laut.de-Kritik

Der Ex-Bee Gee mit einem bemerkenswerten Spätwerk.

Review von

Der homogen wabernde Sound des Titeltracks lässt uns nach mehreren Hördurchgängen ernsthaft zweifeln, ob wir uns aktuell wirklich im Jahr 2016 befinden. Pulsiert hier doch so eindeutig im Herzschlag längt vergangener Zeiten. Keinesfalls nostalgisch verklärt, sondern eben so, als wären die 80er Jahre nicht zu Ende gegangen. Als würde Michael Jackson gemeinsam mit den Modern Talking unter der Regie von Barry Gibb Moonwalk tanzen. Was für ein fluffiges Pop-Monster beißt denn hier um sich? Nur bittersüße Textzeilen verwaschen das zunächst so stimmige Aquarell zusehends. "I may be lonely but I'm not alone/ And we don't need conversation/ I'm only happy when I hear you move/ You speak the pleasure within/ In my heart/ In my soul/ In the now!"

Da haben wir mit Mühe und Not Nick Caves tiefschwarzes Meisterwerk "Skeleton Tree" verarbeitet, da flattert uns schon die nächste Trauerbewältigung in Album-Form ins Haus. Denn Barry Gibb ist nach dem Tod seines Bruders Robin der letzte verbliebe Bee Gee. "In The Now" ist der Versuch einer Bestandsaufnahme, ein vorsichtiges Herantasten an die neue Situation. "Als Robin 2012 starb, bin ich wirklich abgestürzt. Es war, als ob ich mich in einem schwarzen Tunnel verlaufen hätte. Ich kämpfte mit Depressionen, Lust- und Planlosigkeit. (...) Das ging zwei Jahre so. Dann zwickte es mich doch wieder: Diese unstillbare Sehnsucht, Musik zu machen und auf Bühnen zu stehen, ist ein starkes Gefühl, das man auf Dauer nicht unterdrücken kann. Solokünstler zu sein ist für mich trotzdem etwas ganz Neues", erklärte Gibb seinen gegenwärtigen Status Quo in einem Interview mit der Zeit.

Anders als Cave, der seinen noch brodelnden Schmerz direkt kanalisierte, hat sich Gibb Zeit gelassen, reflektiert und nachgedacht. Seine Wunden sind verheilt, aber nicht vergessen. Der der Geist der verlorenen Brüder schwebt stetig über dieser Platte. Der massiv gezeichnete Kontrast innerhalb der Grundkonstallation zwischen dem gibbschen Früh- und Spätwerk könnte kaum größer erscheinen. Einerseits die erfolgreichste Familienband der Welt, bunt poppige Disco-Mucke, glitzernde Schlaghosen, Welthits soweit das Auge reicht. Andererseits das versehrte und alleinstehende Mahnmal. Der verlassene Veteran. Trotzdem klingt "In The Now" keinesfalls ausschließlich nach Abschied und Depression.

Denn seine musikalische Grunderziehung will der 70-Jährige Superstar, der auf dem diesjährigen Glastonbury die Bühne mit Coldplay teilte, weder ablegen noch verheimlichen. Anders als Nick Cave oder Johnny Cash erscheint die Rolle des Man in Black neu für Gibb. So ergibt sich eine bemerkenswerte Konstellation, die Genres vermischt. Die Platte offenbart 70er- und 80er-Jahre Pop mit eingebauten Falltüren. Die rissige Oberfläche tönt tanzbar, smooth, glatt, melodisch. Darunter aber schimmert es düster, elegisch und desolat. So ergibt sich eine pulsierende Mischung, deren Durchschlagskraft von einem Künstler in diesem Alter und nach einer so langen Schaffenspause keinesfalls zu erwarten war.

