laut.de-Kritik
Bei dem Lärm kann man weder sehen noch hören.
Review von Franz MauererEiner meiner Freunde, ich kenne ihn seit knapp 20 Jahren, war schon im Alter von 13 Jahren schwerhörig. Wenn man ihn anspricht, kommt immer, immer, immer "Hä?" zurück, völlig egal, ob es Hintergrundgeräusche gibt oder nicht. So kenne und liebe ich ihn und dementsprechend war ich mir sicher, in ihm ca. 2010 die perfekte Begleitung für ein Konzert von A Place To Bury Strangers im Berliner Magnet gefunden zu haben. Schließlich gab die Band, etwas kindisch, gar trotzig, an, "NY's loudest band" zu sein, konnte sich zeitgleich aber ihre Großtat "Exploding Head" ans Revers heften. Jung und dumm musste man da also hin.
Meine nächste Erinnerung ist, wie wir beide aneinanderklammernd verzweifelt versuchen, Richtung Raucher-Außenbereich zu entkommen, bevor uns sämtliche Kapillaren im Kopf platzen und die Lungen kollabieren. Swans war ein Scheiß dagegen, maximal Mondo Generator hat mir so starken körperlichen Schmerz zugefügt. Das Konzert war gar nicht sonderlich gut, da kam keine "Erfahrung" auf durch durchdringenden Bass oder Ähnliches. Es war einfach nur abartig, dümmlich laut. Großartig.
Seitdem kamen und gingen Bandmitglieder zu und von A Place To Bury Strangers in einem nie enden wollenden Reigen, für "See Through You" sind wir bei der Formation Bandleader Oliver Ackermann + die Geschwister Fedowitz (eine davon Ackermanns Frau) an den Drums und dem Bass angelangt. Damit fehlen Ackermann Kompagnons wie Dion Lunadon und Robi Gonzalez, die wie er alles spielen konnten. Das hört man im Sound, der weniger Shoegaze-Kakophonie und insgesamt deutlich straighter ist, mit klassischen Strukturen und Wave als Blickwinkel. Das Ergebnis sind Songs wie "Anyone But You" oder "My Head Is Bleeding", die "gefällig" sind, ohne prinzipiell negative Konnotation. Auf "See Through You" dominieren einfache Songideen, die gerne die Ausfahrt Richtung Noise nehmen, aber doch berechenbar bleiben in ihrem Ablauf. Das muss nichts Schlechtes sein, nicht jeder mochte die Metallgewitter früherer Scheiben.
Dynamik entsteht nun mal vor allem in Gerüsten, und mit "Hold On Tight" kann man sich immer noch problemlos die Gehörgänge zerfetzen, es knarzt nach wie vor mehr als in einer Scheune bei Gewitter. Überhaupt ist die Single ein besonders gelungenes und flottes Beispiel für den neuen Sound der Band. Die Fedowitze spielen relativ trocken und primär rhythmisch interessiert, was das Zeug hält, darüber macht der Ackermann eine Menge Krach ("Dragged In A Hole").
Für 52 Minuten ist das ein recht simples Rezept, aber Krachmachen kann der Ackermann halt schon richtig gut, und Drum Machines kann er mittlerweile auch brauchbar bedienen ("Ringing Bells"), alles geht ununterbrochen nach vorne und in die Beine. Was allerdings auf den Senkel geht, ist Ackermanns sonore Stimme, die an sich gar nicht schlecht zu den Songs passt, als Hintergrundgemurmelschrei hinter 300 Dezibel Gitarrenwand aber geringeren Ansprüchen genügen musste als nun in ganz klassisch strukturierten Songs mit Refrain. "I Disappear (When You Are Near)" ist noch so ein Song, der nur um einen schönen Akkord gelegt wurde; der ist aber wirklich schön und das Drumherum ist souverän, aber nicht selbstgefällig und handwerklich sehr kundig arrangiert. Ein bisschen hört sich "See Through You" immer, an manchen Stellen (dem Albumhighlight "Broken") sogar sehr, nach der Spielerei eines einzelnen Lärminteressierten an, der dafür eine rhythmische Grundlage bestellt hat. Die dafür notwendige Freiheit könnte der Grund für die Gründung des eigenen Labels Dedstrange sein, aber genau diese Spiellust und wurschtige Einstellung macht das Album zum großen Teil interessant.
Die Suhlerei im eigenen Soundteppich geht auf dem langsamen "I'm Hurt" daneben, weil die Transzendenz früherer Werke qua Gitarrenanzahl fehlt und die Soße zu langsam läuft, um mitzureißen. Dadurch erkennt man erst, wie sehr Ackermann auf dem Rest des Albums die Lust am Tanzen entdeckt hat und wie gut er daran tat, Rhythmen statt schmerzverzerrter Ausflüge ins Soundnirvana zu liefern. A Place To Bury Strangers entlassen den Hörer mit dem zweiten Ausreißer "Love Reaches Out", das schon im Titel unbedingt an eine andere Band erinnern will. Das Ergebnis langweilt aber abgesehen vom hübschen Gitarrenspiel.
Die eine Formel funktioniert gut, die "Holograms"-EP aus dem letzten Jahr versprach eigentlich aber mehr Abwechslung. Sei's drum, als Gesamtkunstwerk ist "See Through You" eher in Dosen zu genießen, die sind dann aber für sich genommen schmackhaft und einzigartig, wenn auch geballt zu homogen und genau in den wenigen Experimenten nicht entschlossen genug. Das Album ist für Ackermann jedenfalls ein guter Ausgangspunkt, um weiter an der perfekten Mischung aus Noise und Melodie zu forschen.
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