-Crew 01099, bestehend aus Gustav, Paul, Zachi und Dani, brachte es mit ihren Hits "Durstlöscher" und "2000er" zu rasanter Anerkennung in der deutschen Hip-Hop-Szene. Auch wenn der Elektronik-Pop-Rap-Cocktail eher ein Ausreißer des Genres darstellt, legt er mit Ski Aggu, BHZ, $OHO BANI gerade eine prominente Entwicklung hin. Bereits auf dem Debüt "Altbau" bediente sich das Quartett an schnellen Beats und jeder Menge Einflüssen aus der House-, Techno- und Trance-Szene, umhüllt von jugendlichem Leichtsinn und einer monotonen Simplizität, die an freestylende Kiffer erinnert.

Für das zweite Projekt "Blaue Stunden" bleiben sie ihrer Linie treu, stets auf der Jagd nach dem nächsten Hit. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass die Songs mit dem größten Hit-Potential schon Monate vor der Albumveröffentlichung erschienen sind. "Unsinn", "August", "Anders" mit Ski Aggu oder "Wahnsinn" mit RIN ebneten den Weg für das Album-Rollout. Gleichzeitig kommt das Gefühl auf, dass mit den bereits bekannten Singles alles erzählt wurde, was es zu erzählen gibt.

Was haben die Jungs eigentlich noch zu erzählen? Tatsächlich nichts Besonderes. Es sind die alltäglichen Dinge aus dem Leben junger Erwachsener, gefangen in einer Großstadt, in der die nächsten Termine Weißweinsaufen in einer Altbauwohnung und der verkaterte Besuch einer Uni-Vorlesung sind. Dinge, die man in dem Alter halt so treibt. In "Blaue Stunden" wirken sie aber noch ein Stück nachdenklicher.

Nach einer durchtriebenen Nacht auf "Tempo", in der man sich gemeinsam mit seinen Freunden wieder jegliche Sorgen und Probleme aus dem Kopf geprügelt hat, fährt man morgens schweigend und zugedröhnt mit der Straßenbahn nach Hause und beobachtet den heller werdenden Himmel. Blaue Stunde beschreibt hierbei die Phase, in der morgens die Dunkelheit schwindet und die Stadt langsam wieder vom Tageslicht erleuchtet wird. Die Sonne ist noch nicht über den Horizont hinaus, die Stadt liegt still und es erfasst einen das Gefühl der Traurigkeit und Nachdenklichkeit. Und hier setzen die restlichen Songs des Albums an.

Auf "In Der Nacht" wummert der Kopf, die Ohren sind halb taub und man sieht sein mit Augenringen verzogenes Gesicht in der Reflexion des Linienbusfensters. Was genau Trettmann in der Hook dazu beitragen wollte, erschließt sich mir nicht: "Und die Fam am Start / Alle analog, Kodak / Boom, boom, chack / Sag mir, wie willst du das toppеn?". Vielleicht sollte der alte Herr zu dieser Uhrzeit lieber mal ins Bett gehen.

In ruhigen und einsamen Momenten plagen einen auch die Gedanken über Freundschaften und Beziehungen, die auseinander gingen, ohne ein zufriedenstellendes Ende gefunden zu haben. Wie ein Film ohne Happy End, Bekanntschaften kommen und gehen ("Selbe Jugend"). Mit RIN reden sie über Hoffnungslosigkeit, Liebeskummer und treiben sich gegenseitig in den "Wahnsinn". Das Gefühl, verloren zu sein, und einen Sinn in der jugendlichen Sinnlosigkeit zu finden, saufen 01099 einfach weg, doch die Sorgen kehren in der Ausnüchterung wieder zurück ("S1"), ebenso wie in der leeren Wohnung ("August"), und gerade in der Großstadt, in der man witzigerweise nie wirklich alleine ist.

Mit ihrem Genre-Bruder Ski Aggu verbildlichen sie auf "Anders" den klischeehaften Berliner Lifestyle, darunter Flohmarktbesuche, Vintage-Markenklamotten und wilde Techno-Feten. "Neustadt" nutzen sie als Shout-Out an ihre Hood, auf "Cider" feiern sie mit $OHO BANI im Disco-Funk-Style eine kompromisslose Beziehung und auf "Kreta 4.0 (Polonaise)" liefern 01099 einen schrecklichen "Part mit dem Thema Party". Da die Jungs sich nun zur Riege erfolgreicher deutscher Musiker zählen dürfen, stellen sie natürlich auch klar, wie humble sie noch sind und welche Weisheiten sie auf dem Weg an die Spitze gelernt haben. "Weil ich lauf' durch unser Viertel, seh' die Häuser und die Straßen / Und ich werd' ein bisschen traurig, weil wir nicht mehr so oft da sind / Ey, dafür spiel'n wir Shows und machen Mucke mit der Family", heißt es auf "Besser Wär" gefolgt von pseudo-philosophischen Kalendersprüchen.

01099 wechseln auf "Blaue Stunden" zwischen Party-Nonsens und traurigen Tagebucheinträgen, wobei Letzteres etwas erfrischender und authentischer wirkt. Sie erzählen keine großen Geschichten, geben aber in einigen Liedern ein durchaus zu Herzen gehendes Gefühl wider. Oft plätschert die Musik der Dresdner Gruppe aber eher vor sich hin. Der lustlose, vokale Einsatz samt anspruchslosem Inhalt sticht vor allem dann hervor, wenn die Produktion an einen kraftlosen "Chill House Vibes 10 Hours"-Mix erinnert. Wenn dann das Saxophonsolo auf "S1" auftaucht, oder "Matin" eine gemütliche Morgenatmosphäre inszeniert, fragt man sich, warum 01099 nicht mutiger mit ihren Sound umgehen. Auch nach dem zweiten Projekt heißt es: Wenn man ein Lied von 01099 gehört hat, kennt man praktisch alle.

Trackliste

  1. 1. Tempo
  2. 2. In Der Nacht (feat. Trettmann)
  3. 3. Selbe Jugend
  4. 4. Wahnsinn (feat. RIN)
  5. 5. S1
  6. 6. Herz Ist Kalt
  7. 7. Anders (feat. Ski Aggu)
  8. 8. Matin (feat. Verifiziert)
  9. 9. Alles War Gelogen
  10. 10. Neustadt
  11. 11. Unsinn
  12. 12. Cider (feat. $OHO BANI)
  13. 13. August
  14. 14. Kreta 4.0 (Polonaise)
  15. 15. Besser Wär

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