laut.de-Kritik
Die Metal-Oper in der Zeitmaschine.
Review von Yan VogelVon dem Gefühl überwältigt, vor ca. 80.000 Metalheads in Wacken zu konzertieren, beerdigte Tobias Sammet bei diesem denkwürdigen Event 2011 sein Avantasia-Projekt. Doch nach getaner Arbeit mit den Happymetal-Barden Edguy und ihrem letzten Album "Age Of The Joker" brodelten die Ideen für ein weiteres Metal-Epos. Schnell war klar, dass es mit Avantasia in die nächste Runde geht.
Über Zeit verfügt der Mastermind eigenen Aussagen zufolge zur Genüge, schließlich geht er keinem geregelten Dayjob nach. Somit kann er mit der neuen Platte dem Metalopera-Gesamtkunstwerk ein paar innovative Pinselstriche hinzufügen.
"The Mystery of Time" beschreibt die Geschichte eines Wissenschaftlers zwischen Agnostizismus und Spiritualität und seine Versuche, der Zeit ein Schnippchen zu schlagen. Auch wenn die Story im viktorianischen England angesiedelt ist, lassen sich natürlich Querverweise zu heutigen Diskussionen erkennen.
Das gewohnt melodiöse Songwriting wird qualitativ mit bislang im Hause Sammet selten gehörten metrischen und harmonischen Finessen angereichert. Auch das Klangbild erhält durch die Mitwirkung des Babelsberger Filmorchesters opulentes Breitwandformat. Somit spielt man in puncto Sound in derselben Liga wie Blind Guardian auf "At The Edge Of Time".
In Erscheinung tritt der klassische Klangkörper in den meisten Songs als akzidentielles Beiwerk (Riffdopplung oder atmosphärische Untermalung) oder als Intro-Collagen im Stile moderner Filmkomponisten wie Hans Zimmers ("Savior In The Clockwork"). Richtig zur Geltung kommt das Orchester im letzten Song, dem szenisch komponierten "The Great Mystery". Hier evoziert Sammet dramaturgische Momente in klassisch-romantischer Tradition.
Das Stammpersonal um Gitarrist und Produzent Sascha Paeth, Falsett-Granate Michael Kiske und Hardrock-Altmeister Bob Catley (Magnum) bekommt Zuwachs u.a. durch Biff Byford (Saxon), Eric Martin (Mr. Big), Joe Lynn Turner (Ex Deep Purple) und Ronny Atkins (Pretty Maids), die allesamt in ihren maßgeschneiderten Songs brillieren.
Das Spektrum reicht von radiotauglichem Rock ("Sleepwalking") über den gekonnten Aufwasch speediger Helloween-Großtaten ("Where Clock Hands Freeze", "Dweller In A Dream") bis hin zu orchestriertem Musical-Pathos ("The Great Mystery"). Auch die obligatorische Hardrock-Ballade ("Whats Left Of Me"), der bekannte Bombast-Metal ("Spectres", "Black Orchid") und klassisches Headbanger-Futter ("Invoke The Machine") werden von Sammet stets perfekt in Szene gesetzt und stehen qualitativ auf einer Stufe mit der The- ScarecrowTrilogie.
Kurzum: Von feingeistigem, neoklassischem Griffbrettwahnsinn bis hin zu von schwieligen Bauarbeiterhänden malträtierten Axtschrubbereien kredenzt Sammet einen Parforceritt durch sein bisheriges Schaffen und geizt nicht mit Neuerungen und Überraschungen.
1 Kommentar
Ich hab bis jetzt erst kurz reingehört. Der Einfluss des echten Orchesters ist mir dabei besonders aufgefallen. Das hört sich einfach besser an als früher.