laut.de-Kritik
Be popular, play pop.
Review von Sven Kabelitz"Wenn es neurotisch ist, dass man zwei Dinge, die sich gegenseitig ausschließen, gleichzeitig will, dann bin ich allerdings verdammt neurotisch. Für den Rest meiner Tage werde ich zwischen Dingen, die sich gegenseitig ausschließen, hin- und herfliegen", schrieb die amerikanische Schriftstellerin Sylvia Plath in ihrem einzigen Roman "Die Glasglocke".
Wenn es danach geht, scheint es sich beim Belle And Sebastian-Mastermind Stuart Murdoch um einen ziemlich neurotischen Gesellen zu handeln, versucht er auf "Girls In Peacetime Want To Dance" doch den Twee-Pop seiner Band mit Europop zu vereinen. Allein die Vorstellung dürfte so manch einem Fan von "Tigermilk", "If You're Feeling Sinister" und "The Boy With The Arab Strap" übel aufstoßen.
Dabei hat sich die einst so schüchterne und zerbrechliche Band nach dem Weggang von Isobel Campbell im Grunde mit nahezu jeder Neuveröffentlichung neu entdeckt. Zunehmend offensiver auftretend, fügten sie ihrem Stil mit jedem neuen Album neue Elemente hinzu. Ausflüge auf den Tanzboden und in die Elektronik sind bei den Glasgowern zudem nichts neues, auch wenn Stücke wie "Legal Man" oder "Electronic Renaissance" ihr Ziel auf gänzlich andere Art und Weise erreichten.
Seine Geschichten schildert Murdoch auf dem von Ben H. Allen III (Cee-Lo Green, Animal Collective, Deerhunter) produziertem Longplayer größtenteils aus der Perspektive der jungen Literatur-Anhängerin "Allie". In Tagträumen verloren sinniert diese über die Eingangs erwähnte Sylvia Plath oder das Leben der ach so perfekten Pärchen in ihrem Umfeld. Geschickt webt der Sänger aber auch sein eigenes Leben in die Erzählungen ein.
"Nobody's Empire" führt vorsichtig an die Klangerneuerungen heran. Unaufdringlich unterstützen behutsam kreiselnde Synthesizer den Song, der einerseits auf die frühen Tagen der Band zurück greift, aber gleichzeitig eine frische Eleganz versprüht. Ein Link To The Past, der den Weg für den Wandel ebnet. Im Text thematisiert Murdoch erstmals sein Leben vor Belle And Sebastian, in dem er an einem chronischen Erschöpfungssyndrom litt, das ihn ans Haus fesselte und seinen darauf folgenden Weg zur Musik. "There was a girl that sang / Like the chime of a bell / She put out her arm / And she touched me when I was in hell."
Im raffiniertem "Perfect Couples"-Intro prallen Madchester und Lounge-Pop aufeinander, bevor sich der von Perkussions voran getriebene Track herrlich unaufgeregt zwischen den Talking Heads, Arcade Fires "Reflektor" und Northern Soul einpendelt. "Sexual tension at the fridge / He makes for the organic figs / Belmondo lips / Dangling a cig."
Nicht immer harmonisiert das neue Umfeld mit den alten Trademarks. Dank einer einnehmenden Melodie, funkelnder Synthesizer, tiefer Bässe und einer Chic-Gitarre funktioniert der Disco-Stampfer "The Party Line", wirkt aber etwas zu aufdringlich. Don't burst my bubble!
Das kitschige "Enter Sylvia Plath" vergaloppiert sich zwischen den Pet Shop Boys, A Flock Of Seagulls und Trans X-Einflüssen gehörig und zerrt schnell an den Nerven. Wirklich übel wird es aber erst an der Seite von Dee Dee Penny von den eigentlich großartigen Dum Dum Girls. Das schrecklich schmalzige und sämige "Play For Today" vereint mit seinem käsigen Calypso-Einsatz alles, für das man die 1980er aus tiefsten Herzen hassen kann.
Weit weg von elektronischen Einflüssen hopst "Allie" durch ein eher traditionell verzücktes Belle And Sebastian-Stück, das durch einige verschrobene Gitarren Licks einen eigenen Charakter erhält. Das samtige "Today (This Army's For Peace)" nimmt sich komplett zurück, stellt seine cineastische Atmosphäre in den Mittelpunkt und verliert sich ganz behaglich mehr und mehr im Echo der Erinnerung.
"Tory like the cat with the cream / I studied you in history / I studied in the library / In days of old when knights were bold / They'd seetle it with sword an shield / It's settled by the king." Der wohl schönste Track "The Cat With The Cream" stellt zeitgleich auch den politischen dar. Belle And Sebastian kuscheln uns in einen seidenen Kokon aus Streichern und weichem Harmoniegesang. Entrückt und weit entfernt vom Zeitgeist schmiegen sich Murdoch und Sarah Martin an ihr eigenes akustisches Märchen.
"A subtle gift to modern rock / She says 'be popular, play pop' / And you will win my love", singt Murdoch im Beirut-Walzer-Marsch "The Everlasting Muse". Unsere Liebe müssen sich Belle And Sebastian ganz sicher schon lange nicht mehr verdienen. "Girls In The Peacetime Want To Dance" klingt, trotz einiger Aussetzer, niemals verkrampft und bildet, ungeachtet seiner unterschiedlichen Stilmittel aus Twee-Pop, Electro, Barock und Europop eine Einheit. Während andere Musiker zum Wiederkäuer ihrer eigenen Ideen mutieren, erfinden sie sich ein weiteres Mal aufs Neue. Allein diesen Umstand kann man ihnen nicht hoch genug anrechnen.
2 Kommentare mit 3 Antworten
Die Hauptschwäche des Albums sind nicht seine paar weniger guten Tracks, sondern vor allem seine kranke Tracklist. Anstatt die Europop-Einflüsse allmählich einzuführen oder direkt mit ihnen zu starten, wurde die Platte mit einem ruhigen, schönen, und danach einem schnelleren, meist elektronischen Track bestückt. Der Kontrast klingt nicht gewollt, sondern als wurde ein Grundschüler mit der Abfolge der Stücke engagiert. Gerade das zauberhafte "The Cat And The Cream" hat es nicht verdient, vom scheußlichen "Enter Sylvia Plath" abgelöst zu werden. 3/5 sind absolut in Ordnung, weil die Band trotzdem beweist, daß sie geniale Songs schreiben kann, und viele Experimente tatsächlich gelungen sind.
Hat mich jetzt nicht direkt vom Hocker gehauen, zumindest nicht an B&S-Maßstäben gemessen. Da gefiel mir das letztjährige Resterampen-Album noch besser. Ist aber okay.
Muss ja inzwischen "vorletztjährig" heißen, sorry.
ich finds nach zwei durchgängen eingentlich recht stark.
...ohne tiefschürfend werden zu wollen: Die meisten Songs auf diesem Album heben jedenfalls meine Stimmung beträchtlich, weil sie aktuell ein wunderschöner Kontrast zum trostlosen Wetter sind; erst recht "Enter Sylvia Plath" und "Play For Today",....wenn man sie einfach als 1980er Parodien genießen kann.