"Home Truth Song" etwa überrascht mit gewissen Country-Anleihen, die sich erst im Refrain in glasklaren Pop kristallisieren und in jodelnde Powerpop-Riffs zerfahren. Diese kleinen meist schnell wieder eingefangenen Experimente ziehen sich wie der abgewickelte Faden eines roten Rollkragenpullovers durch das gesamte Album. Später werden wir noch mit Bläser-, Piano- und Streicher-Sequenzen konfrontiert, alles vermengt in einer auf Weltniveau produzierten Scheibe, die ihren Hörern auch kleinste Nuancen nicht vorenthält. Hier zeigt sich greifbar, dass Gibb sich abseits allen Superstartums immer als hart arbeitender Produzent verstand. Dass Barry einer der fähigsten Ohrwurmschreiber der Musikgeschichte ist, steht ohnehin außer Frage. Auf "In The Now" wurde er zudem von seinen Söhnen Ashley und Stephen unterstützt – das ist insofern bemerkenswert, weil Letzterer in seiner langen Karriere als Bassgitarrist bereits bei Bands wie Crowbar und Black Label Society spielte.

Kompositionen wie "Grand Illusion" oder "Amy In Colour" wirken ein wenig altbacken und aus der Zeit gefallen, aber eben weil man solche Schinken schon seit Jahren und Jahrzehnten nicht mehr gehört hat, überrascht ihr konkreter Tonfall umso mehr. Da schiebt sich wenig zwischen das Mauerwerk Queen, da materialisiert sich Genesis offensichtlich im Gebälk. Und, selbstredend, der ikonische Falsettgesang, das urtypischste Merkmal der Bee Gees. Gibb schreckt nicht davor zurück, Soundstein über Soundstein zu klatschen und dabei zu ganz großen Gesten auszuholen und sein Innerstes großspurig ins Äußerste zu kehren. In einer Zeit, in der sich Popmusik oftmals durch Beliebigkeit auszeichnet, tut es gut, so einen rückwärts gewandten und in alle Richtungen um sich greifenden Retro-Epos zu hören. Auch wenn man sich, dressiert von gegenwärtigen Hörgewohnheiten, durchaus ein wenig schwer tut, sich durch die gesamten 15 Songs am Stück zu kämpfen. Speziell Balladen-Kitsch wie "The End Of The Rainbow" und "Daddys Little Girl" rutschen leider fast in Schlagergefilde ab und trüben den ansonsten rundum positiven Gesamteindruck.

Mit "In The Now" veröffentlicht Barry Gibb ein wirklich bemerkenswertes Spätwerk. Der hier dargebotene Orchester-Pop besitzt 2016 absoluten Exotenstatus und schleicht sich so locker leicht in die Gehörgänge, dass man von Zeit zu Zeit zusammenzuckt, wenn man feststellt, wie tief man sich bereits in den weich federnden Songnetzen verstrickt hat. Auch der tragische Kontext, der immer wieder in den Texten durchscheint, trägt seinen Teil zur Gravitas dieser LP bei. Gibb jedenfalls hat seiner ohnehin schon schillernden Karriere mit diesem späten Ausrufezeichen eine finalen Grauton verpasst - das muss man auch als Bee Gees Hater lückenlos anerkennen.

Trackliste

  1. 1. In The Now
  2. 2. Grand Illusion
  3. 3. Star Crossed Lovers
  4. 4. Blowin' a Fuse
  5. 5. Home Truth Song
  6. 6. Meaning Of The World
  7. 7. Cross To Bear
  8. 8. Shadows
  9. 9. Amy In Colour
  10. 10. The Long Goodbye
  11. 11. Diamonds
  12. 12. End Of The Rainbow
  13. 13. Grey Ghost
  14. 14. Daddy´s Little Girl
  15. 15. Soldier´Son

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8 Kommentare mit 10 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Aber hallo, endlich mal einer, der sich eingehend genug mit diesem gewaltigen Brocken, der da von Barry hingeschmissen wurde, befaßt und kapiert hat, dass oberflächliches Hören nicht genügt. Hab mich schon oft über Kritiker geärgert, die anscheinend wie aus der Pistole geschossen reagieren und somit glatt das Thema verfehlen und immer nach Schubladen suchen, wo man diesen Tausendsassa verstauen kann. Dies wird nie und nimmer gelingen, denn er beherrscht mit Leichtigkeit emotional aufwühlende Klangwelten. Wer sich also lieber 3-Akkord Rock'n Roll oder Blues reinziehen will, wo man nicht viel mitdenken muss, war und ist beim zweit erfolgreichsten Songschreiber (Guinnessbuch der Rekorde) aller Zeiten sowieso fehl am Platz.

