laut.de-Kritik
Vorsicht bei den Türen, bitte!
Review von Franz MauererAufgepasst, es wird kompliziert: "Making A Door Less Open" ist ein gemeinsames Werk von Car Seat Headrest, neuerdings in fester vierköpfiger Bandformation, und 1 Trait Danger, dem elektronischen Nebenprojekt von einer Hälfte von Car Seat Headrest. Beide nahmen das Album separat auf, die Teile wurden erst im Mix zusammengefügt und mit weiteren Aufnahmen ergänzt. "A recipe for disaster" nennen die Briten sowas. Hat bei "Making A Door Less Open" aber ganz wunderbar geklappt, und das liegt vermutlich daran, dass trotz Einspielen in Bandformation und Co-Produktion, Co-Mixing und Mastering durch Bandmitglied (beider Bands) Andrew Katz der bisherige Diktator Will Toledo die Zügel in der Hand behielt.
Toledo beansprucht alle Songwriter-Credits auf diesem überfrachteten Monstrum aus Electro(clash) und Punkpop. Der Chef nennt es "EDM, hip hop, futurism, doo-wop, soul, and of course rock and roll", und tatsächlich vergisst er hier eher Folk und Punk statt zu übertreiben. Das hier angebraute Gemisch aus Emo-Dance ist an sich schon speziell und wirkt zumal durch zahlreiche Rupturen in den Songs stellenweise erratisch und bruchstückhaft.
Tanzbar, elektrisierend, mitreißend, im selben Moment niederschmetternd und himmelhochjauchzend, alles das zeichnet "Making A Door Less Open" ebenso aus und geht über die gewohnten CSH-Grundtugenden starke Melodien und kluges Laut-Leise-Spiel hinaus. Die Songs entstanden über vier lange Jahre und dieses Werkeln hört man den polierten und bis ins kleinste Detail austarierten Songs an. CSH vollziehen dabei eine Evolution, die an das Debakel der Labelkollegen Ceremony mit "L-Shaped-Man" erinnert.
Dem Quartett aus Seattle gelingt der Wandel jedoch, vor allem wegen des sogar noch verbesserten Songwritings. Toledo brachte immer schon eine gewissen Strenge mit in seine Songs, und diese tut den tighten, tanzbaren Liedern dieser Scheibe überaus gut und macht sie interessant. Durch die teilweise wagemutigen Brüche nimmt mancher Song Züge von Guided By Voices an, aber nur selten stoßen die Zäsuren sauer auf. Meistens versöhnen neue Harmonien oder ein Anziehen der Intensität sofort und das Ohr ist viel zu beschäftigt, um sich lange zu grämen. Dieses Stilmittel ist gerade zum Schluss raus für CSH auch nicht ganz neu, höre zum Beispiel "1937 State Park" vom Vorgänger.
Der Opener "Weightlifters" könnte aus dem neuem Strokes-Album stammen und wäre dort mit seiner polierten Stringenz einer der stärkeren Songs. "Martin" ist so was von all over the place, bleibt aber trotzdem ein organischer, mitreißender Track. Das Albumhighlight "Life Worth Missing" ist schlicht großartig. Der ganze Song ist ein Musterbeispiel an Trackaufbau, das Schlagzeugspiel ist energetisch; vom Fleck weg ziselliert der Synth am Anschlag, alles flirrt bis zu den um sich kreisenden Gitarren am Schluss. Muss man gehört haben. Hot Chip wünschten sich, sie hätten "Can't Cool Me Down" geschrieben, das mit Falsett und Tanzbarkeit doch eckig genug bleibt, um nicht in den Mainstream zu rutschen.
Car Seat Headrest haben eine neue Formensprache gefunden, ohne ihre Essenz aufzugeben. Natürlich geht der Wechsel weg von der zweiten Gitarre hin zu sehr bassgetriebenen Songs nicht ohne eine Spur Emotionalitätsverlust einher, aber die Verzweiflung wird durch ein befreiendes Aufbäumen gut aufgewogen. CSH bleiben eine sehr direkte Band und Toledo schreibt weiterhin Songs, auf die man sich einlassen muss, die über Albenlänge einen "stream of consciousness" entfalten. Daran ändert auch der neu entdeckte Wille zum Stadionsound nichts, dafür fühlt sich "Making A Door Less Open" trotz allem Schlingerkurs im Sound sehr souverän an, zumal die Band ihre schon angedeuteten Stärken in der Opulenz ("Drunk Drivers/ Killer Whales") gezielt ausbaut. Bemerkenswert, wie gut Toledos nasale Stimme zum neuen Sound passt. Sein Timbre ermöglicht ihm nach wie vor schmeichelhafte Intensitätswechsel und als Gegenpol zur hektischen Dramatik der Platte ist sie wohltuend, auch weil sein gebrochenes, hochgradig nicht perfektes Organ Glätte aus dem Mix nimmt.
Kritik gibt es an zwei Punkten: Die Themen sind allzu bekannt und beschränken sich auf den üblichen egozentrischen Tuschekasten der Post-Emo-Generation, außerdem ist es mit der Privatsphäre als Rockstar voll doof - gähn. "Hollywood", auch als Song ein Nu-Metal-Electroclash-Komplettausfall und Kritikpunkt Nummer Zwo, sagt uns dann noch, dass LA doof ist, na ja. Die Texte mäandern wie gehabt mit inneren Monologen, Alltagsbeobachtungen, Depri-Versatzstücke, meist in Frageform ans lyrische Ich. Hat Morrissey alles schon mal gewitzter gesagt und der Kontrast zur tanzbaren Musik ist wenig erhellend. Die Tracklist ist im Übrigen je nach Medium unterschiedlich und "Deadlines" gibt es in drei sehr verschiedenen Versionen (und "Hymn" nur auf Vinyl nicht im Remix), der Sinn dahinter ergibt sich für mich nicht. Letztlich eine Randnotiz, wie auch das arg gewollte, verkopft-artsy Plattencover.
4 Kommentare mit 2 Antworten
Spätestens bei dritten Durchlauf hatte sie mich!
Jep, mich auch.
Sehr stark!
8,5/10
Werfe mal einen Relevanzvergleich mit "Good news for people who love bad news" und "A ghost is born" in den Raum.
Das Ding ist heftig!
Danke für den Tipp! Dann wird's Zeit mal wieder in den Plattenladen zu gehen.
♪♫♫♪ There must be more than blood ♫♪♪♫♪