laut.de-Biographie
Barclay James Harvest
So kann die Namensgebung einer Band auch funktionieren. "Wir beschlossen, alle Ideen auf Papierstückchen zu schreiben, sie zusammenzufalten, in einen Hut zu legen und dann zu ziehen. Bei jedem sagten wir 'Nein, das geht auf keinen Fall!' und warfen die Zettel ins Feuer, bis nur noch drei übrig blieben. Wir sagten uns: 'Das ist es. Wir werden nehmen, was auch immer zustande kommt'", erinnert sich John Lees in einem Interview. Auf den Zetteln standen die Worte Barclay, James und Harvest.
Die Band kommt 1966 zustande, als Les Holroyd (Bass, Gesang) und Mel Pritchard (Schlagzeug), Mitglieder einer Combo namens Heart And Soul And The Wickeds, auf John Lees (Gitarre, Gesang) und Stuart "Woolly" Wolstenholme (Keyboards, Gesang) treffen, die bei den Sorcerers spielen. Sie alle stammen aus Oldham im Nordwesten Englands und musizieren zunächst unter dem Namen The Blues Keepers.
Ein lokaler Geschäftsmann nimmt sich ihrer an und steckt sie 1967 in ein Landhaus. Hier leben und spielen sie gemeinsam ein halbes Jahr lang. "Ich glaube, die Veränderung in unserer Musik kam daher, dass wir mitten auf dem Land lebten, so weit weg von allem", erinnert sich Holroyd. In dieser Zeit entsteht ein Großteil der Lieder, die auf dem Debütalbum landen.
Doch bis dahin ist der Weg noch lang. Wolstenholmes Interesse für klassische Musik führt zur Anschaffung eines Mellotrons, mit dem es möglich ist, orchestrale Klänge nachzubilden. Barclay James Harvests Musik ist ungewöhnlich wie das Instrument, doch ihre erste Single "Early Morning" macht 1968 den DJ John Peel auf sie aufmerksam. Sie erhalten einen Plattenvertrag bei einem neu gegründeten Unterlabel von EMI, das den treffenden Namen Harvest trägt.
Der Bombastrock von Emerson, Lake And Palmer, King Crimson oder Pink Floyd verbucht Anfang der 70er Jahre große Erfolge, BJH gelingt es aber nur bedingt, auf diesen Zug zu springen. Für das selbst betitelte Debütalbum 1970 und die anschließende Tour verpflichten sie ein Orchester, was horrende Rechnungen zum Ergebnis hat. Um sie zu begleichen, bringen sie nach dem geglückten Zweitling "Once Again" (1971) uninspiriert kommerzielle Singles und das misslungene Album "Baby Barclay Harvest" heraus. 1972 finden sie sich ohne Plattenvertrag auf einem Schuldenberg wieder.
1973 wagen sie einen Neustart bei Polydor. Die Doppel-LP "Barclay James Harvest Live" (1974) schafft es zum ersten Mal in die Charts und etabliert die Band als Bühnenattraktion. Die Studioalben "Time Honoured Ghosts" (1975) und "Octoberon" (1976) knüpfen an den Erfolg an. Während ihr Stern im Heimatland sinkt, erfreuen sie sich im deutschsprachigen Raum immer größerer Beliebtheit. "Gone To Earth" (1977) platziert sich in den deutschen Charts und führt zu einer Neuveröffentlichung des ganzen Back-Katalogs, einschließlich einer Soloplatte Lees', die seit 1972 im Keller der Plattenfirma schlummerte.
1979 entscheidet Wolstenholme überraschend, die Band zu verlassen. Nach dem Soloalbum "Maestoso" (1980) zieht er sich nach England auf eine Farm zurück, während seine ehemaligen Kollegen mit "Eyes Of The Universe" ihre bis dahin erfolgreichste Platte veröffentlichen. Den Höhepunkt ihrer Popularität erreichen sie im August 1980, als sie vor 175.000 Leuten auf den Treppen des Reichstages in West-Berlin spielen. Das eigens komponierte "Life Is For Living" gerät zum Hit, der Mitschnitt des Konzerts steigt 1982 als Nummer eins in die deutschen Charts ein.
Mit einem kommerzielleren Sound veröffentlichen BJH zwei weitere Studioalben, bevor sie sich Mitte der 80er Jahre eine Auszeit gönnen. Als sie sich 1987 mit "Face To Face" ihrer Wurzeln besinnen, ist das Interesse an ihnen weitgehend verflogen. Immerhin gelingt es ihnen, erneut in Berlin aufzutreten, diesmal im Osten. Vor 170.000 Zuschauern spielen sie im Treptower Park, ein Ereignis, das die 1988 erschienene Platte "Glasnost" dokumentiert.
Die 90er Jahre stehen einerseits für die Pflege der Tradition, andererseits für eine Welle von Klagen, die über die Band herein bricht. Nach dem Album "River Of Dreams" (1997) zerstreiten sich die Mitglieder endgültig. Daraufhin bilden sich zwei Fronten: Holroyd und Pritchard auf der einen Seite, Lees auf der anderen. Doch alleine ist Lees nicht. Mit dem neuen Bandnamen BJH Through The Eye Of John Lees bewegt er das 1980 ausgestiegene Gründungsmitglied Wolstenholme zu einer Zusammenarbeit für das Studioalbum "Nexus" (1998).
Im neuen Jahrtausend kümmert sich Lees um die digitale Überarbeitung und Veröffentlichung alter BJH-Alben, bis ihm Holroyd 2002 gerichtlich das Handwerk legt und mit Schlagzeuger Pritchard die Gegenband BJH featuring Les Holroyd gründet. Sie nehmen das Album "Revolution Days" auf, gefolgt von einem Livemitschnitt 2003.
Es sind die letzten musikalischen Zeugnisse Pritchards, der 2004 an Herzversagen stirbt. Die Bandaktivitäten gehen jedoch weiter. Wolstenholme veröffentlicht 2004 und 2005 drei Alben unter dem Namen Maestoso, Holroyd begibt sich 2005 mit einem neuen Schlagzeuger auf Tour. Zu Weihnachten desselben Jahres erscheint mit "All Is Safely Gathered In" eine üppige BJH-Retrospektive auf fünf CDs, die die Jahre 1967 bis 1997 umfasst.
Ab dem Frühjahr 2006 touren BJH featuring Les Holroyd zusammen mit den Prager Philharmonikern durch Deutschland, Frankreich und Belgien. Eine DVD und CD von dieser Tour mit dem Titel "Classic Meets Rock" veröffentlichen sie im Dezember.
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