    • Vor 7 Jahren

      "Wer sich also lieber 3-Akkord Rock'n Roll oder Blues reinziehen will, wo man nicht viel mitdenken muss, war und ist beim zweit erfolgreichsten Songschreiber (Guinnessbuch der Rekorde) aller Zeiten sowieso fehl am Platz."

      Huch das du denken musst bei einem Bee Gees Song bzw. Gibb Song überrascht doch etws, mach dir nichts raus hauptsache du hast deinen Spaß. Und das auch das wichtigste bei Musik, entweder sie funktioniert o. halt nicht.

      Gruß Speedi

    • Vor 7 Jahren

      Hab hier mitdenken im Sinne von bemerken und erkennen von Songstrukturen, was der Autor sehr gut gemacht hat, gemeint. Danke für Deine Replik und natürlich ist Spaß haben immer angesagt!

      Francis grüßt Speedi

    • Vor 7 Jahren

      Es " Gibbt" sehr viele Bee Gees Songs - wo man zeitgenössische Texte vorfindet - schon damals - wie auch auf diesem Album - gute Texte mit einer Leichtigkeit verpackt - man muß es nur erkennen :)

  • Vor 7 Jahren

    Ich kann mit dem Album nichts anfangen.
    KLingt nach alten Sound frisch aufgepeppt mit der bekannten Bee Gees Stimme.

  • Vor 7 Jahren

    Hä?! Ist das dieser Da Gee Bee von Youtube?

  • Vor 7 Jahren

    I`m only happy when I hear you moan - so heißt es bitte! In the Now - im hier und jetzt - toller Ohrwurm . Mit diesem Album , hat Barry ein ausgezeichnetes Meisterstück abgeliefert. Wer`s nicht weiß - zB: Amy in Colour - beschreibt einen One Night Stand mit Augenzwinkern an die swinging sixties / End of the Rainbow - ist seinem Bruder Robin gewidmet / Blowin`a fuse - geht gut ab , laut hören , guter Text, passt super , wenn euch auch mal `ne Sicherung rausfliegt wegen zu viel Input etc ;) / Home Truth Song - wie Barry selber sagt, dieser Song beschreibt ihn selbst am besten und kommt ehrlich rüber - man denke an die üblichen Klischees aus den 70èrn und wie die Band danach fallen gelassen wurde : I ain't the poster boy you made me
    You won't ever chain me down
    I've been to heaven and I've been to hell
    And I've been livin' underground
    You want me to be the man
    You know I never wanna be
    Everybody changes with the wind
    Set my spirit free /// Star Crossed Lovers - mit Anlehnung and Romeo & Julia - unerfüllte Liebe , Herzschmerz - kennen wir doch alle - wunderschöne Ballade / Shadows - gibb me Rumba feeling / zu den 3 Bonus Tracks: Alles frühere Werke - und wir Fans sind happy, daß er sie mit drauf genommen hat - Grey Ghost - 2006 - den trauernden Menschen in Japan gewidmet- Das Lied beginnt leise - der graue Geist, der die traurige Geschichte des Verlustes erzählt. / Soldiers Son - damals mit der Country Legende Ricky Skaggs aufgenommen - hier als Solo Version / Daddy`s little Girl - 2007 geschrieben - inspiriert durch seine Tochter - schöner Song mit Steel Guitars. Ein rundum gelungenes Werk - jetzt warten wir nur noch auf die Tour in Europa - im April sind erst die australischen Fans an der Reihe - wir warten und hoffen natürlich auf ein paar Konzerte in Deutschland :)

  • Vor 7 Jahren

    Die Scheibe läuft bei mir jetzt im Auto und gefällt mir richtig gut... kann die 4/5 nur bekräftigen.

  • Vor 6 Jahren

    Nein danke, dieser Opern-Pop ist gar nicht meins.